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Wie weggezaubert

Astronomie|Physik

Wie weggezaubert
Physiker aus Karlsruhe haben eine Tarnkappe entwickelt, die Gegenstände scheinbar verschwinden lässt.

Wenn der Gelehrte in dem Märchen von Hans Christian Andersen seinen Schatten verliert, klingt das verrückt. Sein Schatten macht sich selbstständig, läuft davon, und der Mann lebt fortan ganz ohne ihn. Noch kühner ist die Fantasie, wenn es um Frodo Beutlin geht, den Hobbit in Tolkiens Fantasy-Roman, der mithilfe eines kleinen Rings völlig unsichtbar wird.

Tatsächlich kommt die Wirklichkeit solchen Mythen inzwischen erstaunlich nah. Denn Physiker haben in den letzten Jahren Methoden ersonnen, um Dinge unsichtbar zu machen. Wenn die Umgebung milchig oder nebelig ist, lassen sich Gegenstände verstecken, die mehrere Zentimeter groß oder größer sind. Beispielsweise könnte man in eine Milchglasscheibe im Badezimmerfenster ein Metallgitter einbauen, von dem nicht eine Schraube zu sehen ist, wenn man hindurch schaut.

Den alltäglichen Erfahrungen, die wir mit Licht und Schatten machen, scheint das vollkommen zu widersprechen. Dass es dennoch möglich ist, haben Martin Wegener und seine Kollegen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) bewiesen. In ihrem Experiment wird erst ein Metallzylinder, dann eine Metallkugel unsichtbar. Die Körper stecken in einem kastenförmigen Wassertank mit durchsichtigen Wänden, und das Wasser wurde mit weißer Farbe eingetrübt. Wenn man den Tank mit einer Lampe bestrahlt, sind Zylinder und Kugel zunächst deutlich zu sehen.

Um die Metallkörper zu verstecken, brauchen die Forscher salopp gesagt nicht mehr als weiße Farbe und ein bisschen Kunststoff. Die Gegenstände bemalen sie zuerst mit einer Schicht Farbe, darum herum kommt dann die Tarnkappe aus Polydimethylsiloxan (PDMS), das mit Melamin-Partikeln versetzt wurde. PDMS ist ein durchsichtiger, gummiartiger Stoff, weicher als Radiergummi. In Pulverform wird er in der Lebensmittelindustrie als Entschäumer („E900″) eingesetzt, um unerwünschte Schaumbildung, zum Beispiel in Marmelade, zu verhindern. Melamin ist ein Kunstharz, ebenfalls durchsichtig und als sehr feines Granulat verfügbar. „Das sind keine außergewöhnlichen Stoffe“, sagt Wegener. „Was wir entwickelt haben, könnten Sie zu Hause in der Küche selbst zusammenmixen.“

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Tarnung im Trüben

Die Idee, die dahinter steckt, ist der Grund, warum das Experiment nur im Trüben funktioniert. Wenn Lichtstrahlen auf einen Gegenstand treffen, werden sie normalerweise von ihm abgelenkt oder reflektiert – hinter dem Gegenstand entsteht ein Schatten. Und der würde auch ein weißes Objekt im Trüben verraten. Soll der verschwinden, müssen die Lichtstrahlen so um den Gegenstand herumgeleitet werden, dass sie dahinter weiter laufen, als hätten sie keinen Umweg um das Objekt herum genommen.

Im Vakuum müssten sie sich dabei mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen, denn der Weg um den Gegenstand herum ist natürlich länger als der direkte Weg – eine physikalische Unmöglichkeit. „ Das ist in grundsätzliches Problem bei optischen Tarnkappen“, sagt Wegener. „In ihrer idealen Form widersprechen sie den grundlegenden Gesetzen der Physik.“

Anders in trüber Umgebung: Dort werden Lichtstrahlen langsamer. Von den Farbpartikeln im Wasser werden sie ständig reflektiert und abgelenkt, sodass sie einen zufälligen, chaotischen Weg nehmen, wenn sie das Wasser durchdringen. Wegners Tarnkappe reflektiert durch ihre elektrischen Eigenschaften diese Strahlen so, dass der Umweg nicht mehr zu erkennen ist. So wie sie auf der Rückseite des Wassertanks wieder herauskommen, hätten sie auch geradewegs durch ihn hindurchlaufen können.

„Das Prinzip ist inspiriert von der Wärmeleitung“, erklärt Wegener – etwa in einem Metall. Dort nehmen die Elektronen, die die Wärme durch den Stoff transportieren, zufällige Wege. Dasselbe geschieht mit den Lichtstrahlen im Nebel. „Eigentlich ist das eine ganz einfache Analogie“, sagt Wegener. „Als ich die Idee erst einmal hatte, war die Realisierung nicht mehr schwer.“

Das System funktioniert sogar so gut, dass man die Objekte, die unsichtbar gemacht werden sollen, beliebig vergrößern könnte. „Vorausgesetzt, die Tarnkappenschicht wächst entsprechend mit“, sagt Wegener. In seinem Experiment hatte der Zylinder einen Durchmesser von acht Zentimetern, und die Tarnkappenschicht war vier Millimeter dick. Darauf ist Wegener stolz: „Das ist ein ziemlich gutes Verhältnis“, sagt er. „Bei früheren Versuchen war die Tarnschicht teilweise dicker als das Objekt, das man verstecken wollte.“

Die Methode wurde bisher nur im Labor getestet, und Interessenten aus der Wirtschaft gibt es noch nicht. Aber man kann sich Anwendungen vorstellen – vor allem in der Elektronik. Denn ein LCD-Bildschirm wie bei einem Flachbildfernseher ist letztlich nichts anderes als eine diffuse Lichtquelle. Die Drähte oder Kabel unmittelbar dahinter könnte man mithilfe von Wegeners Technik verstecken. Und in modernen Wohn- oder Büroräumen kann man sich Wände vorstellen, die mit organischen LEDs versetzt sind. Sie tauchen den Raum in indirektes Licht und machen Lampen überflüssig. Die Rohre oder Kabel in einer solchen Wand könnten unsichtbar gemacht werden.

Mit ein bisschen Fantasie ist sogar der magische Ring des Hobbits Frodo Beutlin denkbar – freilich mit eingeschränkter Wirkung: In den Nebeln des finsteren Landes Mordor würde er immerhin eine „Lücke“ im Finger produzieren, sobald man ihn anzieht. •

von Henrike Wiemker

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