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Alles Schiebung

Erde|Umwelt

Alles Schiebung
Hot Spots, heiße vulkanische Flecken der Erde wie unter Hawaii oder den Kanarischen Inseln, galten bisher als feste Marken im Geschiebe der Erdplatten. Doch neue Erkenntnisse bringen Unruhe in die irdische Forschung.

Vor fast einem Jahrhundert zog der deutsche Polar- und Geoforscher Alfred Wegener den Menschen den festen Boden unter den Füßen weg. Der Querdenker fand heraus, dass die Erdkruste aus zahlreichen teils kontinentgroßen Platten besteht, die sich unaufhörlich gegeneinander verschieben – wenn auch nur maximal um wenige Zentimeter pro Jahr.

Doch nicht alles soll in Bewegung sein. Die Geowissenschaftler klammerten sich bislang eisern an die Überzeugung, dass es Fixpunkte in der weltweiten Dynamik gibt: die sogenannten Hot Spots. Diese „heißen Flecken”, wo glutflüssiges Gestein aus großer Tiefe aufströmt und einen mehr oder weniger heftigen Vulkanismus verursacht, galten als ortsfest. Deshalb wurden sie als Referenzpunkte genutzt, um die Bewegungen der Kontinente in der Erdgeschichte zu rekonstruieren. Doch auch auf diese letzten Bastionen der Ruhe ist kein Verlass mehr. Immer mehr Untersuchungen belegen, dass die klassische Hot-Spot-Theorie nicht stimmen kann. „Eigentlich müsste man die ganze Plattentektonik neu schreiben”, stellt der Geophysiker Sönke Neben von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover fest.

Die Hypothese von den Hot Spots ist rund 40 Jahre alt. Der kanadische Geologe John Tuzo Wilson und sein amerikanischer Fachkollege Jason Morgan überlegten damals unabhängig voneinander, warum sich die Inseln von Hawaii wie an einer Perlenkette aufreihen. Und: Warum sind sie umso älter, je weiter entfernt sie von der vulkanisch aktiven Hauptinsel liegen, nach der der gesamte Archipel seinen Namen hat? In zwei 1963 und 1971 veröffentlichten Papieren schlugen die beiden Wissenschaftler vor, dass heißes Gestein in einem schlauchförmigen Kanal im Erdmantel aufströmt, sich dieser sogenannte Mantelplume unter der Erdkruste pilzförmig auffächert und schließlich wie ein Schweißbrenner durch das Gestein dringt. Dabei erzeugt er einen heißen Fleck, einen „Hot Spot”. Da die tektonische Platte ständig in Bewegung ist, entstehen nach und nach zahlreiche Vulkane, die sich entgegengesetzt zur Richtung der Plattendrift aufreihen. Es ist, als würde ein Blech über einen Schneidbrenner gezogen. Die Erosion trägt die erloschenen Vulkaninseln schließlich wieder ab, bis sie nach Jahrmillionen unter dem Meeresspiegel verschwinden. So entstehen Inselketten wie die von Hawaii, deren Berge am aktiven Ende hoch aufragen, von dort aus immer flacher werden und sich schließlich unter Wasser als „Emperor Seamounts” den Blicken entziehen. Bereits Ende der Siebzigerjahre hatten die meisten Kollegen Wilsons und Morgans Hypothese akzeptiert. Denn damit ließ sich manches verstehen, was Wegeners Ideen im Dunkeln gelassen hatten. So konnte sie einleuchtend erklären, warum es innerhalb der Platten Vulkanismus gibt und nicht nur an den Rändern. Geowissenschaftler entdeckten in den folgenden Jahren auf der Erde immer mehr „heiße Flecken”. Inzwischen sind es fast 50: von den Kanarischen Inseln über die Eifel vor unserer Haustür bis zu Yellowstone in Nordamerika. Mehr noch: Viele „Schwellen” – Hunderte bis Tausende Kilometer große Gebiete, wo sich die Gesteinskruste weiträumig über die Umgebung hebt – gelten nun als alte Brennspuren. Plumes sollen auf diese Art mindestens 10 Prozent der gesamten Erdoberfläche ihren Stempel aufgedrückt haben, vielleicht sogar 40 Prozent. Auch am Auseinanderbrechen der Kontinente sollen sie beteiligt sein. Mit ihrem Heizstrahl, heißt es, würden sie die Gesteinskruste aufweichen, bis die Platte nachgibt und auseinanderreißt. Gewaltige Plumes, sogenannte Superplumes, sollen außerdem für den heftigen Vulkanismus gesorgt haben, der in der Erdgeschichte immer wieder riesige Gebiete wie das Dekkan-Plateau, das fast die gesamte Südhälfte Indiens umfasst, mit Lava bedeckte.

