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„DIE SCHMERZGRENZE IST nOCH NICHT ERREICHT“

Erde|Umwelt Technik|Digitales

„DIE SCHMERZGRENZE IST nOCH NICHT ERREICHT“
Rohöl und Erdgas kosten so viel wie nie – und werden wohl noch teurer. Dabei gibt es genug Reserven. Und: In der Arktis schlummern gewaltige Kohlenwasserstoff-Vorräte. bild der wissenschaft im Gespräch mit den Rohstoffexperten Hilmar Rempel und Dieter Franke.

bild der wissenschaft: Als wir vor drei Jahren das letzte Interview führten, bezweifelten Sie, dass der Ölpreis dauerhaft bei 60 Dollar pro Barrel bleiben wird. Am 17. März erreichte er kurzzeitig bereits 111 Dollar. Warum haben Sie sich so getäuscht, Herr Rempel?

Rempel: Meine damalige Einschätzung beruhte auf der Abwägung von Ölangebot und Ölnachfrage. Tendenziell habe ich nicht falsch gelegen. Entscheidend für die aktuelle Entwicklung sind andere Gründe. Einmal gibt es zunehmende Spekulationsgeschäfte – auch vor dem Hintergrund internationaler Konflikte in der Golfregion, wo zwei Drittel der konventionellen Ölreserven sind. Ein weiterer Aspekt ist die Talfahrt des US-Dollars, der gegenüber dem Euro deutlich schwächer geworden ist und damit die auf dem Dollar basierenden Öl-Produktionskosten erhöht.

bdw: Welchen Einfluss hat der chinesische Wirtschaftsboom auf den Weltölmarkt?

Rempel: 2003 verbrauchte China 259 Millionen Tonnen Rohöl, drei Jahre später waren es schon 350 Millionen Tonnen. Das sind rund 90 Millionen Tonnen mehr. Die USA verbrauchen demgegenüber rund 900 Millionen Tonnen. Die Explosion des Ölpreises von unter 30 Dollar im Jahr 2003 auf die gegenwärtige Höhe ist für mich durch den chinesischen Wirtschaftsboom allein sicher nicht zu erklären.

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bdw: Es gibt also gar keine Verknappungstendenzen?

Rempel: Angebot und Nachfrage halten sich noch immer die

Waage. Das sieht die OPEC im Übrigen nicht anders: Für sie ist der

Ölmarkt ausgeglichen. Natürlich ist es den OPEC-Staaten auch recht, wenn das Öl teurer verkauft werden kann.

bdw: Gibt es vielleicht sogar neue Produzenten?

Rempel: Angola und Brasilien fördern neuerdings größere Mengen im Offshore-Bereich. Auch in Russland hat die Förderung seit dem Jahrtausendbeginn jährlich um rund fünf Prozent zugelegt. Das wird allerdings nicht so bleiben, sondern die Förderung wird demnächst stagnieren. Konkret: In der russischen Energieanalyse bis 2030 wird klar gesagt, dass es nicht gelungen ist, den erwarteten Zuwachs an Ölreserven zu realisieren.

bdw: Die Gründe?

Rempel: Die Exploration wurde vernachlässigt – und möglicherweise waren die Explorationsvorhaben auch nicht so erfolgreich wie erhofft.

bdw: 2004 verbrauchten die Menschen 3,8 Milliarden Tonnen Rohöl – bei insgesamt 160 Milliarden Tonnen Reserven. Wie sieht diese Relation inzwischen aus?

