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Was macht eigentlich der Erdöl-Geologe Hilmar Rempel

Erde|Umwelt Gesellschaft|Psychologie Technik|Digitales

Was macht eigentlich der Erdöl-Geologe Hilmar Rempel
Ein in Baku ausgebildeter Erdöl-Geologe ist seit vielen Jahren der maßgebliche deutsche Experte für die Verfügbarkeit fossiler Rohstoffe weltweit. Ein bild der wissenschaft-Betrag zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung.

Der Mann hat Erdöl-Geologie studiert und arbeitet seit 20 Jahren bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Klingt vernünftig – und irgendwie langweilig. Doch der Lebenslauf von Rempel ist geprägt durch einen Blow-out. Denn fast die Hälfte seiner Erwerbsarbeit stand er in Diensten der DDR, die andere in jenen der Bundesrepublik Deutschland. Über gescheiterte Existenzen ehemaliger DDR-Bürger ist viel geschrieben worden, über Topkarrieren der Marke Merkel und Gauck auch. Hilmar Rempel steht dazwischen. Er ist im Westen nicht nach oben durchgestartet, andererseits war sein Wissen so nützlich, dass er nach der Wende nur wenige Monate bangen musste, wie es wohl mit ihm weitergehen würde („von Mai bis Oktober 1990 machte ich eine Weiterbildung in Richtung Industriekaufmann“). Doch der Reihe nach:

Hilmar Rempel kommt 1945 im thüringischen Sonneberg zur Welt. Nach der Grundschule besucht er die Erweiterte Oberschule in Sonneberg. Die Schulleitung schlägt ihn dafür vor, das Abitur auf einem Elite-Gymnasium des Ostens zu absolvieren: der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät II in Halle, „dem Institut zur Vorbereitung auf das Auslandsstudium“. Mit 17 will er Chemiker werden, doch dafür gibt es keine Studienplätze im Ausland. Deshalb schwenkt er auf Erdöl-Geologie um. Nach dem Abitur absolviert er noch ein praktisches Jahr, wie das im Arbeiter-und-Bauern-Staat üblich ist. Er arbeitet im Norden der Republik an der Ostsee als „Kollektor“ auf einer Bohranlage und lernt so das Geschäft mit dem Erdöl „von der Pike auf“, wie er sagt. Daneben paukt er Russisch. Sein Studium soll ihn nach Baku führen.

Im August 1965 sitzt der gebürtige Thüringer 28 Stunden im Zug von Berlin nach Moskau, Zwischenstation auf dem Weg nach Baku. Die Weiterreise verzögert sich um eine Woche: Planwirtschaft! Rempel hat Zeit, Moskau zu entdecken. Zwei volle Tage dauert die anschließende Bahnreise nach Baku, der Hauptstadt der damaligen aserbaidschanischen sozialistischen Sowjetrepublik, einem alten Erdölzentrum. Bei den ersten Vorlesungen – er ist einer von zwei Ausländern in der Studiengruppe – versteht er trotz seiner Russischpaukerei fast nichts. „Der aserbaidschanische Dialekt unterscheidet sich doch sehr vom Schulrussisch“, erklärt er heute. Der für Ausländer obligatorische intensive Russischunterricht hilft ihm. Nach einem halben Jahr versteht er fast alles.