Aber was ist ein Plume eigentlich? BGR-Seismologe Dieter Franke vermisst eine klare Definition. Er hat 14 Bezeichnungen für unterschiedliche Arten von Plumes zusammengetragen, die allein zwischen 1992 und 2007 veröffentlicht wurden. Die Liste reicht von „fossil plume” und „dying plume” über „baby plume” und „channelled plume” bis zu „pulsating plume” und sogar „cold plume” .

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Die Vielfalt macht stutzig

So vielseitig wie die Wirkung der Plumes an der Erdoberfläche und wie ihr Erscheinungsbild, das die Messinstrumente liefern, so vielfältig ist auch die Terminologie. Das macht stutzig. Immer mehr Forscher zweifeln daran, dass Plumes für all das verantwortlich sein können, was man ihnen in den letzten Jahrzehnten zugeschrieben hat. Manche halten sogar die ganze Plume-Hypothese für falsch. Selbst die beiden grundlegenden Eigenschaften, die Plumes haben sollen, sind in die Schusslinie geraten: dass sie von ganz tief im Erdinneren, wahrscheinlich von der Kern-Mantel-Grenze, aufsteigen, und dass ihr sichtbarer Teil, der Hot Spot, ortsfest ist. Jetzt haben auch BGR-Wissenschaftler kräftig am Theorie-Gebäude gerüttelt. Was sie bei einer Exkursion am Ozeanboden längs der südamerikanischen Küste gefunden haben, lässt sich mit dem Schulwissen partout nicht zur Deckung bringen. Es geht um die Entstehung des südlichen Atlantiks, die bisher als Musterbeispiel einer Ozeangeburt galt. Es hieß, ein Plume habe den Urkontinent Gondwana vor rund 135 Millionen Jahren zerrissen und dabei Afrika von Südamerika getrennt. Der vermeintliche Übeltäter ist noch heute als unscheinbare Vulkaninsel mitten im Atlantik aktiv: Tristan da Cunha. Als nun das BGR-Team um Dieter Franke die vulkanischen Ablagerungen am Meeresboden vor der argentinischen Küste untersuchte, stellten die Forscher überrascht fest: Die alte Vermutung muss falsch sein.

Der Südatlantik hat sich einst wie ein Reißverschluss von Süden nach Norden geöffnet, und zwar schrittweise in jeweils rund 400 Kilometer langen Abschnitten. Am Südende jedes Segments sind die vulkanischen Gesteinsschichten stets besonders mächtig und nehmen nach Norden hin ab – bis zum nächsten Segment, wo sich das Ganze wiederholt. Das passt aber ganz und gar nicht zu der Vorstellung, dass der Hot Spot unter Tristan da Cunha für den heftigen Vulkanismus beim Aufbrechen des Kontinents verantwortlich gewesen sein soll. Denn als sich der Südatlantik zu öffnen begann, lag der heiße Fleck 18 Breitengrade weiter nördlich. Über diese Distanz kann er unmöglich seinen heißen Finger im Spiel gehabt haben. Es widerspricht zudem den physikalischen Gesetzen, dass sich die Naht zum Hot Spot hin geöffnet hat, statt von ihm fort. Die BGR-Forscher sind deshalb überzeugt, dass der Hot Spot unter Tristan da Cunha mit den heftigen Eruptionen vor 135 Millionen Jahren nichts zu tun hatte. Sie vermuten vielmehr, dass zunächst der Kontinent aufbrach – warum auch immer. Erst die damit einhergehende Dehnung und Ausdünnung der kontinentalen Kruste soll den Vulkanismus verursacht haben.

