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Skurrile Urvogel-Kralle in Bernstein

Erde|Umwelt

Skurrile Urvogel-Kralle in Bernstein
Links das Bernsteinfossil (Bild: Lida Xing), rechts eine künstlerische Darstellung von Elektorornis (Bild: Zhongda Zhang / Current Biology)

Seine dritte Zehe war länger als sein ganzer Unterschenkel: Im Zeitalter der Dinosaurier gab es einen kleinen Vogel mit ausgesprochen seltsamen Füßen, zeigt ein Bernsteinfossil. Eine vergleichbare Fußstruktur ist weder von ausgestorbenen noch lebenden Vögeln bekannt, betonen die Forscher. Sie vermuten, dass der kaum spatzengroße Urvogel seine überlange Zehe benutzte, um Beute aus Baumlöchern zu angeln, ähnlich wie das heutige Fingertier.

Vor Jahrmillionen erfasste sie Baumharz und verwandelte sie anschließend in einen faszinierenden Gruß aus der Vergangenheit: Insekten, Pilze, Federn, Körperteile und viele andere Spuren einstiger Lebewesen haben Wissenschaftler in den letzten Jahren in Bernsteinen entdeckt. Sie ermöglichen interessante Einsichten in die Entwicklungsgeschichte des Lebens. In die Sammlung dieser Schmuckstücke der besonderen Art reiht sich nun auch der neue Fund ein.

Der Bernstein mit dem Vogelbein ist etwa 3,5 Zentimeter lang und 5,5 Gramm schwer. Er wurde bereits um 2014 im Hukawng-Tal in Myanmar entdeckt. Vor etwa 99 Millionen Jahren stand dort ein Wald aus Bäumen, deren Harz immer wieder Lebewesen dieses Ökosystems einschloss. Im Lauf der Jahrmillionen entstanden so die berühmten Bernsteinfossilien des Hukawng-Tals.

Wie der Erstautor der Studie Lida Xing von der Chinesischen Universität für Geowissenschaften in Peking berichtet, hat er den Fuß-Bernstein von einem örtlichen Bernsteinhändler erhalten, der nicht wusste, zu welchem Tier der seltsame Einschluss gehörte. „Einige dachten, es sei ein Echsenfuß, weil diese Tiere häufig lange Zehen haben“, sagt Xing. „Doch obwohl ich noch nie eine derart seltsame Struktur gesehen habe, wusste ich gleich, dass sie von einem Vogel stammen musste. Denn wie bei Vögeln üblich hat dieser Fuß vier Zehen, während Eidechsen fünf haben“, erklärt Xing.

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Ein skurriles Vogelbein in Bernstein

Somit lag dem Wissenschaftler zufolge nahe, dass es sich um das abgerissene Bein eines Vogels aus der Gruppe der Enantiornithes handelt. Diese kreidezeitlichen Flugkünstler waren unseren heutigen Vögeln bereits sehr ähnlich und hatten viele Arten hervorgebracht, die unterschiedliche ökologische Nischen besetzten. Als Vorfahren unserer heutigen Vögel gelten sie allerdings nicht: Am Ende der Kreidezeit teilten alle Vertreter der Enantiornithes das Schicksal der Dinosaurier und starben aus. Nur die Vorfahren der heutigen Vögel haben den Meteoriteneinschlag und dessen Folgen überlebt.

Um das ungewöhnliche Vogelbein im Bernstein genauer zu untersuchen, scannten Xing und seine Kollegen es mittels Mikro-Computertomografie. So konnten sie schließlich eine dreidimensionale Rekonstruktion der Struktur erstellen. Sie zeigte im Detail, dass der

Dreidimensionale Rekonstruktion des Vogelbeins. (Bild: Lida Xing / Current Biology)

dritte Zeh des Vogels mit 9,8 Millimetern 41 Prozent länger war als sein zweiter Zeh und 20 Prozent länger als der ebenfalls erhaltene Unterschenkelknochen. Das Team verglich anschließend diese Proportionen mit denen von 20 anderen ausgestorbenen Vögeln aus der gleichen Zeit und 62 lebenden Vögeln. Das Fazit: Kein Vogel hat oder hatte einen Fuß, der diesem ähnelt. Dem neu entdeckten Vertreter der Enantiornithes gaben die Forscher schließlich den Namen Elektorornis chenguangi – die Bezeichnung Elektorornis bedeutet dabei „Bernsteinvogel“.

War die Zehe eine Angel?

Basierend auf ihren Daten schätzen die Forscher, dass Elektorornis etwas kleiner als ein Spatz war und seinen Fußstrukturen zufolge in den Bäumen lebte. „Lange Zehen sind etwas, was man bei Baumtieren häufig sieht, weil sie in der Lage sein müssen, Zweige zu greifen und sie mit den Zehen zu umklammern“, sagt Co-Autor Jingmai O’Connor von der chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking. „Aber dieser extreme Unterschied bei der Zehenlänge ist, soweit wir wissen, bei Vögeln bisher noch nie dokumentiert worden.“

Doch wozu diente die überlange Kralle? Bisher können die Forscher dazu nur begründete Vermutungen anstellen. Das einzige bekannte Tier mit vergleichbar unverhältnismäßig langen Zehen ist demnach das auch Aye-Aye genannte Fingertier. Dieser baumbewohnende Primat aus der Gruppe der Lemuren holt mit seinem langen Mittelfinger Larven und Insekten aus Baumlöchern. Deshalb vermuten die Forscher, dass auch Elektorornis seinen Zeh für den gleichen Zweck eingesetzt hat. „In jedem Fall zeichnet sich ab, dass die Vögel der Kreidezeit bereits viel vielfältiger waren als wir dachten – sie hatten viele verschiedene Merkmale entwickelt, um sich an ihre Umgebung anzupassen“, sagt Xing.

Er und seine Kollegen wollen sich der Untersuchung des Bernsteinfossils nun auch weiterhin widmen. Sie hoffen, Proteine und Pigmente aus einigen ebenfalls eingeschlossenen Federstücken extrahieren zu können. Xing zufolge könnten sich daraus Informationen über die Anpassung des Vogels an seine Umwelt ergeben – beispielsweise, ob er ein Tarngefieder besessen hat.

Quelle: Cell Press, Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2019.05.077

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