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Fossiler Affe beleuchtet Fortbewegung unserer Urahnen

Erde|Umwelt

Fossiler Affe beleuchtet Fortbewegung unserer Urahnen
Danuvius
Knochen des im Allgäu entdeckten Urzeit-Affen Danuvius guggenmosi. (Bild: Christoph Jäckle)

Bisher war strittig, wie sich der aufrechte Gang der ersten Vormenschen entwickelt hat – aus dem Klettern oder aus dem vierbeinigen Laufen am Boden. Jetzt könnte ein im Allgäu entdecktes, gut elf Millionen Jahre altes Affenfossil die Antwort darauf liefern. Denn der Danuvius guggenmosi getaufte Urzeit-Affe konnte dank seiner langen Arme und Greifhände zwar durch die Kronen schwingen. Gleichzeitig aber besaß er Beine und Hüften, die einen echten aufrechten Gang ermöglichten – er konnte im Gegensatz zu heutigen Menschenaffen seine Beine komplett durchstrecken. Danuvius nutzte damit eine einzigartige, zuvor unbekannte Fortbewegungsweise, die für die letzten gemeinsamen Vorfahren der Menschen und Menschenaffen typisch gewesen sein könnte.

Schon seit der Zeit des Charles Darwin diskutieren Wissenschaftler darüber, wie sich der aufrechte Gang entwickelt hat: Ging er aus dem Knöchelgang hervor – der Fortbewegungsweise, die noch heute unsere engsten Verwandten, Gorillas und Schimpansen, bevorzugen? Oder bereitete das Leben auf den Bäumen und das Schwingen von Ast zu Ast unsere Vorfahren auf das zweibeinige Laufen vor? Zwar gibt es für beides Argumente und Indizien, eindeutige Belege für die eine oder andere Theorie fehlen jedoch – es gab bisher keine geeigneten Fossilien. “Seit den 1970er Jahren wurden zwar viele fossile Affen aus der Zeit von 13 bis 3,5 Millionen Jahren in Europa entdeckt und beschrieben und einige dieser Entdeckungen umfassen auch Skelettteile. Aber bei keinem dieser Funde sind die Langknochen intakt erhalten”, erklären Madelaine Böhme von der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und ihre Kollegen. Doch gerade diese Knochen der Arme und Beine enthalten wichtige Indizien für die Fortbewegungsweise ihrer Besitzer.

Fossiler Affe mit erhaltenen Gliedmaßen

Doch nun haben Böhme und ihre Kollegen die Fossilien einer urzeitlichen Affenart entdeckt, die erstmals Licht in das Dunkel um die Fortbewegung der ersten Hominiden bringen könnte. Gefunden wurden die Knochen der Danuvius guggenmosi getauften Spezies im Allgäu in einer rund 11,5 Millionen Jahre alten Gesteinsschicht. Dieser fossile Affe stammt damit aus der Zeit vor der Trennung der Stammeslinien von Affen und Menschen. Er war zwischen 17 und 31 Kilogramm schwer und lag in seiner Größe etwa zwischen den Siamangs und Bonobos. Das Wichtige jedoch: “Die Fossilien umfassen die Überreste von mindestens vier Individuen und Skelettteile, die ausreichend vollständig sind, um die Morphologie der Gliedmaßen und die Körperproportionen im Detail beschreiben zu können”, berichten die Forscher. Unter den erhaltenen Knochen sind neben den Armknochen auch ein Schienbein, das Knie mit der Kniescheibe sowie mehrere Knochen aus Füßen und Händen.

Damit bietet dieser fossile Affe den Wissenschaftlern erstmals die Chance, die Fortbewegung eines möglichen Vorfahren von Affen und Menschen zu rekonstruieren. Die nähere Untersuchung der Anatomie von Danuvius guggenmosi ergab, dass dieser Urzeit-Affe zwar im groben Körperbau ein wenig den heutigen Bonobos ähnelt. In den Details seiner Haltung und des Skeletts ist er jedoch einzigartig, wie Böhme und ihr Team berichten. So besaß Danuvius die langen Arme und kräftigen, gekrümmten Greiffinger eines guten Kletterers, der hängend durch die Baumkronen schwang. “Das deutet darauf hin, dass die Suspension eine wichtige – aber nicht dominante – Rolle in seinem lokomotorischen Repertoire spielte”, so die Forscher. Auch der daumenähnlich biegsame große Zeh dieses Urzeit-Affen spricht dafür, dass er sich häufig auf den Bäumen aufhielt.

Schwingend und aufrecht gehend zugleich

Doch ein klassischer Baumschwinger ähnlich den heutigen Gibbons oder Orang-Utans war Danuvius guggenmosi dennoch nicht, wie seine untere Körperhälfte verrät. Die Form des Schienbeins und Kniegelenks und die flache Kniescheibe deuten darauf hin, dass dieser Urzeit-Affe seine Beine im Gegensatz zu den meisten heutigen Affen voll durchstrecken konnte, wie Böhme und ihre Kollegen berichten. Zudem besaß Danuvius eine flexible Lendenwirbelsäule, die es ihm ermöglichte, seinen Rücken so zu krümmen, dass der Massenschwerpunkt seines Körpers senkrecht über den Beinen und Füßen lag. “Das spricht für eine zumindest zeitweilig aufrechte Haltung”, konstatieren die Forscher. “Damit kombiniert Danuvius die Anpassungsmerkmale von zweibeinig laufenden mit denen von sich schwingend fortbewegenden Affen.”

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Aus der ungewöhnlichen Kombination von Merkmalen schließen Böhme und ihre Kollegen, dass die neuentdeckte Affenart eine ganz eigene, zuvor unbekannte Fortbewegungsweise besaß. “Die Einzigartigkeit dieser Fortbewegung besteht darin, dass sie nicht entweder die Vorder- oder Hinterextremitäten bevorzugt, sondern beide in etwa gleichem Maße nutzt”, erklären die Wissenschaftler. Danuvius guggenmosi konnte demnach durch die Baumkronen schwingen, lief aber auch schon aufgerichtet und mit gestreckten Beinen über breite Äste oder den Boden. Böhme und ihre Kollegen haben diese Fortbewegungsweise “Extended Limb Clambering (ELC) getauft – zu deutsch etwa “Klettern mit ausgestreckten Gliedmaßen”. Nach Ansicht der Forscher könnte diese kombinierte Fortbewegungsweise den letzten gemeinsamen Vorfahren von Affen und Menschen gekennzeichnet haben. Erst aus ihr entwickelten sich dann spezialisiertere Bewegungsformen wie der Knöchelgang der Gorillas oder das reine Schwingen der Orang-Utans.

“Danuvius liefert fossile Belege dafür, dass sich der aufrechte Gang der Homininen und das Schwingen der Menschenaffen aus einer Form der Fortbewegung auf den Bäumen entwickelt haben, die Aspekte von beiden umfasste – und die ihre Wurzeln im Europa des mittleren Miozän hatte”, so die Wissenschaftler. Die Danuvius-Fossilien könnten damit die lange diskutierte Streitfrage nach dem Vorläufer des aufrechten Ganges beantworten – es war weder “Top-Down” noch “Bottom-Up”, sondern von beidem etwas.

Quelle: Madelaine Böhme (Eberhard-Karls-Universität Tübingen) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-019-1731-0

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