Auch anderswo verlieren die Plume-Anhänger an Boden. Sogar der Vorzeige-Hotspot, der die Inselkette von Hawaii samt den Emperor Seamounts geschaffen hat, ist ins Gerede gekommen. Die New Yorker Geowissenschaftler John A. Tarduno und Rory Cottrell konnten zeigen, dass er nicht ortsfest ist. Stattdessen bewegt er sich mit der beachtlichen Geschwindigkeit von drei bis vier Zentimetern pro Jahr fort – das entspricht etwa dem Tempo, das die Platten selbst vorlegen.

Verräterischer Magnetismus

Für ihre Spurensuche haben die Amerikaner die Magnetisierung des Eruptivgesteins genutzt. Wenn Lava aushärtet, richten sich manche der darin enthaltenen Minerale nach dem Erdmagnetfeld aus. Wie Eisenfeilspäne bilden sie die Feldlinien ab. An ihnen kann man deshalb den Breitengrad ablesen, an dem das Gestein einst erkaltet ist. Am Äquator, wo die Feldlinien horizontal verlaufen, liegen die Kristalle parallel zur Oberfläche, weiter nördlich oder südlich bilden sie dagegen zur Horizontalen einen Winkel, der zu den Polen hin immer größer wird. Auf diese Weise konnten die amerikanischen Forscher zeigen, dass der Hot Spot von Hawaii vor rund 75 Millionen Jahren auf der Breite von 35 Grad Nord lag – weit entfernt von seiner heutigen Position bei 19 Grad Nord.

Schon früher hatten Wissenschaftler gerätselt, warum die Hawaii-Inselkette einen Knick hat. Die herkömmliche Erklärung, dass sich die Bewegungsrichtung der Pazifischen Platte plötzlich geändert hätte, scheint nun nicht mehr zwingend. Vielleicht hat auch der Hot Spot seine Richtung geändert. „Von den rund 50 Hot Spots gelten inzwischen allenfalls noch 7 als ortsfest”, sagt Franke. Bald könnte es kein einziger mehr sein. Denn verbesserte Untersuchungsmethoden – vor allem bei der Datierung von Gestein und der Deutung der Magnetisierung – machen es möglich, die Vergangenheit immer genauer zu rekonstruieren. Dass mit dem Gesetz der Ortsfestigkeit etwas nicht stimmen kann, war schon vorher aufgefallen. Denn es ist unmöglich, das Puzzle der Kontinente im Laufe der Erdgeschichte immer wieder so zusammenzusetzen, dass die Lage der Hot Spots fest bleibt. Außerdem haben Modellierungen gezeigt, dass ein Schlauch aus heißem Gestein, der durch einen sich bewegenden Erdmantel nach oben dringt, nicht wie festgenagelt am selben Ort bleiben würde. Der Plume würde „flackern” wie eine Kerzenflamme im Luftstrom.

Vieles muss auf den Prüfstand

Was die neuen Erkenntnisse für die Vorstellungen vom Erdinneren bedeuten, lässt sich noch nicht absehen. In Expertenkreisen wird derzeit heftig darüber diskutiert, doch eine einheitliche Meinung hat sich noch nicht herauskristallisiert. Auf jeden Fall müssen viele Überzeugungen, die bislang als halbwegs gesichert galten, wieder auf den Prüfstand. Zum Beispiel, dass die Plumes von der Kern-Mantel-Grenze aufsteigen: Wenn die Hot Spots nicht ortsfest sind, können Plumes genauso gut in geringerer Tiefe entstehen.