1970, nach seiner Diplomarbeit über die Analyse des Abbaus einer erdölführenden Schicht, der „Erdölsteine“, im Kaspischen Meer und seiner Diplomprüfung kehrt er in die DDR zurück. Seine Berufslaufbahn beginnt im „Erkundungsbetrieb Stendal“. Dort ist er an der Erkundung und Erschließung von Deutschlands größtem Erdgasfeld – Salzwedel-Peckensen, nördlich des Harzes – beteiligt. Im November 1971 wird Rempel zum 18-monatigen Wehrdienst eingezogen. Danach ist er kurze Zeit im Erdgasförderbetrieb in Salzwedel tätig, bevor er im September 1973 in das Forschungsinstitut für Erdöl und Erdgas in Gommern bei Magdeburg wechselt, wo er sich mit der Projektierung von Such- und Erkundungsarbeiten auf Erdöl und Erdgas befasst. Seine Arbeit findet Anerkennung. Mitte der 1970er-Jahre bekommt der Erdöl-Geologe ein Angebot im Ausland: Er soll in der polnischen Ostsee nach Öl und Gas suchen. „Diese Stelle war verlockend. Dort musste ich einfach hin.“ Von 1976 bis 1980 arbeitet Rempel in Danzig bei der polnisch-deutsch-sowjetischen Organisation „ Petrobaltic“. Er lernt polnisch „nicht ganz so perfekt wie russisch“. Rempel bekommt die Umbruchstimmung der Solidarno´s´c-Bewegung um Lech Wal ¸esa in der Lenin-Werft mit: Der Tag der Rückkehr in die DDR mit der Familie im vollgepackten Trabant im August 1980 fällt mit dem Beginn des Streiks in der Leninwerft zusammen. Zurück in Gommern arbeitet er wieder in der Erdölforschung.

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Die Versorgungslage in der DDR beginnt sich zu verschlechtern. Elektronische Rechner und vor allem Ersatzteile dafür sind schwer zu beschaffen. Bereits in der Sowjetunion, aber dann auch in der DDR, hatte Rempel gelernt, wie wichtig es ist, sich tief in theoretisches Wissen einzuarbeiten, sich also nicht nur auf das zu verlassen, was Instrumente und Rechner vorgeben. Das kommt ihm bei seinem weiteren Berufsweg zugute. 1982 erreicht ihn ein Angebot des Ministeriums für Geologie zur Arbeit in Berlin, „ Hauptstadt der DDR“. „Wir hatten auch gleich eine Wohnung für die sich von drei auf vier Köpfe vergrößernde Familie.“ Seit 1970 ist Rempel in der SED, was sich für ihn als förderlich erweist.

1990 ist diese Parteimitgliedschaft kein Hinderungsgrund für eine Übernahme in die Dienste der Bundesrepublik. Nach mehrfachen schriftlichen und mündlichen Befragungen wird er zum 1. Januar 1991 bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) angestellt, einer Behörde, die zum Bundeswirtschaftsministerium gehört. „Ich nahm damals zunächst wieder Platz in dem Zimmer, in dem ich vor der Wende acht Jahre gearbeitet hatte.“ 1992 wird er an den BGR-Hauptsitz nach Hannover versetzt.

Bei der BGR macht sich Rempel einen Namen als Experte für die weltweite Verfügbarkeit fossiler Rohstoffe. In den 1990er-Jahren wird die Gruppe, in der er arbeitet, mehrfach umstrukturiert und zusammengeschrumpft. Zur Jahrtausendwende zählen zum Referat Kohlenwasserstoffe der BGR gerade noch drei Mitarbeiter. „ Rohstoffe kaufen wir uns auf dem Weltmarkt“, lautete die politische Devise der Bundesrepublik Deutschland in jener Zeit, als die Rohstoffpreise auf ein unerwartetes Tief sackten. Zur Erinnerung: Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhundert kostete das Barrel Erdöl fast immer weniger als 20 Dollar.

Dann zogen die Rohstoffpreise wieder an – und Hilmar Rempel war seine Sorge los, wo er wohl noch Verwendung finden könnte. 2002 veröffentlichte die BGR die 426 Seiten starke Studie „ Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen“, Hauptautor: Hilmar Rempel. Bereits zwei Jahre zuvor war bild der wissenschaft auf ihn aufmerksam geworden. In einem von bdw initiierten Streitgespräch mit dem Physiker Werner Zittel von der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik, ging es um die Frage, ob Erdöl und Erdgas schon im ersten Jahrzehnt nach 2000 zur Neige gehen würden. Rempel stufte die damalige Situation als nicht dramatisch ein. Wir haben ihn gefragt, wie er das heute sieht.

Vor zehn Jahren behauptete Ihr Kontrahent Werner Zittel im bdw-Disput, dass es im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu einem Rückgang bei der Rohölproduktion und damit zu Versorgungsengpässen kommen würde. Das war nicht der Fall. Im Gegenteil: Bisher lagen die Pessimisten noch jedes Mal daneben, wenn sie sich auf eine baldige Trendwende festlegten.