Rempel: Obwohl 2005 und 2006 zusammen weitere 7,7 Milliarden Tonnen Rohöl verbraucht wurden, nahmen die Weltreserven an konventionellem Erdöl auf 163 Milliarden Tonnen zu. Die Zahlen für 2007 liegen noch nicht vor. Doch tendenziell dürfte sich nicht viel verändert haben. Auf dem Erdgassektor sieht es ähnlich aus. Auch da sind die Reserven trotz des Verbrauchs um gut zwei Prozent gestiegen.

bdw: Andere Experten befürchten, dass der „Peak Oil“ weltweit bereits erreicht ist. Der Fachbegriff steht für den Zeitpunkt, ab dem die maximal geförderte Jahresmenge erreicht ist. Der Peak Oil wird deshalb gefürchtet, weil anschließend die Nachfrage das Angebot stark übersteigen dürfte und dadurch die Preise explodieren würden.

Rempel: Dieser Punkt wird wohl nicht deutlich vor 2020 erreicht.

bdw: Bedeutende Ölfunde auf dem Festland sind dennoch bereits Geschichte.

Rempel: Die Chancen für nennenswerte Neufunde stehen in der Tat nicht schlecht. Einzelne Funde sind sicher noch drin, allerdings nicht genug, um die gegenwärtigen Festlandsreserven deutlich aufzustocken.

bdw: Anders ist das aber doch im Offshore-Bereich. Neuerdings wird der arktische Schelf als wichtiges Kohlenwasservorkommen genannt.

Franke: Der Rückgang der Eisbedeckung in den arktischen Meeren mag erschreckend sein, wenn es um klimatische Auswirkungen auf Fauna und Flora geht. Doch die Kohlenwasserstoff-Branche sieht diese Entwicklung positiv. Einmal entstehen durch die zunehmende Eisbefreiung neue Transportwege. Auch die Exploration wird einfacher, wenn die Gebiete häufiger eisfrei sind. Es deutet sich an, dass dort eine neue Erschließungswelle bevorsteht.

bdw: Gibt es in der Arktis schon eine nennenswerte Öl- und Gasproduktion, Herr Franke?

Franke: Als Arktis bezeichnet man das Gebiet nördlich des Polarkreises, das 21 Millionen Quadratkilometer umfasst und dreigeteilt ist: Ein Drittel ist Tiefwassergebiet, das für die Öl- und Gasproduzenten nicht interessant ist. Ein Drittel ist Schelf. Und ein Drittel ist Festland. Obwohl auch das Festland oft schwer zugänglich ist, gibt es dort bereits 550 produzierende Felder – überwiegend auf russischem Gebiet –, die 15 Prozent des Weltjahresproduktion von Erdöl und -gas liefern. Die Schelfgebiete sind wenig untersucht, und der geologische Aufbau ist kaum verstanden. Ausnahmen sind die Barentssee vor Norwegen und Russland, die südliche Karasee vor Russland sowie der Alaska-Sektor.

bdw: Der US-amerikanische Geologische Dienst schätzt, dass bis ein Viertel der weltweiten Öllagerstätten unter der Arktis liegen.

Franke: Ich interpretiere das als eine sehr vage Schätzung. Denn offen bleibt dabei, ob es sich um ein Viertel aller Weltreserven handelt oder um ein Viertel der unentdeckten Reserven.

Rempel: Ich gehe davon aus, dass es sich um ein Viertel der noch nicht nachgewiesenen Reserven handelt, also um Ressourcen. Die Ressourcen insgesamt sind etwa halb so groß wie die Reserven.

bdw: Sie haben für die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zusammen mit Russen die Laptewsee untersucht. Ihre jüngsten Veröffentlichungen dazu sind 2004 erschienen und enthalten interessante Resultate.

Franke: Ich hatte das große Glück, vor elf Jahren an einer Expedition teilnehmen zu können, die uns in die Laptewsee und Ostsibirische See führte. Inzwischen sind westliche Wissenschaftler bei solchen Fahrten wieder ausgeschlossen. Wir haben im Wesentlichen reflexionsseismische Daten gesammelt: Dazu erzeugt man künstliche Mini-Erdbeben und registriert die davon ausgehenden Wellen über ein kilometerlanges Kabel, das ein Schiff hinter sich her schleppt. Die reflektierten Wellen offenbaren dem Fachmann ein Abbild der geologischen Strukturen im Untergrund, die viel über das Lagerstättenpotenzial aussagen.

bdw: Mit welchen Ergebnissen?

