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Eine Reise an die Ränder der Welt

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Eine Reise an die Ränder der Welt

Suedsudan, Suri_skaliert

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Eine kleine Gruppe Suri hat sich auf ein Hochplateau in den Boma-Bergen des Südsudans zurückgezogen. Auf der Suche nach Wasser und Gras für das Vieh kommt es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen. (Foto: Markus Mauthe/Knesebeck Verlag)

Im Bildband „LOST. Menschen an den Rändern der Welt“ porträtiert Markus Mauthe Menschen von 23 indigenen Völkern. Er besuchte sie in ihren Dörfern im Amazonas und auf ihren Booten vor der Küste Indonesiens. Der Bildband ist Teil eines Projektes: seit Anfang November 2018 läuft der gleichnamige Film im Kino. Außerdem hält Mauthe deutschlandweit Vorträge über seine Reisen. Im Interview erklärt er, warum die Menschen auf seinen Bildern keine T-Shirts tragen und was für ihn guten Tourismus ausmacht.

 

Mit wie vielen Jahren haben Sie das erste Mal auf den Auslöser gedrückt?

Mit 10 Jahren. Das war auf einer Messe am Bodensee. Auf meinem ersten Bild war ein Panzer von der Bundeswehr. Als ich das Foto irgendwann in einem Album wiederentdeckt habe, dachte ich: Ist ja witzig, dass ich ausgerechnet einen Panzer fotografiert habe. Meine Botschaft geht eher in die entgegengesetzte Richtung als Bewaffnung.

Sie haben bisher vor allem Landschaften und Tiere fotografiert. Wie kamen Sie dazu, Menschen an den Rändern der Welt zu portraitieren?

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Seit 16 Jahren bin ich mit Greenpeace unterwegs und habe schwerpunktmäßig immer Lebensräume auf unserer Erde fotografiert: Wälder, Berge, Wüsten. Der Mensch macht diese Lebensräume kaputt. Für mich war der nächste logische Schritt zu schauen: Wie gehen Menschen mit diesem Wandel um, die viel näher mit der Natur leben als wir. Wir sehen uns mit unserer Zivilisation immer im Zentrum, alles dreht sich um uns. Dieses Projekt soll den Blick auf jene richten, die eben nicht im Zentrum stehen. Die keine Stimme haben, übersehen werden und unter dem Wandel sehr leiden. Deshalb haben wir das aus unserer euro-zentristischen Sicht heraus die Ränder der Welt genannt. Wir schauen, was hinter dem Horizont ist.

Foto: Simon Straetker/Knesebeck Verlag

Wie haben Sie Kontakt zu den indigenen Volksgruppen aufgenommen?

Das war sehr unterschiedlich. Ich habe 23 Volksgruppen auf vier Kontinenten besucht. Manche sind an Touristen gewohnt, etwa Gruppen in Äthiopien. Und dann gibt es welche, die weit wegen wohnen von dem, was wir als erreichbar bezeichnen. Da braucht es schon mehr Vorbereitung, viel Recherche im Internet. Ich bin seit 30 Jahren unterwegs und habe einige Kontakte, die mir geholfen haben. Bei so einem Projekt reist man nie allein. Ich hatte immer einen Guide dabei, der die Sprachen der Völker spricht. Ich habe auch Schulungen von Greenpeace durchlaufen, damit ich mit indigenen Völkern richtig umgehe und mit meinem Verhalten keinen Mist baue.

Waren die Menschen sofort damit einverstanden, fotografiert und gefilmt zu werden?

Das ist genauso vielfältig wie die Vielfalt der Leute. Wer Touristen kennt und ein Geschäftsmodell daraus gemacht hat, schminkt sich schön und lässt sich gegen Geld fotografieren. Das ist fair: Diese Menschen können oftmals ihre ursprüngliche Lebensweise nicht mehr leben, weil man ihnen etwa ihr Land geraubt hat. Mit den Fotos kann man ihnen helfen, in dieser Übergangsphase ein gewisses Einkommen zu generieren.

Wie haben Sie das Vertrauen der Menschen gewonnen, die nicht an Touristen gewöhnt sind?

