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Bohrung in den Bebenherd

Erde|Umwelt

Bohrung in den Bebenherd
In Kalifornien entsteht zurzeit ein einzigartiges Erdbeben-Observatorium: Eine Bohrung stößt dort erstmals direkt ins Herz einer aktiven Verwerfung vor.

So nah ist noch niemand einem Erdbebenherd gekommen. Nur 420 Meter trennen die Messgeräte von William Ellsworth von einem drei Kilometer tiefen, fußballfeldgroßen Bereich der San-Andreas-Verwerfung, wo es regelmäßig zu schwachen Erdbeben kommt. 420 Meter sind dem Geophysikers vom Geologischen Dienst der USA (US Geological Survey, USGS) aber nicht nah genug: „Noch dieses Jahr wollen wir unsere Seismometer bis auf 50 Meter an die Beben heranbringen.“

Das Loch, in dem die Instrumente versenkt werden, ist fertig. Es befindet sich im idyllischen Cholame Valley, mitten im Nirgendwo von Zentralkalifornien. Der nächste Ort, Parkfield, ist zehn Meilen entfernt; bis Los Angeles und San Francisco fährt man vier Stunden. In dieser abgelegenen Gegend wollen Ellsworth und ein internationales Team aus über 100 Geowissenschaftlern herausfinden, was genau sich tief in der Erde abspielt, wenn eine Verwerfung bricht. Zu diesem Zweck haben die Forscher ein weltweit einzigartiges Erdbebenobservatorium gebaut – unter der Erde. Das San Andreas Fault Observatory at Depth (SAFOD) soll die physikalischen und chemischen Eigenschaften und das mechanische Verhalten einer aktiven Störungszone erstmals direkt am Ort des Geschehens beobachten. „Wir haben historische Erdbeben untersucht, Computermodelle erstellt, Erdbeben im Labor erzeugt, Erdbeben aus der Ferne studiert – aber wir waren noch nie im Inneren der Erdbebenmaschine“, sagt Ellsworth.

Das einsame Cholame Valley wurde von den Forschern deshalb ausgesucht, weil der dortige Abschnitt der San-Andreas-Verwerfung zwar auch starke Erdbeben produziert, hauptsächlich aber in kürzeren Abständen schwache Beben bis zur Magnitude 2 auf der Richterskala. Sie haben ihren Herd nur wenige Kilometer unter der Erdoberfläche und sind damit für die Bohrung erreichbar. Alle paar Monate schieben sich die Pazifische und die Nordamerikanische Platte hier um etwa einen Zentimeter aneinander vorbei.

Der Vorstoß in die „Erdbebenmaschine“ begann bereits im Sommer 2004 – 1,8 Kilometer westlich der San-Andreas-Verwerfung. Von dort aus drang der Bohrmeißel zunächst 1450 Meter senkrecht nach unten in das harte Granitgestein der Pazifischen Platte, dann lenkten die Ingenieure die Bohrung seitlich ab. Unter einem Winkel von 55 Grad tauchte sie schräg nach Nordosten und durchquerte dabei die aktive Störung und die Zone der Mikrobeben. Danach drang sie noch einige Hundert Meter in Sedimentgestein vor, das bereits zur Nordamerikanischen Platte gehört. Ende August 2005 erreichte das Bohrloch seine Endtiefe von 3987 Metern.

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Zusammen mit einer 2200 Meter tiefen Pilotbohrung bildet es das künftige unterirdische Erdbebenobservatorium. Seismographen, Neigungs- und Beschleunigungsmesser, Druck- und Temperatursensoren sowie Spannungsmessgeräte sollen jedes Zittern, jede noch so kleine Veränderung in der Tiefe genau registrieren. Die Forscher wollen mehrere komplette Erdbebenzyklen beobachten: Wie sich die Spannung in der Kruste zunächst langsam aufbaut, dann plötzlich wieder entlädt, und wie sich das Gestein danach allmählich an den neuen Zustand anpasst. „ Alles was wir über Erdbeben wissen, stammt von der Erdoberfläche, vom elastischen Teil des Prozesses“, sagt Ellsworth. „Mit SAFOD sehen wir erstmals den inelastischen Teil des Prozesses, bei dem das Gestein tatsächlich bricht.“

Der Geophysiker ist einer der drei wissenschaftlichen Leiter des Projekts, das nach jahrelanger Vorbereitung nun erste Daten liefert. So misst ein faseroptischer Spannungsmesser innerhalb des Rohrs Deformationen und Spannungen im Boden. Die Forscher haben auch Seismometer und Neigungsmesser ins Bohrloch hinab gelassen, Temperatur- und Druckmessgeräte sollen noch folgen.

