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Süd-See auf Titan

Astronomie|Physik

Süd-See auf Titan
Die Raumsonde Cassini hat auf dem Saturnmond einen See aus Ethan entdeckt.

Unermüdlich umrundet Cassini seit dem Sommer 2004 den Saturn. 50 Mal zog die Raumsonde an Titan vorbei, dem größten Mond des Ringplaneten. Aber langweilig wird es den Wissenschaftlern nicht, die die zur Erde gefunkten Cassini-Signale auffangen. Nicht nur die titanische Wetterküche in der dunstigen Gashülle taugt immer wieder für Entdeckungen. Auch die Titan-Oberfläche bietet Spannendes. So stieß das Radargerät der amerikanisch-europäischen Sonde zwei Jahre nach Missionsbeginn auf eine seltsame Region nahe dem Nordpol. Hunderte spiegelglatter Gebiete schienen die Radarwellen regelrecht zu verschlucken. Die Forscher vermuteten, dass es sich um eine Art Seenplatte handelt. Diese Seen wären jedoch nicht mit Wasser gefüllt, denn das müsste bei den herrschenden minus 179 Grad Celsius auf dem sonnenfernen Trabanten zu Eis gefroren sein (bdw 7/2007, „Schaurige Güsse aus Ethan“). Nun gibt es ein neues hartes Indiz für die Seen-Hypothese – am Südpol. Und flüssiges Wasser ist tatsächlich nicht im Spiel.

Ein See aus Sumpfgas

Die spektakuläre Entdeckung gelang mit Cassinis Spektrometer VIMS (Visual and Infrared Mapping Spectrometer), das für sichtbare und infrarote Wellenlängen empfindlich ist. „Es ist die erste Messung, die wirklich den Nachweis liefert, dass es auf Titan einen See gibt“, freut sich Robert Brown von der University of Arizona. Er ist der Chefwissenschaftler des VIMS-Teams. Die Flüssigkeit besteht aus dem Kohlenwasserstoff Ethan, zeigen die Messungen. Dass Ethan in der trüben Atmosphäre des Saturnmonds als Spurengas vorkommt, ist schon länger bekannt. Dieser leichte Kohlenwasserstoff mit der chemischen Formel C2H6 entsteht beispielsweise, wenn das UV-Licht der Sonne in Titans Hochatmosphäre Methan-Moleküle (CH4) aufbricht und diese Fragmente weiter reagieren. Auch in der irdischen Luft kommt Ethan in Spuren vor. Es ist leicht entzündbar und ein häufiger Bestandteil von Erd- und Sumpfgas.

VIMS gelang der Nachweis, als Cassini in nur 1100 Kilometer Entfernung an Titans südlicher Polarregion vorbeiflog. Dort hatte die Bordkamera bereits früher ein dunkles Gebilde ausgemacht. Wegen seiner Ähnlichkeit mit dem etwa 300 Kilometer großen Ontariosee in Nordamerika erhielt es den Namen „Ontario Lacus“. VIMS kann im infraroten Licht durch mehrere eng umgrenzte spektrale Fenster die weitgehend undurchsichtige Gashülle Titans durchdringen. Durch eines dieser Fenster, bei rund zwei Mikrometer Wellenlänge, zeigte sich in der Dunkelfläche des Ontario Lacus der charakteristische spektrale Fingerabdruck von Ethan. Außerdem schlossen die Forscher aus den Daten bei etwas größeren Wellenlängen auf die Existenz einer Flüssigkeit an der gleichen Stelle. Beide Befunde addieren sich zu einem bedeutsamen Resultat: Ontario Lacus ist ein See aus flüssigem Erdgas. Wahrscheinlich gibt es dort noch weitere Kohlenwasserstoffe, etwa Methan. Sie konnten allerdings bislang nicht identifiziert werden.

EIN EXOTISCHER STRAND

Dafür entdeckten die Forscher in dem südpolaren See eine geheimnisvolle Struktur: Ein dunkles, ringförmiges Gebilde zwischen dem schwarzen See und dem hellen Ufer. Es könnte eine Art Strand sein. „In dieser ufernahen Zone sehen wir sehr unterschiedliche spektrale Signaturen. Die Auswertung ist schwierig“, sagt Ralf Jaumann, Planetengeologe am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin. „Möglicherweise haben sich dort bei jahreszeitlich wechselnden Pegelständen des Sees verschiedene Kohlenwasserstoffe abgelagert.“

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Ontario Lacus ist bislang der einzige gesicherte Fundort für flüssiges Ethan auf dem Saturnmond. Ein vergleichbarer Beleg für eine nördliche „Seenplatte“ steht einstweilen noch aus, denn momentan sind VIMS-Messungen dort schwer möglich. Bessere Bedingungen erwarten die Forscher, wenn Ende 2009 im hohen Norden die Polarnacht endet und die Region direkt von der Sonne beschienen wird. Doch schon die bisherigen VIMS-Daten lassen DLR-Experte Ralf Jaumann zufolge im Norden ebenfalls auf Seen schließen, die aus Kohlenwasserstoffen bestehen.