Die Frage der maximalen Ölförderung ist ein theoretisches Konstrukt. In den Nicht-OPEC-Ländern, die etwa 55 Prozent des heute produzierten Erdöls liefern, haben wir den Höhepunkt wahrscheinlich schon überschritten. In den OPEC-Ländern könnte die Förderung noch ausgeweitet werden. Allerdings wird die Ölförderung nicht allein durch die Fördermöglichkeit bestimmt, sondern auch durch die Entwicklung der Weltwirtschaft, die in den vergangenen beiden Jahren zu einem zurückgehenden Verbrauch geführt hat. Weiterhin hat insbesondere die OPEC in den letzten beiden Jahren ihre Förderung zurückgenommen, um das Preisniveau hoch zu halten. Klar ist: Beim Erdöl sind die maximalen Fördermöglichkeiten ausgereizt.

Was heißt das konkret?

Wir bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sind in unserer letzten großen Energiestudie – unter der Einbeziehung aller Möglichkeiten einer zukünftigen Förderung auch von noch ungenutzten Ressourcen – zu der Aussage gekommen, dass die derzeitige Ölförderung bis etwa 2030, 2035 geringfügig steigen könnte. Wir sagen aber auch: Eine Förderung von mehr als 5 Milliarden Tonnen pro Jahr wird nicht möglich sein. Vor der Weltfinanzkrise lag sie bei 3,9 Milliarden Tonnen.

Wenn Sie die Entwicklung der Reserven- und Ressourcenstatistiken der vergangenen zehn Jahre anschauen – was fällt Ihnen auf?

Die Reserven haben sowohl bei Erdöl als auch bei Erdgas zugenommen. Betrachten wir aber lediglich die Neufunde, zeigt sich bei Erdöl eine stark rückläufige Tendenz: Die neuen Funde wiegen den Verbrauch nicht mehr auf.

Es gibt immer mal wieder Botschaften von großen Neufunden im Atlantik, sei es vor der westafrikanischen Küste oder vor Brasilien. Wie bewerten Sie deren Kapazität?

Nennenswerte Funde der vergangenen Dekade sind vier Felder im Atlantik vor Brasilien, in Kasachstan das Kashagan-Feld, im Iran das Azadegan-Feld und in China das Jidong-Feld. Diese Funde sind stattlich, doch zusammen gerade so groß, dass sie den Weltjahresverbrauch für anderthalb Jahre decken könnten.

Wie sieht es in der Nordsee aus?

Ganz aktuell ist der Fund des Catcher Feldes vor der schottischen Küste, das Ende Juni auf rund 50 Millionen Tonnen Öl eingeschätzt wurde. 2001 wurde auf britischem Territorium das Buzzard Feld entdeckt, das 75 Millionen Tonnen Öl enthält, und 2007 das Gaskondensat-Feld Jura mit 23 Millionen Tonnen Öläquivalent. Alle anderen in den vergangenen zehn Jahren entdeckten Nordsee-Ölfelder sind deutlich kleiner.

Wenn nirgendwo mehr gigantische Ölfelder gefunden werden – warum nehmen die Vorräte dann trotzdem zu?

Das liegt an der Neubewertung bereits gefundener Felder. Sie hängt einmal von neuen Technologien ab, durch die man aus einer Lagerstätte technisch mehr herausholen kann. Andererseits lassen sich im Laufe der Zeit die geologischen Verhältnisse exakter bewerten, was wiederum eine höhere Ausbeute zur Folge haben kann.

Ist das die ganze Wahrheit? Oder lassen Ölmanager die Bestände auch deshalb höher bewerten, weil ihre Bonuszahlung vom Buchwert Felder abhängt?

Ich kann dazu keine profunde Stellungnahme abgeben. Es gibt aber sicherlich Konzerne und Staaten, die mit ihren Reserveangaben Politik machen.

Inwiefern hat sich der Aufschwung Chinas auf die Versorgungslage der Welt mit Öl ausgewirkt und den Ölpreis verändert?