Auch die Erkenntnisse, die man aus der vermeintlichen Ortsfestigkeit der Hot Spots abgeleitet hat, bedürfen einer Korrektur. Denn der „Referenzrahmen”, den die heißen Flecken geliefert hatten, um die einstige Lage der Kontinente zu rekonstruieren, ist aus den Fugen geraten. Alles, was daraus abgeleitet wurde – von der Klimageschichte bis zur Wanderung der Pole –, enthält somit Fehler. Es knirscht gewaltig im Getriebe der Geowissenschaften. ■

KLAUS JACOB ist von der ständigen Unruhe der Erde fasziniert. 2006 berichtete er für bdw über spektakuläre Vulkanausbrüche.

von Klaus Jacob

GUT ZU WISSEN: PLATTENTEKTONIK

Die Plattentektonik ist eine zentrale Theorie der Geologie und Geophysik. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Lithosphäre, die einige Dutzend Kilometer dicke oberste Schicht der Erde, aus mehreren Platten besteht, die sich relativ zueinander bewegen. Neben sieben großen Platten – der Eurasischen, Afrikanischen, Nord- und Südamerikanischen, Pazifischen, Australischen und Antarktischen Platte – gibt es etliche kleinere Platten. Diese Fragmente der Erdkruste bewegen sich je nach Region aufeinander zu, voneinander weg oder schrammen aneinander vorbei. Angetrieben werden sie durch die Konvektion zähflüssiger Materie im Erdmantel unterhalb der Lithosphäre. An mittelozeanischen Rücken quillt das Mantelgestein bis zur Erdoberfläche, bildet neues Krustenmaterial und schiebt die angrenzenden Platten auseinander. An Subduktionszonen – etwa in Tiefseegräben –, wo zwei Platten aufeinander stoßen, taucht die Erdkruste wieder in den Mantel ab. Entlang der Plattengrenzen verlaufen ausgedehnte vulkanisch aktive Regionen. Die Entstehung von Vulkanen inmitten einer Erdplatte führen die Forscher auf Hot Spots zurück, unter denen auf engem Raum heißes Mantelmaterial an die Erdoberfläche dringt. Als Begründer der Plattentektonik-Theorie gilt der deutsche Forscher Alfred Wegener, der 1915 als Erster eine Drift der Kontinente postulierte.

MEHR ZUM THEMA

Lesen

Sehr gute Übersicht zum Vulkanismus, mit Kapiteln zu Plattentektonik und Hot Spots: Hans-Ulrich Schmincke VULKANISMUS Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2000, € 24,90

Populärwissenschaftlicher Überblick zu allen geologischen Vorgängen der Erde: Peter Rothe DIE ERDE Primus-Verlag, Darmstadt 2008, € 39,90

INTERNET

Homepage der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover: www.bgr.bund.de

Exakte Koordinaten und geschätztes Alter der bislang bekannten Hot Spots: de.wikipedia.org/wiki/ Liste_identifizierter_Hot_Spots

Interaktive Weltkarte mit Plattengrenzen, Erdbebenzonen und Vulkanen: mineralsciences.si.edu/tdpmap

Animation der möglichen Verschiebung der Kontinentalplatten in den nächsten 250 Millionen Jahren: earth.rice.edu/MTPE/geo/geosphere/ topics/plate_tectonics/plate_future.html

KOMPAKT

· Die bisherige Vorstellung, dass Hot Spots ortsfeste Punkte unter den wandernden Kontinentalplatten sind, ist falsch.

· Die meisten Hot Spots bewegen sich.

· Vielleicht muss die ganze Theorie der Plattentektonik umgeschrieben werden.

Die Heissen Flecken DER ERDE

Fast 50 Hot Spots haben die Wissenschaftler bisher identifiziert (rote Punkte). Die meisten davon, die alle vulkanisch aktiv sind oder waren, liegen unter den Ozeanen. Viele haben Inseln hervorgebracht, etwa die Kanaren und Azoren im Nordatlantik und die pazifische Inselkette von Hawaii. Auch in Deutschland gibt es einen Hot Spot: Er hat vor 10 bis 50 Millionen Jahren die Kratermaare der Eifel erzeugt. Unter den großflächigen, in der Karte rot markierten Bereiche werden „ Mantelplumes” vermutet, in denen tief aus dem Erdinneren heiße Materie aufquillt. In der Erdgeschichte sind in diesen Gegenden gewaltige Mengen von Lava ausgeflossen.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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