Das Rendezvous zwischen Atlantis und Mir ist das sechste von insgesamt neun geplanten. Am dritten Tag nach dem Start wird das Shuttle an die Raumstation andocken – der heikelste Teil des Unternehmens. Das Andockmanöver beginnt, wenn sich die Fähre bis auf 15 Kilometer an die Mir-Station angenähert hat. Insgesamt viermal kann der Anflug mit den Triebwerken des Shuttles korrigiert werden. Atlantis muß genau in eine gedachte Linie zwischen dem Schwerpunkt der Station und dem Erdmittelpunkt kommen. Den letzten Teil des Manövers, ab einer Entfernung von circa einem Kilometer, führt Commander Charlie Precourt mit der Handsteurung aus.
Insgesamt drei Stunden nimmt die gesamte Prozedur in Anspruch. Bei dem schwierigen Manöver wird auch ein von der ESA entwickeltes Orientierungssystem getestet. Ein GPS-Empfänger und ein optischer Sensor sollen später der unbemannten Fähre ATV (Automated Transfer System) das Andocken an Weltraumstationen ermöglichen.
Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Experimente während der Mission stehen die Auswirkungen von Schwerelosigkeit und kosmischer Strahlung auf biologische Systeme. Denn nicht nur der Mensch leidet unter der ungewohnten Umwelt im All, sondern auch die Lebwesen, von denen er sich auf einer Raumstation ernähren will und die ihm seine Luft zum Atmen liefern sollen. Die Ergebnisse dieser Forschung sind eine wichtige Grundlage für die Realisierung der Internationalen Raumstation. Für deren Fertigstellung ist das Jahr 2003 angepeilt.
Lebewesen reagieren sehr empfindlich auf die ungewohnte Umwelt All. Selbst einfache irdische Vorgänge müssen hier neu erforscht werden. Wie entwickeln sich zum Beispiel Senfsämlinge ohne die orientierende Wirkung der Schwerkraft? Welche Phtotsyntheseleistung können Pflanzen überhaupt im Weltraum erbringen? An der Beantwortung dieser Frage arbeitet die Besatzung der Mir jetzt schon intensiv.
Auch ein Versuch der Curie Universität, Paris, an Bord von Atlantis befaßt sich mit Pflanzenwachstum. Dabei soll die Entwicklung von Linsenwurzeln beobachtet werden. Deutsche Forschungseinrichtungen beteiligen sich ebenfalls an den biologischen Versuchen während der Mission. So untersucht ein Experiment der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Reaktionen des Wimpertierchens Loxodes striatus auf die neuen Lebensbedingungen.
Professor Eberhaed Horn von der Universität Ulm hat mit seinen Experimenten die Ausbildung des Augenreflexes bei Fröschen und Fischen im Visier. Dazu werden Kaulquappen des südamerikanischen Krallenfrosches und junge Buntbarsche in Miniaquarien mit ins All genommen. Die Aquarien wurden bei der Dara in Friedrichshafen entwickelt. Sie fassen 40 Mililiter und sind damit kleiner als eine Zigarettenschachtel. Der Wissenschaftler hofft, Einblicke in die Entwicklungsvorgänge des zentralen Nervensystems von Wirbeltieren zu bekommen. Wie die Hefe Saccharomyces cerevisiae unter kosmischen Bedingungen die Reperatur ihres genetischen Materials bewerkstelligt, untersucht Professor Jürgen Kiefer von der Universität Gießen.
Neben der Schwerelosigkeit belastet ein weiters Phänomen Lebewesen und Gerätschaften im All: die kosmische Strahlung. Sie stellt ein besonders intensive Beanspruchung dar. Genetische Defekte und schnelle Materialermüdung sind die Folge. Wie hoch die Strahlendosis auf einer Raumstation tatsächlich ist, wollen die Wissenschaftler durch sechs Meßpunkte auf Mir herausbekommen. Sechs passive Detektoren messen an verschiedenen Stellen der Raumstation wieviel Strahlung dort einwirkt. Auch Krallenfrösche und Buntbarsche sind mit an Bord.
Der gelungene Start von Atlantis läßt hoffen, daß die Mission erfolgreich sein wird und nicht wie der letzte Shuttle-Flug abgebrochen werden muß.