Die Entwicklung des Lebens auf der Erde verlief keineswegs problemlos – im Gegenteil: Immer wieder dezimierten Massenaussterben die irdische Lebenswelt und brachten sie teilweise sogar an den Rand der kompletten Vernichtung. Bis zu 90 Prozent aller Organismenarten starben bei den schlimmsten Ereignissen dieser Art. Bekannteste Opfer des letzten großen Massenaussterbens waren vor rund 65 Millionen Jahren die Dinosaurier. Allerdings: Diese katastrophalen Ereignisse bedeuteten immer auch eine neue Chance für das Leben. Denn die vielen freigewordenen ökologischen Nischen ermöglichten es neuen Tier- und Pflanzenarten, sich auszubreiten und weiterzuentwickeln. Bisher strittig war allerdings, ob es auch nach dem Ende der Kreidezeit vor 65 Millionen Jahren weitere größere Aussterbeereignisse gegeben hat. Ein Kandidat dafür wäre theoretisch der Übergang vom Pliozän zum Pleistozän vor rund 2,6 Millionen Jahren. Denn damals begann das Eiszeitalter und damit eine weltweite Abkühlung des Klimas, begleitet von tiefgreifenden Veränderungen der Meeresspiegel, der Küsten und auch der Ozeanchemie und Meeresströmungen.
Plötzlicher Anstieg des Artenschwunds
„Bisher allerdings nahm man an, dass die marine Artenvielfalt diese Umweltveränderungen weitgehend unbeschadet überstanden hat“, sagen Catalina Pimiento von der Universität Zürich und ihre Kollegen. Zwar gab es Hinweise auf das regionale Aussterben einiger Tierarten, darunter dem Riesenhai Carcharocles megalodon oder den Seekühen des Mittelmeeres. Doch dies galt bislang als normal in Rahmen des Evolutionsgeschehens. Ob nicht doch mehr dahintersteckt, haben nun Pimiento und ihre Kollegen untersucht. Für ihre Studie verglichen sie die Aussterberaten der marinen Megafauna vor, während und nach dem Beginn des Eiszeitalters. Sie berücksichtigten dafür mehr als 11.000 bekannte Aussterbeereignisse auf Gattungsebene, unter anderem bei Walen und anderen Meeressäugern, aber auch bei Schildkröten, Meeresvögeln und Haien.
Das Ergebnis: Zwar schwankten die Aussterberate während der gesamten Erdneuzeit immer wieder leicht, doch nur am Übergang vom Pliozän zum Pleistozän gab es einen abrupten Anstieg: Die Aussterberaten bei den großen Meerestieren stiegen um das Dreifache an, wie die Forscher berichten. Ihrer Ansicht nach spricht dies dafür, dass es vor gut zwei Millionen Jahren ein bisher unerkanntes Massenaussterben im Meer gegeben hat. „Wir konnten aufzeigen, dass etwa ein Drittel der marinen Megafauna vor rund drei bis zwei Millionen Jahren verschwand“, sagt Pimiento. Demnach verloren Meeressäuger rund 55 Prozent ihrer Artenvielfalt, die Meeresschildkröten büßten 43 Prozent der Arten ein. Unter den Meeresvögeln verschwanden 35 Prozent der Arten und bei den Haien neun Prozent. Die genetische Vielfalt der Megafauna sank dadurch weltweit um 15 Prozent ab, wie die Forscher ermittelten.
Lebensraum geschrumpft
Was aber war der Grund für dieses Aussterben vor allem der großen Meerestiere? Die Wissenschaftler führen dies auf die tiefgreifenden Veränderungen im Hauptlebensraum der marinen Megafauna zurück: Die meisten von ihnen lebten in den flachen Küstenmeeren der Schelfgebiete. Doch genau diese küstennahen Zonen veränderten sich zu Beginn des Pleistozän vor gut zwei Millionen Jahren besonders stark: Das beginnende Eiszeitalter löste eine globale Abkühlung aus und ließ den Meeresspiegel sinken. Dadurch jedoch schrumpfte plötzlich die flache Schelfzone der Ozeane stark zusammen – und damit auch der Lebensraum für die großen Meeresbewohner. „Damals verringerte sich die Flachwasserfläche von 79,1 Millionen Quadratkilometer im Pliozän auf nur noch 57,9 Millionen Quadratkilometer im Pleistozän – dies entspricht einer Abnahme um 27 Prozent“, berichten Pimiento und ihre Kollegen. Zusammen mit den Veränderungen der Meeresströmungen und der Produktivität der Ozeane könnte dieser Verlust des Lebensraums das Massenaussterben am Ende des Pliozäns verursacht haben, erklären die Forscher.
Diese Ereignisse könnten auch erklären, warum der Riesenhai Carcharocles megalodon vor rund 2,6 Millionen Jahren ausstarb. Der bis zu 18 Meter lange Raubfisch hat möglicherweise einfach nicht mehr genügend Beute gefunden, weil viele Meeressäuger und auch Pinguinarten ausstarben. „Unsere Modelle ergaben, dass besonders Warmblüter mit hohem Energiebedarf eine größere Aussterbewahrscheinlichkeit hatten“, erklärt Pimiento. „So verschwanden etwa diverse Seekuh- und Bartenwalarten sowie der Riesenhai Carcharocles megalodon.“ Gleichzeitig enthüllt die Studie, dass die großen Meerestiere und vor allem die Meeressäuger sensibler auf Umweltveränderungen reagieren als bisher angenommen. Das wiederum wirft auch ein neues Licht auf die Anfälligkeit dieser Tierarten gegenüber dem aktuellen Klimawandel: „Wenn sich der anthropogenen Klimawandel weiter beschleunigt und die Küstenökosysteme verändert, sollten die potenziellen Folgen für die marine Megafauna nicht unterschätzt werden“, warnen die Forscher.