1998 verbrauchte China etwa 185 Millionen Tonnen Erdöl. 2008 waren es 369 Millionen Tonnen – das heißt: Verdoppelung. Natürlich wird der Verbrauch Chinas weiter wachsen. Doch wenn man sich vor Augen hält, was die USA pro Jahr verbrauchen – knapp 900 Millionen Tonnen –, wirkt sich der Verbrauch der Chinesen nicht allzu heftig auf den Weltmarkt aus.

Ein Barrel Öl kostet an den Rohstoffbörsen derzeit rund 80 Dollar. Wie hoch liegen die konkreten Förderkosten?

Über die Förderkosten gibt es keine verbindlichen Angaben. Man weiß aber, dass sie im Nahen Osten – Saudi Arabien, Irak – in der Größenordnung von ein, zwei Dollar pro Barrel liegen. In der Nordsee sind sie deutlich höher, wohl zwischen 20 und 30 Dollar je Barrel.

Wie beurteilen Sie den Abbau der Ölsande in Kanada?

2006 bis 2008 wurden eine Reihe ehrgeiziger Projekte in Angriff genommen. Mit der Weltfinanzkrise und dem anschließenden Zusammenbrechen des Ölpreises wurden einige davon zurückgestellt. Inzwischen nehmen die Aktivitäten wieder zu. Man rechnet damit, dass dort in einigen Jahren etwa 100 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr gefördert werden.

Ist das dann das Ende der Fahnenstange? Oder könnte die Produktion bei entsprechender Nachfrage deutlich erhöht werden – sagen wir mal auf eine Milliarde Tonnen?

Das ist unwahrscheinlich. Saudi-Arabien fördert nur rund 500 Millionen Tonnen. Ich glaube, dass Ölsande über viele Jahre abgebaut werden, aber mit beschränkter Jahreskapazität.

Die negativen Auswirkungen auf die Umwelt sind ja wohl beträchtlich. Manche sprechen von Schweinerei …

… die Frage ist doch, wie man fördert. Um das Öl aus den Sanden zu gewinnen, benötigt man viel Wasser. Es wird deshalb versucht, das eingesetzte Wasser erneut für den Prozess zu rezyklieren. Ein Problem sind die leichten Öle und Kondensate, die man braucht, um das als Hauptprodukt anfallende Bitumen zu verdünnen und transportfähig zu machen. Die Nachfrage ist so groß, dass die Öle und Kondensate bereits importiert werden müssen.

Beim letzten bdw-Interview 2008 beantworteten Sie die Frage nach den Umweltrisiken der Ausbeutung von Öl und Gas unter dem Arktischen Ozean so: „Wenn moderne Umweltstandards angewandt werden, fließt vom Öl nichts ins Wasser.“ Wie die Katastrophe im Golf von Mexiko zeigt, dürfen wir darauf nicht vertrauen. Relativieren Sie Ihre Aussage jetzt, Herr Rempel?

Nein. Das Unglück ist ja nicht direkt auf die moderne Technik zurückzuführen, sondern auch auf menschliches Versagen. Es gab ja Anzeichen, dass im Bohrloch noch Gas war. Man hätte sehr wohl entsprechende Maßnahmen einleiten und das Bohrloch dicht machen können.

Das ist die eine Seite. Die andere ist aber, dass es nach dem Untergang der Deep- water Horizon drei Monate dauerte, das Bohrloch abzudichten.

