Sie benutzen und fertigen Werkzeuge, sie planen und lügen sogar… In den letzten Jahren haben Studien zunehmend verdeutlicht, dass Menschenaffen die Grundzüge vieler Fähigkeiten und Verhaltensweisen des Menschen ebenfalls zeigen. Es ist auch bereits bekannt, dass sie sich bis zu einem gewissen Grad in die Gedankenwelt anderer hineinversetzen können: Sie erkennen deren Motive und begreifen, was diese wissen. Doch wie weit geht die tierische Fähigkeit, die Psychologen mit dem Begriff “Theory of Mind” beschreiben? Können Menschenaffen auch begreifen, dass jemand an etwas glaubt, das gar nicht mit der Realität übereinstimmt? “Um Annahmen als falsch erkennen zu können, muss man verstehen, dass nicht alles auch wirklich der Realität entspricht, was in unseren Köpfen existiert”, erklärt Michael Tomasello vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. “Das bedeutet ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass es eine mentale Welt gibt, die sich von der physikalischen Welt unterscheidet”, so der Wissenschaftler.
Kino für Menschenaffen
Für uns Menschen ist diese Fähigkeit enorm wichtig, um Handlungen und Motive unserer Mitmenschen vorherzusehen. Auf ihr basiert auch unser “Talent”, andere zu manipulieren und sie etwas glauben zu lassen, das gar nicht stimmt. “Diese kognitive Fähigkeit liegt so vielen sozialen Fertigkeiten des Menschen zugrunde”, sagt Co-Autor Christopher Krupenye von der Duke University. Sich nicht in andere hineinversetzen zu können, ist hingegen ein typisches Zeichen für Autismus-Spektrum-Störungen.
Um die Fähigkeit von Menschenaffen zum Verständnis der Irrtümer anderer auf die Spur zu kommen, setzten die Forscher insgesamt 22 Schimpansen, Bonobos und Orang-Utans jeweils einzeln vor den Bildschirm. Frühere Studien hatten bereits belegt, dass Menschenaffen in der Lage sind, Videos mit der Realität zu verknüpfen. „Wir haben mit den Menschenaffen quasi einen Kinotag veranstaltet. Das hat ihnen offenbar wirklich Spaß gemacht”, berichtet Krupenye. Die Tiere sahen dabei auf dem Bildschirm einen Mann, der beobachtete, wie sich eine andere Person in einem Affen-Kostüm in einem von zwei Heuhaufen versteckte. Anschließend verschwand der Mann durch eine Tür, und der “Affe” schlüpfte aus dem Heuhaufen und lief unbeobachtet davon. In der letzten Szene kam der Mann zurück, um nach ihm zu suchen.
Blicke verraten Gedanken
Um Rückschlüsse darauf zu ermöglichen, was die Affen beim Anschauen dachten, zeichneten die Forscher mithilfe eines Eyetrackers die Blickrichtung der Tiere auf. Wie sie berichten, zeichnete sich in den Mustern der Blicke deutlich ab: Die Affen erwarteten, dass der Mann dort nachschauen würde, wo er glaubte, dass sich der Affen-Schauspieler noch versteckte – obwohl sie wussten, dass er sich dort gar nicht mehr aufhielt. Wie die Forscher erklären, ähneln die Ergebnisse denen aus Studien mit Kindern im Alter von etwa zwei Jahren. “Dies ist das erste Mal, dass ein nichtmenschliches Wesen eine Version des false belief-Tests bestanden hat”, resümiert Krupenye.
Die Ergebnisse legen damit nahe, dass diese Fähigkeit bereits bei den gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Menschenaffen existiert haben könnte. Die Wurzeln reichen damit wenigstens 13 bis 18 Millionen Jahre im Stammbaum der Primaten zurück. “Wenn zukünftige Studien bestätigen können, dass Menschenaffen die Aufgabe lösen und dem Schauspieler eine falsche Annahme zuschreiben können, müssen Wissenschaftler neu überdenken, wie tiefgreifend Menschenaffen einander verstehen können”, so Krupenye.
Video: Ein Schimpanse (links oben) beobachtet einen Mann, der einen Menschen in einem Affen-Kostüm unter zwei Heuhaufen sucht. Ein roter Punkt markiert, wohin das Tier blickt. Die Blickrichtung zeigt die Erwartungshaltung des Schimpansen an, wo der Mann die versteckte Person suchen wird.