Franke: Unsere Untersuchungen haben dazu geführt, dass die geologischen Karten umgezeichnet werden mussten und einstmals weiße Flecken farbig werden konnten. Wir haben die Dicke der Sedimentfüllung bestimmt, die für die Entstehung von Kohlenwasserstoffen relevant ist und bis zwölf Kilometer beträgt. Wir konnten die Schichten in ein geologisches Zeitalter einordnen. Das ist sehr wichtig, um überhaupt zu wissen, ob Erdöl und -gas entstehen konnten. Und wir haben in unseren Daten einige direkte Anzeichen für Kohlenwasserstoff identifiziert.

bdw: Heißt das, die Laptewsee ist heute ein so vielversprechendes Kohlenwasserstoff-Reservoir, wie es die Nordsee vor 45 Jahren war?

Franke: Nein. Die Sedimente sind jünger als die in der Nordsee und damit weniger produktiv. Das stuft die Wahrscheinlichkeit für große Funde deutlich herunter. Der US-geologische Dienst schätzt für die Laptewsee drei Milliarden Barrel — also gut 400 Millionen Tonnen Erdöl — und 117 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Diese Vorkommen sind groß genug, dass die Industrie an ihnen Interesse haben könnte. Aber eine Bonanza ist es nicht.

bdw: Das entspricht dem Jahreserdgasverbrauch Deutschlands und dem Vierfachen unseres Ölverbrauchs?

Rempel: In etwa.

bdw: Welche Umweltrisiken bergen Explorationen in der arktischen See?

Franke: Die Umwelt ist dort besonders sensitiv. Deshalb werden die Exploration und vor allem die Lagerstättenausbeutung sehr teuer sein.

Rempel: Wenn moderne Standards angewandt werden, fließt vom geförderten Öl nichts ins Wasser. Selbst das bei der Bohrung anfallende Bohrklein – also die mitgeförderten Gesteinsfragmente — werden nicht mehr wie früher ins Meer gekippt. Wir haben die Technologie, wirklich sauber zu produzieren.

bdw: Sind die geologischen Gegebenheiten der Laptewsee auf andere Schelfregionen der Arktis übertragbar?

Franke: Die meisten Regionen sind völlig anders beschaffen und wahrscheinlich geologisch älter. Damit haben sie ein höheres Kohlenwasserstoffpotenzial als die Laptewsee. Insgesamt gilt: Unsere Kenntnisse über den Untergrund des arktischen Ozeans – auch auf der Westhemisphäre – sind äußerst gering. Das hängt schlicht damit zusammen, dass die bisherige Eisbedeckung reflexionsseismische Untersuchungen kaum zuließ. Da halfen weder seismische Erkundungen via U-Boot noch Satelliten weiter. An die erforderlichen Messdaten kommen wir nur über den Schiffsweg heran.

bdw: Was werden die kommenden Jahre bringen?

Franke: Russland hat ein Programm zur detaillierten Vermessung seiner Schelfgebiete aufgelegt. Auch die Industrie ist beim derzeitigen Ölpreis extrem interessiert, schleunigst alle noch nicht erforschten Gebiete auf Kohlenwasserstoff-Lagerstätten zu untersuchen.

bdw: Zum Schluss des Gesprächs die entscheidende Frage: Wo liegt der Ölpreis in fünf Jahren?

Rempel: Wenn ich das wüsste, bräuchte ich nicht mehr hier zu sitzen. Von mir hören Sie keine Einschätzung. Es gibt Spekulationen in die unterschiedlichsten Richtungen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) spricht von bis zu 200 Millionen Dollar in den nächsten zehn Jahren. Ein Worst-Case-Szenario des DIW besagt, dass der Ölpreis zeitweilig sogar bis auf 300 Dollar pro Barrel steigen könnte.