Das zeigt, dass BP und die anderen beteiligten Firmen auf einen solchen Notfall überhaupt nicht vorbereitet waren. Andererseits ist es nicht einfach, in einer Wassertiefe von etwa 1600 Metern bei völliger Dunkelheit und dem dort herrschenden Druck von über 160 Bar mit ferngesteuerten Robotern zu operieren. Neben dem defekten Sicherheitsventil gab es beim ersten Versuch Probleme mit der überdimensionierten Glocke, die zur Gashydratbildung und damit zur Verstopfung der Leitung führte. Auch eine zweite kleinere Glocke konnte keine komplette Abdichtung schaffen, sodass ein Großteil des Öls in den Golf von Mexiko strömte. Die Menge des täglich ausströmenden Öls lag in einer Größenordnung, die der Tagesförderung der über 1100 in Deutschland aktiven Erdölsonden entspricht. Erst im dritten Anlauf gelang es mit einer verbesserten Glocke das Bohrloch abzudichten und den Ölfluss zu stoppen. Doch auch das konnte nur eine temporäre Lösung sein. Mit dem „Static Kill“ – dem Einbringen schwerer Bohrspülung in die Bohrung – gelang es, einen Gegendruck aufzubauen, der höher war als der Druck in der ölführenden Schicht. Dadurch konnte das Erdöl in die Schicht zurückgedrängt werden. Mit dem anschließenden Einbringen von Zement wurde das Bohrloch im oberen Bereich versiegelt. Man verzichtete darauf, auch den unteren Bereich mit Zement abzudichten, was über die Entlastungsbohrungen hätte geschehen müssen. Das Problem der havarierten Bohrung ist damit gelöst. Die Beseitigung der Schäden durch das ausgetretene Erdöl wird eine viel längere Zeit in Anspruch nehmen.

Menschliches Versagen ist immer möglich, wenn Menschen am Werk sind. Eine Ölkatastrophe im Polarmeer ist nach menschlichem Ermessen nicht auszuschließen. Lässt man also am besten die Finger von Erkundung, Erschließung und Förderung der dortigen fossilen Rohstoffe?

Klar ist, dass entsprechende Umweltschäden noch verheerender wären als im Golf von Mexiko. Ob in den arktischen Gewässern in den kommenden Jahren in großem Umfang nach Öl und Gas gebohrt wird, ist noch nicht entschieden – und wird angesichts der Katastrophe von Deepwater Horizon sicherlich neu diskutiert werden müssen.

Erdöl wird in unserem Jahrhundert in immer geringeren Mengen zur Verfügung stehen. Das ist sicher. Bei der Kohle ist es um die vorhandenen Reserven weit besser bestellt – hieß es immer. Jetzt veröffentlichte die Energywatchgroup eine Studie, wonach auch die Kohle bald knapp wird. Wie beurteilen Sie diesen Gesinnungswandel?

Der ist unsinnig! Unsere Analysen besagen klar: Unter den fossilen Energieträgern ist die Kohle weitaus am längsten verfügbar. Die von Ihnen zitierte Studie betrachtet lediglich die Reserven, also nur jene Lagerstätten, die heute unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gefördert werden können. Doch selbst die Reserven würden beim derzeitigen Jahresverbrauch noch 120 Jahre reichen, bei Braunkohle weit über 200 Jahre. Die Ressourcen liegen noch einmal um eine Größenordnung höher: Bei Steinkohle würden die Ressourcen rein theoretisch beim heutigen Verbrauch weitere 2700 Jahre reichen, bei Braunkohle über 4000 Jahre. Wir von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sehen keine Gefahr, dass uns die Kohle ausgeht. Inwiefern der Rohstoff Kohle unter dem Aspekt CO2-Emissionen akzeptabel ist, steht auf einem anderen Blatt. Wie das zu bewerten ist, muss die Zukunft zeigen.

Wie steht’s um die Erdgaslagerstätten?

Wenn wir die weltweiten Reserven betrachten, sieht es deutlich besser aus als beim Erdöl. Dividiert man die sicher gewinnbaren Reserven durch den Weltjahresverbrauch, reichen die Reserven noch länger als 60 Jahre. Doch auch die nicht-konventionellen Reserven spielen beim Erdgas eine Rolle. Die Produktion von „Shale Gas“ – also von Gas aus Tongesteinen – hat soeben dazu geführt, dass die USA das lange führende Russland in der Erdgasförderung überholt haben. Shale Gas machte in den USA im Jahr 2008 bereits fast zehn Prozent der Erdgasförderung aus, mit stark steigender Tendenz. Insgesamt kam 2008 zusammen mit Erdgas aus dichten Gesteinen und aus Kohleflözgas die Hälfte der Erdgasfördermenge aus nichtkonventionellen Quellen. Ob Shale Gas auch in Europa eine wichtige Rolle spielen kann, ist noch nicht klar. Potenziale sind vorhanden, doch der Abbau beansprucht riesige Flächen.

