Die Aufregung war groß, als vor vier Jahren die Kamera der NASA-Sonde Mars Global Surveyor obskure Rinnen auf dem Roten Planeten entdeckte. Auf den hoch aufgelösten Orbiter-Fotos waren an Abhängen und Kraterwällen die Hunderte Meter langen Gräben aufgespürt worden.
Der Fund beflügelt seitdem die Forscher, weil diese „Gullies“ eine frappierende Ähnlichkeit mit irdischen Erosionsrinnen haben, die Geoforscher aus arktischen und alpinen Regionen kennen. Diese Rinnen entstehen dort, wenn eine Mixtur aus flüssigem Wasser, Sand und Geröll als Schuttstrom zu Tal geht. Doch während das nasse Element auf der Erde alltäglich ist, gilt es auf dem Mars als Wegweiser zu möglichen Lebensformen. Verblüfft waren die Planetologen vom frischen Zustand der Rillen, der auf eine junge Entstehung deutet.
Doch wann genau war genügend flüssiges Wasser im Boden, um die Schuttströme zu mobilisieren? Das wollte auch Dennis Reiss vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) wissen. Der Geograph nahm deshalb die Surveyor-Fotos eines ausgetrockneten Flussbetts namens Nirgal Vallis unter die Lupe.
Das rund 670 Kilometer lange Trockental auf der südlichen Mars-Halbkugel stammt aus einer völlig anderen Periode des Planetennachbarn: Vor rund 3,8 Milliarden Jahren durchpflügten dort Wassermassen die Landschaft. Diese frühe Feuchtperiode des heutigen Wüstenplaneten fand also in einer fernen Vergangenheit statt – vor über 83 Prozent des gesamten Marsalters, das 4,55 Milliarden Jahre beträgt.
Heute ist das trocken gefallene Flussbett mit Dünen übersät, und an seinen Hängen zeigen die Satelliten-Fotos zahlreiche Rinnen. Reiss hat die geheimnisvollen Gullies auf knapp der Hälfte der 88 für die Studie ausgewerteten Bilder ausgemacht. Talseitig enden sie in fächerförmigen Ablagerungen, die die Dünen überlagern. „Daran erkennen wir, dass die Dünen älter sind als die Hangrinnen“, erklärt er. „Wenn man die Dünen datiert, hat man also auch eine Obergrenze für das Alter der Rinnen.“
Nicht nur das niedergehende Geröll von den Hängen setzt den Dünen zu, auch zahlreiche Meteoritenkrater wurden durch Einschläge in ihre Oberflächen gestanzt. Da die Krater nicht verformt sind, schließt der Berliner Forscher, dass sich die Dünen im momentanen Mars-Klima nicht bewegen.
Generell gilt: Kleine Krater sind häufiger als große, denn im Sonnensystem kreisen viel mehr kleine Planetoiden als größere Brocken. Für die Planetologen ist die Kraterverteilung eine Art Uhrwerk. Mit der Häufigkeit und Größe der Einschlagskrater können sie zurückrechnen, wann eine Planetenoberfläche erstmals dem Meteoriten-Bombardement ausgesetzt wurde. Wann ist also das Dünengelände in Nirgal Vallis entstanden?
Die Dünenlandschaft gehört mit 300 000 Jahren zu einer geologisch jungen Epoche, schreibt Reiss mit seinen Kollegen in einem aktuellen Beitrag für das „Journal of Geophysical Research“ . Diesen Wert kann man auch als Altersobergrenze für die Rinnen im Nirgal Vallis verstehen. Doch birgt die Methode eine Reihe von Unsicherheiten: So könnte variierender Atmosphärendruck – etwa durch Klimaänderungen – die Kraterstatistik beeinflussen.
Außerdem werden für die Altersberechnung Daten unseres Erdmonds benötigt, die aus der Kombination von Kraterhäufigkeiten mit der radiometrischen Datierung von Mondgestein abgeleitet wurden. Diese für den Mond gültigen Werte müssen an die Mars-Verhältnisse angepasst werden. Deshalb resümiert der Geoforscher: „Berücksichtigt man alle Fehlerquellen, kann als Obergrenze für das Alter der Gullies ein Wert von drei Millionen Jahren angegeben werden.“
Geologisch betrachtet ist das erst gestern, denn der gefundene Wert entspricht nur 0,07 Prozent des Mars-Alters. Ob damit aber wirklich eine feuchte Klimaperiode gefunden wurde, ist noch umstritten (bild der wissenschaft 6/2003, „Die neu entdeckte Wasserwelt“). Eine Forscherminderheit glaubt nämlich, die Gullies wären ohne das flüssige Lebenselixier entstanden. Ihrer Meinung nach könnte gasförmiges oder flüssiges Kohlendioxid im Untergrund dafür gesorgt haben, dass der Marsboden ins Rutschen geriet. ■
Thorsten Dambeck