Immer wieder erodieren weite Landstriche des Saturnmonds durch strömende Flüssigkeiten. Das folgern Jaumann und seine Kollegen aus Deutschland, Frankreich und den USA aus zahlreichen Daten von Cassini und der europäischen Landesonde Huygens. Die Wissenschaftler glauben, dass Fluten aus Ethan und wahrscheinlich Methan im Lauf der Zeit tiefe Täler in die titanische Landschaft gegraben haben.

SELTENE HOCHWASSER

Wie auf der Erde haben die Fließgewässer auf Titan sehr unterschiedliche Größen. Sie reichen von kleinen Bächen, die gerade einige Kilometer lang sind, bis zu gewal-tigen Strömen, die es auf bis zu 1200 Kilometer Länge und 3 Kilometer Breite bringen. Sie lassen sich sowohl auf Radarbildern als auch auf Fotos der Huygens-Kamera und von VIMS erkennen. Wahrscheinlich werden sie durch heftige Niederschläge gespeist.

Denkbar ist allerdings auch, dass vulkanische Wärme die Flüssigkeiten im Untergrund mobilisiert und an die Oberfläche quellen lässt. Jaumann: „Unsere Analyse zeigt, dass in den Tälern zumindest zeitweise erhebliche Flüssigkeitsmengen fließen“. Die größten Ströme könnten 1600 Kubikmeter pro Sekunde mitgeführt haben – das sind immerhin zwei Drittel des Volumens, das der Rhein hat, wenn er in die Nordsee fließt.

EIN TITANJAHR DAUERT 30 ErdJAHRE

Momentan herrscht in der Äquatorregion des Mondes Trockenzeit. Das ist nicht immer so: Modellrechnungen deuten auf relativ seltene „Hochwasser“ in den Flüssen hin. „Die Ursache könnten jahreszeitliche Wetteränderungen sein. Und man muss bedenken, dass ein Jahr auf Titan, ebenso wie auf Saturn, knapp 30 Erdjahre dauert“, betont Jaumann. Das auffälligste Merkmal auf der Titanoberfläche ist der Wechsel zwischen hellen und dunklen Regionen. Mit Cassinis Radar entdeckten die Forscher, das die hellen Gebiete meist gebirgigen Hochländern entsprechen und die dunkleren Gebiete meist Tiefebenen. Dort liegen in äquatornahen Breiten viele ausgedehnte Dünenfelder.

Zwischen den Gebirgen und den Dünen hatten die Wissenschaftler Landschaften ausgemacht, die sie vor ein Rätsel stellten. Mithilfe der neuen VIMS-Daten konnten sie die Natur dieser Übergangszone entschlüsseln. Ihre Beobachtungen fügen sich zu einem neuen Gesamtbild: Es regnet in den Bergen, die auf Titan bis zu 2000 Meter hoch aufragen. Im Hochland sammeln sich die Niederschläge und stürzen talwärts. Dabei erodieren sie die Flussbetten, die wohl hauptsächlich aus steinhartem Wassereis bestehen, und lassen viel Geröll aus Eisbrocken entstehen. Von den Fluten mitgerissen, werden die größten Brocken schon bald wieder abgelagert. Das geschieht dort, wo sich das Gefälle abflacht. Kleinere Brocken werden hingegen weiter ins Land geschwemmt. Solche Ablagerungszonen, in denen das Geröll beim Transport nach seiner Größe sortiert wird, sind auch von der Erde bekannt. Über die Ablagerungen streicht der Wind, der von den Bergen kommt. Die feinsten Körnchen werden aufgewirbelt und weggetragen: Sie sind der Rohstoff für die bis zu 150 Meter hohen Dünen im Flachland.

Wahrscheinlich bleibt den Titan-Forschern noch reichlich Zeit, um Jaumanns Theorie zu überprüfen. Denn derzeit wird diskutiert, die Mission Cassinis um weitere acht Jahre zu verlängern. So könnte das Wetter auf dem Mond ein halbes Titanjahr lang verfolgt werden – eine gute Basis für den nächsten Schritt: ESA und NASA erwägen für das kommende Jahrzehnt eine gemeinsame Mission. Die letzte Meldung stammt von der Tagung der American Geophysical Union. Dort wurden im vergangenen Dezember Radar- und Spektralmessungen vorgestellt, die zeigen, dass auf Titan Vulkane aktiv sind. Cassini hat also noch eine Menge Arbeit vor sich. ■

Thorsten Dambeck ist promovierter Physiker und Wissenschaftsautor in Heidelberg. In bdw 9/2008 berichtete er über den Mars.

von Thorsten Dambeck

KOMPAKT

· Zeitweise fließen große Ströme auf dem Saturnmond Titan: Sie führen bis zu zwei Drittel der Flüssigkeitsmenge, die der Rhein der Nordsee zuführt – allerdings nicht Wasser, sondern vermutlich Ethan und Methan.

· Bei Titans Südpol fand die Raumsonde Cassini einen See aus Ethan. Er ähnelt in Größe und Gestalt dem Ontariosee in Nordamerika.

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