Beim Besuch von 15 der 23 Gruppen, zu denen normale Touristen nicht hinkommen, musste ich sehr behutsam vorgehen. Mein Guide hat mich angekündigt und ausgehandelt, ob ich etwas zahlen oder ein Geschenk mitbringen soll. Dort war ich nicht gleich Fotograf, sondern habe erstmal das Gastrecht genossen. Ich wurde dann langsam Teil des Alltags und habe so nach und nach das Vertrauen der Menschen gewonnen.

„Im Kontakt mit den indigenen Gruppen sind Touristen oftmals die einzige Brücke zur Moderne.“

Ging ein Besuch auch mal schief?

Ein einziges Mal bei den Mursi in Äthiopien. Touristen kommen zu ihnen, bleiben eine Viertelstunde, knipsen fünf Mal, jeder bekommt sein Geld und sie gehen wieder. Ich war jemand, der länger fotografiert hat. Mehr und mehr Leute wollten von mir fotografiert werden und ich wurde bedrängt. Der Kopfschmuck wie Kalibassen und Blumen wurde von Kopf zu Kopf weitergereicht, damit ich möglichst viele Bilder mache. Das hat mich dann an dieser Stelle nervlich an den Punkt gebracht, wo ich von meiner Seite aus abgebrochen habe. Ich war wirklich traurig über meine Rolle und die Rolle der Menschen, die in so eine unschöne Struktur gezwungen werden. Die Leute haben über Jahrtausende kein Geld gekannt, werden jetzt ihrer Lebensgrundlage beraubt und suchen nach neuen Wegen. Das ist ein Kulturclash.

Ist diese Art von Tourismus Segen und Fluch zugleich?

Ich bin selbst ein Vielreisender und sage zu allererst: Reisen ist etwas Gutes. Reisen erweitert unseren Horizont, macht uns toleranter und menschenfreundlicher. Wir bauen Vorurteile und Ängste ab. Würden wir Menschen uns mehr füreinander interessieren, gäbe es weniger Mord und Totschlag auf der Welt. Es geht darum, ein ernsthaftes Interesse an dem Fremdem zu haben. Damit meine ich nicht die Shopping-Reise am Wochenende nach Barcelona. Gerade im Kontakt mit den indigenen Gruppen sind Touristen oftmals die einzige Brücke zur Moderne. Tourismus ist die einzige Chance der Menschen auf ein kleines Einkommen. Das ist nur eine semi-optimale bis gar keine Lösung. Aber auch ohne Touristen würde es den Leuten nicht besser gehen.

Zeugen Reisen in Modelldörfer nur von Schaulust oder sind sie notwendig, um kulturelles Erbe zu erhalten?

Das muss sehr differenziert betrachtet werden. In Myanmar war ich bei den Fischern auf dem Inle-See. Die Kunst des Fischens auf einem Bein hat sich nur wegen der Touristen bis heute erhalten, im Alltag wird sie nicht mehr gebraucht. Wenn sich Menschen wirklich für eine andere Kultur interessieren und diese dadurch am Leben bleibt, ist das in Ordnung. Tourismus muss aber Regeln folgen und gelenkt sein. Wenn er das nicht tut, macht er auf der einen Seite so viel kaputt, wie er auf der anderen zu bewahren hilft. Aber ich hatte keine Begegnung, bei der ich das Gefühl hatte, dass der Tourismus ausschlaggebend für die Zerstörung einer Kultur war.

„Die zivilisierte Welt macht den Planeten kaputt und zwar in einer atemberaubenden Geschwindigkeit.“

Die Vielfalt der Kulturen nimmt ab. Ist das der Lauf der Dinge oder sollten wir etwas dagegen unternehmen?

Das muss man akzeptieren. Unsere Kultur hat sich auch geändert. Das kann man zwar bedauern, aber nicht aufhalten. Was man aber nicht akzeptieren darf ist die Tatsache, dass mit dieser Veränderung der Kultur auch die Natur zerstört wird. Waldrodung und Überdüngung der Flüsse im Amazonas, Klimawandel in Russland, Landraub in Äthiopien, Überfischung in Indonesien – angestoßen wird das durch uns alle. Die zivilisierte Welt macht den Planeten kaputt und zwar in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Diese Zerstörung des Lebensraums vieler indigen Gruppen forciert deren Wandel, denn ohne die Natur können sie nicht in ihrer gewohnten Art und Weise leben. Dazu kommt der natürliche Wandel: die junge Generation ist neugierig auf das Neue und will die Welt außerhalb ihrer Dörfer entdecken. Und doch wäre es schön, wenn sie in ein intaktes Zuhause zurückkehren könnten. Letztlich ist die Not der Indigenen nichts anderes als der Vorbote, wie es uns allen gehen wird. Wir müssen damit rechnen, dass es uns bald ähnlich geht. Man braucht nur an die Trockenheit in diesem Sommer zu denken.