Wie macht man denn aus Tongestein Erdgas?

Das Erdgas steckt im Gestein. Doch das hat eine relativ geringe Durchlässigkeit. Das heißt: Von Natur aus fließt das Gas nur zurückhaltend. Um den Gasfluss in einen wirtschaftlichen Bereich zu bringen, muss man das Gestein aufbrechen: Unter hohem Druck wird Wasser eingepresst. Dadurch entstehen Risse – und das enthaltene Erdgas kann gewonnen werden.

Woher beziehen Sie Ihre Daten? Initiiert die BGR eigene Untersuchungen?

Wir beziehen Daten aus den unterschiedlichsten Quellen und orientieren uns mehr oder weniger an allem, was öffentlich und international zugänglich ist. Teilweise machen wir eigene Abschätzungen über Angaben, die wir aus entsprechenden Feldern haben. Wer sich mit der Verfügbarkeit fossiler Rohstoffe beschäftigt, weiß, dass es die richtige Zahl nicht gibt: Dazu sind die Quellen zu unterschiedlich. Es kommt auch nicht darauf an, die Stelle nach dem Komma zu treffen, sondern die Größenordnung abzuschätzen.

Welche Rolle spielt das Wissen des Rohstoff-Geologen Rempel?

Eine nicht geringe. Denn mit den Jahren hat man eine tiefgehende Erfahrung über die Vorkommen und die Situation im Umfeld. Ich glaube schon, anhand meines Wissens nicht auf irgendwie gelagerte Interessen hereinzufallen.

Dann können Sie uns bestimmt in einfachen Worten das teilweise irrwitzige Auf und Ab des Rohölpreises und des Preises an den Tankstellen erläutern?

Weltweit haben wir einen nahezu einheitlichen Spotmarktpreis, der sich nach den Sorten etwas unterscheidet. Die leichteren Ölsorten lassen sich besser verarbeiten und haben einen etwas höheren Preis. Dass der Ölpreis oft im Wochenrhythmus stark steigt oder fällt, hängt nicht so sehr von den Förderkapazitäten und der konkreten Nachfrage ab, sondern eher von den Handelsmärkten. Spekulanten spielen natürlich auch mit. Preisschwankungen an Tankstellen in Höhe von sieben, acht Cent in wenigen Stunden sind für mich nicht nachvollziehbar.

Was hat Sie während der vier Jahrzehnte Ihrer Beschäftigung mit fossilen Rohstoffvorkommen am meisten überrascht?

Sehr überrascht hat mich, wie die Weltwirtschaft den imposanten Ölpreisanstieg der Jahre 2004 bis 2008 verkraftet hat. 2004 verkündete der Chef der Internationalen Energieagentur, Claude Mandil: Eine Steigerung des Ölpreises um 10 Dollar pro Barrel reduziert das Wirtschaftswachstum um 0,5 Prozent. Damals lag der Ölpreis bei 30 Dollar pro Barrel. Mitte 2008 war er bei knapp 150 Dollar. Nach Mandils Auffassung hätte das die Weltwirtschaft um rund 5 Prozent drücken müssen, tatsächlich ist sie aber gerade in der Zeit des gigantischen Ölpreisanstiegs stark gewachsen. Offenbar kommt die Weltwirtschaft mit einem hohen Ölpreis gut zurecht. Das zeigt sich auch gegenwärtig: Trotz des Ölpreises von 70 bis 80 Dollar pro Barrel zieht die Wirtschaft weltweit an.

„Die Ressourcen sind begrenzt – das gilt für Energierohstoffe mehr als für Metalle“, sagt Hilmar Rempel. „Ich bin allerdings der Meinung, dass wir Menschen für die dadurch entstehenden Probleme Lösungen finden werden.“ Hoffen wir es. Am 31. Dezember geht Rempel nach 40-jähriger Tätigkeit als Experte für fossile Rohstoffe in Rente. ■

von Wolfgang Hess

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