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319 Millionen Jahre altes Fisch-Hirn entdeckt

Paläontologie

319 Millionen Jahre altes Fisch-Hirn entdeckt
Künstlerische Darstellung des urzeitlichen Fisches mit Einblick in seine nun entdeckte Gehirnstruktur. © Márcio L. Castro.

Sensationsfund in einem alten Museumsstück: CT-Scans haben in einem Schädelfossil eines 319 Millionen Jahre alten Fisches ein erstaunlich detailliert erhaltenes Gehirn aufgedeckt. Das versteinerte Nervengebilde wirft nun neues Licht auf die frühe Evolutionsgeschichte der Strahlenflosser – der heute größten Gruppe der Fische. Zudem verdeutlicht die Studie, dass möglicherweise noch in vielen weiteren Fossilien paläontologische Schätze auf ihre Entdeckung warten, sagen die Forscher.

Knochen, Zähne und Panzerungen – in der Regel zeugen Überreste von harten Strukturen von den Lebewesen der Vergangenheit. Weiche Gewebe wie Muskeln, Organe und Nerven haben dagegen nur selten fossile Spuren hinterlassen. Dass dies allerdings prinzipiell möglich ist, haben frühere Studien bereits gezeigt. So wurden etwa die Überreste von Organen bei einem urtümlichen Panzerfisch entdeckt und auch über Hirnfossilien wurde bereits berichtet: Bei urtümlichen Gliedertieren und einem 300 Millionen Jahre alten Knorpelfisch wurden schon fossile Überreste von Nervenstrukturen entdeckt. In diese Sammlung reiht sich jetzt ein besonders alter und ausgesprochen gut erhaltener Fund ein.

Zufallsfund in einem Museumsstück

Das versteinerte Gehirn wurde in einem Fossil entdeckt, das bereits seit rund 100 Jahren bekannt ist. Es handelt sich um einen kleinen Fisch-Schädel, der in einer Kohlemine in Lancashire geborgen und 1925 erstmals beschrieben wurde. Anschließend lagerte das Fossil im Manchester Museum. Der Schädel stammte von einem vermutlich etwa 20 Zentimeter langen Exemplar des Fisches Coccocephalus wildi und wurde auf ein Alter von 319 Millionen Jahren geschätzt. Den morphologischen Merkmalen zufolge war Coccocephalus ein früher Vertreter der Strahlenflosser. Dabei handelt es sich um die heute größte Gruppe der Fische und durch ihren Artenreichtum machen die Strahlenflosser sogar etwa die Hälfte aller Wirbeltiere aus.

Wie die Forscher um Seniorautor Matt Friedman von der University of Michigan in Ann Arbor berichten, war der spektakuläre Fund in dem Fisch-Schädel-Fossil ein Zufall. Denn sie erwarteten kein Gehirn zu finden, sondern erhofften sich durch die Untersuchung mittels Computertomographie (CT) eigentlich nur Einblicke in die knöchernen Innenstrukturen. „Ich scannte das Fossil und bemerkte dann in der Visualisierung der Daten, dass sich ein ungewöhnliches Objekt im Schädel abzeichnete“, berichtet Friedman. „Dieses Gebilde schien eine klar definierte Struktur aufzuweisen“, so der Paläontologe. Durch die anschließenden Untersuchungen wurde dann immer deutlicher, dass es sich um ein erstaunlich detailliert erhaltenes Gehirn-Fossil handelt.

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Überraschende Merkmale

Die Analyse seiner komplexen Strukturen ergab, dass das Gehirn von Coccocephalus einen etwa rosinengroßen Zentralkörper mit drei Hauptregionen besaß, die dem Vorder-, Mittel- und Hinterhirn heutiger Fische entsprechen. In den Strukturen spiegelte sich allerdings auch etwas ausgesprochen Überraschendes wider: „Das Gehirn von Coccocephalus faltete sich während der Embryonalentwicklung offensichtlich nach innen“, sagt Friedman. Wie er erklärt, entwickelt sich das Gehirn aller heutigen Strahlenflosser-Fische hingegen, indem Gewebe vom Inneren des Embryos nach außen gefaltet wird. Bei allen anderen Wirbeltieren wird neuronales Gewebe bei der Hirnentwicklung nach innen gefaltet. „Dieses Fossil zeugt also von einer Phase, bevor sich dieses charakteristische Merkmal von Strahlenflosser-Fischgehirnen entwickelte“, sagt Friedman. Sein Kollege Rodrigo Figueroa kommentiert dazu: „Das Gehirn-Fossil ist also nicht nur eine Kuriosität, sondern besitzt einen erheblichen Wert für das Verständnis von Mustern der Gehirnevolution“, betont der Erst-Autor der Studie.

Was die erstaunlich gute Konservierung betrifft, vermuten die Forscher: Als der Fisch starb, wurde er wohl sehr schnell in Sedimenten mit wenig Sauerstoff begraben, was die Zersetzung verlangsamte. Darüber hinaus könnte die chemische Mikroumgebung im Schädel des Fisches dazu beigetragen haben, das empfindliche Hirngewebe zu erhalten. So wurde es offenbar schließlich durch ein dichtes Mineral ersetzt, sagen die Forscher.

Wie sie betonen, geht aus der Studie nun auch eine grundsätzliche Botschaft hervor: „Es zeigt sich, wie weiche Strukturen erhalten geblieben sein können, und sie können offenbar in Fossilien schlummern, die wir seit langem kennen – wie in diesem Fall seit über 100 Jahren“, sagt Friedman. Figueroa führt dazu weiter aus: „Angesichts der weit verbreiteten Verfügbarkeit moderner bildgebender Verfahren wäre ich nicht überrascht, wenn wir jetzt zunehmend feststellen würden, dass fossile Gehirne und andere weiche Teile viel häufiger erhalten geblieben sind, als wir bisher dachten“.

Quelle: University of Michigan, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-022-05666-1

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