Bereits während der Bohrphase konnten die Forscher erste Ergebnisse gewinnen. Sie fanden, dass die Verwerfung an der Stelle der SAFOD-Bohrung mechanisch geschwächt ist. „Schon geringe Scherkräfte reichen offenbar aus, um die Bruchzone in Bewegung zu versetzen“, sagt Thomas Wiersberg vom Geoforschungszentrum Potsdam, der bei allen bisherigen Bohrphasen vor Ort war. Ein Beleg für die fehlende Widerstandskraft der Verwerfung ist ihre geringe Wärmeproduktion: Wissenschaftler um Colin Williams vom USGS registrierten im Hauptloch in einer Tiefe von zwei Kilometern eine nur unwesentlich höhere Temperatur als in der Pilotbohrung, 800 Meter weiter von der Störungszone entfernt. Das ist erstaunlich: Zwei tektonische Platten, die dicht ineinander verzahnt sind, sollten eigentlich eine beträchtliche Reibungswärme produzieren, wenn sie in Bewegung geraten.

Bislang hatten die Forscher vermutet, dass unter Druck stehende Fluide, die aus größerer Tiefe aufsteigen, die Wärme ableiten und die Bewegungen an der San-Andreas-Verwerfung schmieren. Dafür ergaben sich während der Bohrung allerdings keine Hinweise. „Unseren Messungen zufolge stammt nur ein überraschend geringer Anteil der Fluide aus dem Erdmantel“, sagt Geochemiker Wiersberg. Er vermutet, dass die Störungszone sogar eher als Barriere für Flüssigkeiten wirkt. „Sie behindert sowohl den Aufstieg als auch den seitlichen Austausch zwischen den beiden Platten. Das hätten wir nicht erwartet, und wir haben noch keine Erklärung dafür.“ Eine weitere Überraschung war die vergleichsweise hohe Wasserstoff-Konzentration in der Störungszone. „Womöglich ist Wasserstoff ein Indikator für seismische Aktivität“, spekuliert Wiersberg.

Wo die Störungszone genau liegt, wissen die Forscher bereits: Erste Verformungen des Bohrlochs, unerwartetes Sedimentgestein und die chemische Signatur der Flüssigkeiten und Gase ließen erkennen, dass die Übergangszone zwischen den beiden Platten zwischen 2800 und 3500 Metern Bohrlochtiefe liegt. Diesen Bereich wollen die SAFOD-Forscher während des kommenden Jahres intensiv beobachten, denn im Sommer 2007 folgt die letzte Phase der Bohrung. Mehrere jeweils 250 Meter lange seitliche Bohrungen sollen dann aus der Hauptbohrung in die aktivsten Stellen der Verwerfung getrieben werden. Die Geologen warten gespannt auf die Bohrkerne. Denn bei der Hauptbohrung wurden nur wenige solcher Kernproben genommen. Die seitlichen Ableger sind auch für die weiteren Messungen wichtig. Einer der Tunnel bleibt unverrohrt, um dort die Zusammensetzung von Gasen und Flüssigkeiten direkt in der Verwerfung kontinuierlich beobachten zu können.

Letztlich dienen die aufwendigen Untersuchungen vor allem einen Zweck: „Wir wollen herausfinden, ob sich Erdbeben überhaupt vorhersagen lassen – und wenn ja, wie“, sagt Stephen Hickman vom USGS. Wie schwierig dies ist, zeigt ein Blick ins Städtchen Parkfield. Nach einer Serie von sechs mittelstarken Beben der Magnitude 6 in 150 Jahren wagten die USGS-Geologen Bill Bakun and Al Lindh 1985 die Prognose, dass dort spätestens Anfang der Neunzigerjahre das nächste Beben stattfinden würde. Um es „ einzufangen“, begann der USGS damals, die Gegend mit Messinstrumenten zu pflastern. Doch die Erdstöße ließen bis zum 28. September 2004 auf sich warten – warum, ist nach wie vor rätselhaft. ■

Ute Kehse

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