Dass schon frühe Arthropoden Brutpflege betrieben, ist schon seit einigen Jahren bekannt – Fossilfunde bezeugen verschiedenen Formen der Nachwuchspflege. So entdeckten Forscher 2015 in einem Stück Bernstein eine 100 Millionen Jahre alte Schildlaus, die ihre rund 60 Eier in einem Wachskokon am Bauch mit sich herumtrug. Ein fossiler Muschelkrebs (Ostracoda) aus der Zeit vor rund 450 Millionen Jahren hielt dagegen seine Eier unter seinem Rückenpanzer geschützt. „Die Belege für Brutpflege in fossilen Arthropoden sind jedoch sehr rar und meist auf Eier und sehr junge Jugendstadien begrenzt, Hinweise auf eine Hege auch älterer Jungtiere gibt es dagegen kaum“, erklären Derek Briggs von der Yale University in New Haven und seine Kollegen.
Das könnte sich nun durch einen ungewöhnlichen Fund in einer Fossillagerstätte im englischen Herefordshire geändert haben. Die Gesteinsformation stammt aus der Zeit vor rund 430 Millionen Jahren und entstand bei einem urzeitlichen Vulkanausbruch. Das feinkörnige Material umschloss damals tote und lebende Tiere sehr schnell und vollständig, wodurch selbst feine Strukturen und Weichteile erhalten blieben, wie die Forscher berichten. In dieser Gesteinsformation stießen die Paläontologen auf ein Fossil, das sich von den sonst dort gefundenen Muschelkrebsen deutlich unterscheidet. Sein segmentierter Körper und die gegliederten Beine ordnen es zwar den Arthropoden zu, doch eine Reihe von dornenartigen Rückenstacheln und die Antennenform sind ungewöhnlich. „Die Kombination von Merkmalen unterscheidet sich von denen jedes anderen bekannten Gliederfüßers, ob lebend oder ausgestorben“, konstatieren Briggs und seine Kollegen. Sie ordnen das krebsähnliche Tier daher einer neuen Gattung und Art zu – Aquilonifer spinosus.
Zehn Jungtiere an Stielen
Das auffallendste Merkmal des neuen Fossils ist jedoch das, was außen an seinem Körper hängt: Über lange, dünne Fäden sind zehn kleinere, in Kapseln eingeschlossene Lebewesen mit ihm verbunden. Diese zwischen 0,6 und 2 Millimeter langen Organismen hängen beiderseits des Hinterleibs in zwei Reihen am segmentierten Panzer von Aquilonifer spinosus. „Die geringe Größe und das Fehlen von Details macht es schwer, diese Individuen zu interpretieren“, sagen die Forscher. In einigen Kapseln sind jedoch segmentierte Strukturen und Anhänge zu erkennen. Dies spricht nach Ansicht der Wissenschaftler dafür, dass es sich dabei ebenfalls um Arthropoden handelt. Doch warum sind sie auf diese Weise mit Aquilonifer verbunden? „Arthropoden, die über Fäden an einem anderen hängen, repräsentieren wahrscheinlich eine von drei Strategien: Sie sind Parasiten, aufsitzende Kommensalen oder aber Jungtiere, die im Rahmen der Brutpflege angehängt sind“, erklären Briggs und seine Kollegen. Aber welche davon ist bei diesem Fossil zu sehen?
Nach Ansicht der Paläontologen ist Parasitismus als Erklärung eher unwahrscheinlich. Denn die langen, dünnen Fäden würden es den anhängenden Tieren schwer machen, Blut oder andere Nahrung von ihrem Wirt aufzunehmen. Ähnliches spricht gegen aufsitzende Kommensalen. Zwar gibt es Ruderfußkrebse, die heute die Panzer größerer Krebse besiedeln und den fossilen „Anhängern“ von Aquilonifer gar nicht so unähnlich sehen. Diese besitzen aber ebenfalls eher dicke, kurze Stiele, mit denen sie auf ihrem Träger anhaften, wie die Forscher erklären. Sie kommen daher zu dem Schluss, dass es sich bei den zehn anhängenden Individuen des Fossils um Jungtiere von Aquilonifer handeln muss. „Die Belege sprechen dafür, dass dies Jungtiere sind und dass dieses Fossil eine einzigartige Strategie der Brutpflege konserviert hat“, so Briggs und seine Kollegen.
Indem Aquilonifer seinen Nachwuchs an den langen Stielen mit sich trug, schützte es sie wahrscheinlich vor Fressfeinden. „Eine ähnliche Befestigung mit einem Stiel gibt es noch heute bei den Embryos von Flusskrebsen“, berichten die Wissenschaftler. Bei Aquilonifer allerdings scheinen die Jungtiere älter zu sein und zudem unterschiedlichen Entwicklungsstadien anzugehören. „Diese Entdeckung spricht dafür, dass die Arthropoden schon früh in ihrer Geschichte eine große Vielfalt und Komplexität von Brutpflege-Strategien entwickelt haben“, so das Fazit der Forscher.