Franke: Eines haben wir bei den zurückliegenden Diskussionen um einen hohen Ölpreis falsch eingeschätzt: Der Ölpreis von 100 Dollar pro Barrel stellt für uns in Deutschland kein echtes Problem dar: Von einer Schmerzgrenze, die beim Autofahren zum Umdenken führt, kann keine Rede sein.

Rempel: Durch den hohen Steueranteil beim Kraftstoff spüren wir die deutliche Erhöhung bei Weitem nicht so drastisch im Geldbeutel wie etwa die Autofahrer in den USA. Dort scheint man jetzt wirklich über alternative Treibstoffe nachzudenken.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■

Ohne Titel

arbeitet seit 1990 als Experte für weltweite Rohstoffstatistiken bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover. Ein Schwerpunkt des

Diplom-Geologen (Jahrgang 1945) mit Studium in der aserbaidschanischen Stadt Baku am Kaspischen Meer ist die Verfügbarkeit von Erdöl, Erdgas und anderen

Energierohstoffen.

Ohne Titel

ist promovierter Physiker und Fachmann für seismische Messverfahren im Meer. Franke (Jahrgang 1966) arbeitet bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Ende der Neunzigerjahre hatte er die für einen Wissenschaftler aus dem Westen höchst seltene Chance,

im russischen Eismeer geophysikalische Untersuchungen

vornehmen zu können.

ROHÖL-RESERVEN 2006: DIE TOP 10 UND DIE WELT

2006 lag der Weltrohölverbrauch bei 3,9 Milliarden Tonnen. Rein rechnerisch reichen die konventionellen Erdölreserven – wie schon vor Jahrzehnten – noch für Jahrzehnte. Dennoch: Das Fördermaximum wird bereits um das Jahr 2020 erwartet. Danach klaffen Angebot und Nachfrage immer weiter auseinander. Das dürfte den Ölpreis nochmals nach oben katapultieren.

ERDGAS-RESERVEN 2006: DIE TOP 10 UND DIE WELT

Im Zeitraum 1980 bis 2004 wuchs der Welterdgasmarkt pro Jahr um durchschnittlich 2,6 Prozent (Öl: 0,9 Prozent). Dennoch sind die Gaslagerstätten noch gut gefüllt. Trotz des vehement gestiegenen Absatzes reichen sie rechnerisch heute länger als vor 20 Jahren. Dividiert man die heute bekannten Vorräte durch den aktuellen Erdgasverbrauch und vergleicht diese Relation mit den Werten von 1986, so reichen die Reserven nun 63 Jahre. 1986 betrug diese Perspektive lediglich 57 Jahre.

LAPTEWSEE – VIELLEICHT KOMMT VON DORT BALD UNSER ÖL

Seit ein paar Jahren wird im Arktischen Ozean und seinen Nebenmeeren intensiv nach Kohlenwasserstoffen gesucht. Die Karte zeigt die Messrouten von Erkundungsschiffen, die die Geologie unter der Laptewsee sowie der Ostsibirischen See mit seismischen Methoden untersucht haben. Vorläufiges Ergebnis: Die Lagerstätten sind so groß, dass sich die Ausbeutung dort lohnt.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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Torf|moos  〈n. 11; unz.; Bot.〉 Laubmoos sumpfiger Standorte, das große, an der Oberfläche weiterwachsende Polster bildet, während die tieferen Schichten in Torf übergehen: Sphagnum; Sy Sumpfmoos … mehr

Te|le|fon|seel|sor|ge  〈f. 19; unz.〉 Form der Seelsorge durch ein Telefongespräch, wobei den anonym bleibenden Anrufern geistl. Beratung in allen Lebensbereichen zuteil wird

pi|a|nis|si|mo  〈Mus.; Abk.: pp〉 sehr leise (zu spielen) [ital.]

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