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Innenohren geben Geheimnisse preis

Paläontologie

Innenohren geben Geheimnisse preis
Innenohr-Modell des vogelartigen Hesperornis mit den Bögen des Vestibularsystems oben und der verlängerten Hörschnecke unten. (Bild: Michael Hanson und Bhart-Anjan S. Bhullar)

Erstaunlich aufschlussreich: Fossile Innenohren können Geheimnisse über die Fähigkeiten und Verhaltensweisen ausgestorbener Tiere verraten, geht aus einer Studie hervor. Da es neben dem Hörsystem auch das Gleichgewichtsorgan umfasst, ermöglichen Merkmale des Innenohrs etwa Rückschlüsse auf die Flugfähigkeiten und sogar das Brutpflegeverhalten von Reptilien, Dinosauriern oder frühen Vertretern der Vögel, berichten die Paläontologen.

Mit Schaufel, Pinsel und Maßband bewaffnet haben sich Paläontologen lange vor allem mit den eher vordergründigen Merkmalen von Fossilien beschäftigt: Sie beschrieben Gestalt, Größe und anatomische Merkmale wie Flügel oder Flossen, die grundlegende Rückschlüsse auf die Lebensweise ausgestorbener Tiere ermöglichten. Details dazu, wie sie sich einst bewegten und verhielten, konnten diese fossilen Befunde aber oft nicht liefern. Möglichkeiten zu fundierten Einblicken in diese Fragen sind in der Paläontologie deshalb sehr begehrt. In diesem Zusammenhang rücken die Forscher um Bhart-Anjan Bhullar von der Yale University in New Haven nun das Innenohr als eine besonders aufschlussreiche Informationsquelle in den Fokus.

„Apparat“ mit zwei Funktionen

Das winzige Gebilde sitzt im Schädel von Wirbeltieren und umfasst gleich zwei Wahrnehmungssysteme: Das Innenohr besteht aus der Hörschnecke (Cochlea) sowie dem Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan). „Von allen Strukturen, die man aus Fossilien rekonstruieren kann, entspricht das Innenohr wohl am ehesten einem technischen Gerät“, sagt Bhullar. Die Merkmale der Hörschnecke sind dabei damit verknüpft, welche auditiven Fähigkeiten ein Lebewesen besitzt, und in den Eigenschaften des Gleichgewichtsorgans spiegelt sich wider, auf welche Weise es sich bewegte, erklären die Wissenschaftler. „Wenn man in der Lage ist, seine Form zu rekonstruieren, kann man auf eine fast beispiellose Weise Rückschlüsse auf bestimmte Merkmale und Verhaltensweisen ausgestorbener Tiere ziehen“, so der Paläontologe.

Merkmale des Innenohrs haben Paläontologen zwar auch schon zuvor als Hinweise genutzt – doch Bhullar und seine Kollegen zeigen das Potenzial dieses Verfahrens nun systematisch auf. Grundlagen bilden dabei Techniken, die momentan die Paläontologie geradezu revolutionieren: Durch die Mikro- und Nano-Computertomografie ist es möglich, ins Innere von Fossilien zu blicken und verborgene Feinstrukturen detailliert darzustellen. Auf diese Weise lassen sich mittlerweile auch die Innenohren in fossilen Schädeln genau untersuchen.

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Im Rahmen ihrer Studie haben die Wissenschaftler nun die Innenohrdaten von zahlreichen heutigen sowie ausgestorbenen Tierarten zusammengetragen, analysiert und kategorisiert. Bei den heutigen Arten ließen sich die Merkmale dabei mit den bekannten Verhaltensweisen und Fähigkeiten der jeweiligen Spezies verbinden. So zeichneten sich charakteristische Signaturen in den Strukturen ab, die sich mit den fossilen Innenohren ausgestorbener Arten vergleichen ließen.

Charakterskitische Gemeinsamkeiten

Wie die Forscher berichten, führten ihre Datenauswertungen zu Gruppen von Arten mit ähnlichen Innenohrmerkmalen. Die Mitglieder eines Clusters weisen dabei deutliche Ähnlichkeit dabei auf, wie sie sich durch die Welt bewegen und diese wahrnehmen. Drei Cluster sind dabei durch bestimmte strukturelle Merkmale des sogenannten vestibulären Systems des Gleichgewichtsorgans geprägt. „Diese dreidimensionale Struktur gibt Auskunft über die Manövrierfähigkeiten eines Tieres. Die Form des vestibulären Systems repräsentiert damit ein Fenster zum Verständnis von Körpern in Bewegung“, so der Paläontologe.

Ein vestibuläres Cluster umfasst dabei Tiere, die sich auf vier Beinen fortbewegen. Andere charakteristische Merkmale des Gleichgewichtsorgans sind wiederum für zweibeinig laufende Arten sowie die eher wenig wendigen Flieger typisch. Dazu gehören etwa die modernen Hühnervögel oder Gleitflieger wie einige Seevögel- und Geierarten. Das dritte Cluster bilden dann die ausgesprochenen Luftakrobaten, wie die heutigen Raubvögel und viele Singvogelarten. Im Fall der Innenohr-Merkmale vieler der urtümlichen Flügelträger verdeutlichten nun die Datenauswertungen: Pterosaurier oder auch der berühmte „Urvogel“ Archaeopteryx waren der Kategorie der eher wenig wendigen Flieger zuzuordnen, berichten die Paläontologen.

Hinweise auf Brutpflegeverhalten

Was die Merkmale der Hörschnecken betrifft, konnten die Forscher bei den Vertretern der Archosaurier ein charakteristisches Merkmal identifizieren, das mit dem Hören bestimmter Frequenzen verbunden ist. Die Archosaurier umfassen nicht nur ausgestorbene Tiergruppen wie die Dinosaurier und Flugsaurier – zu ihnen werden auch die heutigen Krokodile und Vögel gezählt. Wie die Forscher erklären, ist ein typisches Merkmal dieser Tiere, dass sie Töne von sich geben. Auch bei den Krokodilen kommunizieren die Jungtiere etwa durch Laute mit der Mutter.

Die Ergebnisse der Paläontologen deuten nun darauf hin, dass die Umwandlung der Cochlea-Form bei den Vorfahren der Archosaurier mit der Entwicklung von hochtönigen Brutrufen bei den Jungtieren zusammenhingen. „Wir haben eine Übergangs-Form der Hörschnecke bei den Euparkeria entdeckt“. Dabei handelte es sich um urtümliche Formen der Archosaurier aus der Unter- und Mitteltrias. „Dies deutet darauf hin, dass die Vorfahren der Archosaurier begannen, Laute von sich zu geben, als sie sich zu kleinen Räubern entwickelten,“ so der Paläontologe.

Als Resümee der Studie schreibt die Yale University: „Es zeichnet sich ab, dass Untersuchungen des Innenohrs zukünftig interessante Hinweise darauf liefern können, wie gewandt sich ein Tier am Boden, in der Luft oder im Wasser bewegen konnte. In einigen Fällen könnten Vergleiche darüber hinaus beleuchten, ob eine Spezies Brutpflege betrieben hat, indem sie auf die hohen Schreie seiner Babys hörte“.

Quelle: Yale University, Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.abb4305

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