Sie dokumentieren im Bildband die Schönheit dieser Erde und der Menschen. Wieso nicht Dinge, die sie bedrohen?

Das Buch ist der künstlerische Output: Es gehört mir, meiner Seele – ich möchte darin zeigen, wie schön und vielfältig die Erde und menschliche Kulturen sind. Aber auch, wie gefährdet das alles ist. Meine Arbeit soll emotional aufrütteln. Und wenn ich die Leute zum Nachdenken bringe, dann habe ich mein Ziel erreicht. Wenn ich einen Vortrag halte, zeige ich  deshalb auch brennende Wälder.

Wie kamen Sie dazu, ein großes Projekt samt Film aus der Idee zu machen?

Ich habe zwei junge Filmemacher kennengelernt, die mich auf den Reisen begleiteten. Über sie haben wir einen Produzenten bekommen, der an das Projekt geglaubt hat. Thomas Tielsch hat aus über 170 Stunden Material diesen Film gemacht. Er erzählt die Geschichten aus einer anderen Perspektive und ist sehr ehrlich. Und das in einer feinfühligen Art und Weise. Auch im Film kommen die Leute zu Wort, die sonst nicht im Mittelpunkt stehen.

„Wenn ich die Realität verändere, muss ich das in den Bildunterschriften kenntlich machen.“

Auf Ihren Fotos tragen die Menschen keine T-Shirts und moderne Shorts, statt etwa Leopardenfell. Wie wahrhaftig sind die Bilder?

Ich habe nichts verfälscht oder abgelichtet, was es nicht mehr gibt. Wenn ein Mann aber genauso viel Zeit mit wie ohne T-Shirt rumläuft, habe ich ihn für die Foto-Session gebeten, das T-Shirt auszuziehen. Wenn ich in Deutschland eine Hochzeit fotografiere, sage ich dem Brautpaar auch, was es zu tun hat. Ich habe die Menschen, die ich für den Bildband porträtiert habe, nicht anders betrachtet als ein deutsches Hochzeitspaar. Ich gehe als Fotograf da ran und will, dass die Leute schön aussehen und in Würde abgelichtet sind. Es gibt einen künstlerischen Spielraum. Doch wenn ich die Realität verändere, muss ich das etwa in den Bildunterschriften kenntlich machen.

Ergeben sich Motiv und Komposition aus der Situation heraus oder haben Sie ein Foto schon vorher im Kopf?

Ich nehme die Situationen wie sie kommen und setze vor Ort meinen Stil um. Dieser zieht sich durch das ganze Buch: Ich habe sehr viel mit offener Blende gearbeitet, also die Schärfe immer auf die Augen gelegt und den Hintergrund im Unscharfen gelassen. Damit möchte ich an die Seele der Leute herankommen. Außerdem arbeite ich nur unter gewissen Lichtbedingungen: Ich fotografiere nicht im direkten Sonnenlicht, sondern morgens und abends. So vermeide ich harte Schlagschatten und bekomme intensive Farben.

 

Foto: Simon Straetker/Knesebeck Verlag

Über den Fotografen

In Friedrichshafen am Bodensee geboren und aufgewachsen, lebt Markus Mauthe heute in Brasilien. Dort bewirtschaftet er mit seiner Frau eine Kakaofarm. Die von Mauthe gegründete Naturschutzorganisation AMAP (Almada Mata Atlantica Project) pflanzt tropischen Regenwald. Der 49-Jährige bezeichnet sich selbst als Naturfotograf und Umweltaktivist. Seit 16 Jahren fotografiert er für Greenpeace.

 

Markus Mauthe und Florens Eckert
LOST
Menschen an den Rändern der Welt
Knesebeck, München, 2018, € 50,00

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