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Alpengipfel bei der Spaltung belauscht

Überwachungsmethode

Alpengipfel bei der Spaltung belauscht
Irgendwann wird es auf dem Gipfel des Hochvogels kräftig krachen: Dort klafft ein Spalt, der sich jeden Monat um knapp einen Zentimeter weiter öffnet. (Bild: TU München)

Buchstäblich spannende Musik: Die „Melodie“ eines Gipfels kann Hinweise auf die Entwicklung von Bergstürzen liefern, berichten Forscher. Sie haben mit seismischen Methoden den Berggipfel des Hochvogels in den Allgäuer Alpen belauscht, der langsam entzweibricht. Ähnlich einer mehr oder weniger straff gezogenen Instrumentenseite ändert sich auch die Tonlage des Berges je nach der Spannung im Gestein, zeigen die Ergebnisse. Dies ermöglicht Rückschlüsse auf die Entwicklung eines bevorstehenden Bruchs, sagen die Wissenschaftler.

Er gehört zur Prominenz der Allgäuer Alpen: Mit einer Höhe von 2592 Metern dominiert der Gipfel des Hochvogels das Bergpanorama an der Grenze von Deutschland und Österreich. Die markante Felsspitze ist zudem für einen auffälligen Riss berühmt: In ihr klafft ein Spalt von fünf Meter Breite und 30 Meter Länge, der sich jeden Monat um knapp einen weiteren Zentimeter öffnet. Das bedeutet: Irgendwann wird es dort oben kräftig krachen. Die südliche Seite des Massivs droht dabei in das österreichische Hornbachtal abzustürzen. Glücklicherweise werden die rund 260.000 Kubikmeter Gestein dabei wohl keine Siedlungen erreichen.

Neues Monitoring-Verfahren

Doch bei anderen instabilen Felsformationen der Welt ist das durchaus der Fall. Wann es zu den schlagartigen Bergstürzen kommt, ist bisher allerdings schwer vorherzusagen. Während die Abbruchprozesse selbst bereits gut untersucht sind, konnten die längerfristigen Vorboten bisher nicht in größerem räumlichen Zusammenhang aufgedeckt werden. Der Erforschung von Hinweisen auf die Bewegungen in Felsmassen widmen sich deshalb die Wissenschaftler um Michael Dietze vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam. Dabei bot sich der Hochvogel als ein ideales Forschungsobjekt an. Um herauszufinden, wann und warum sich das Gestein auf dem Gipfel bewegt, haben sie im Jahr 2018 ein Netzwerk von sechs Seismometern auf dem Berg aufgebaut.

Wie Dietze und seine Kollegen erklären, ist bekannt, dass sich im Gestein an steilen Hängen etwa durch das Eigengewicht oder Temperaturschwankungen Spannungen aufbauen, die sich dann in den Zerfallsprozessen entladen: Irgendwann wird das Material dann so instabil, dass es komplett auseinanderbricht. Um mögliche Anzeichen dieses Prozesses aufzudecken, erfassten die Forscher über drei Monate hinweg, mit welcher Frequenz der Gipfel des Hochvogels hin und her schwingt. Wie sie erklären, wird auch massiver Fels durch äußere Anregungen wie Wind und Erschütterungen der Erdkruste in Schwingung versetzt – ähnlich wie ein Instrument. Dabei hängt die Frequenz des Gesteins von der Spannung ab, die wiederum von Faktoren wie Temperatur, Materialbeanspruchung und dem Grad der Zerrüttung des Gesteins geprägt ist.

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Charakteristisches Sägezahnmuster: Die Schwingungsfrequenz des Berges steigt mit der Spannung im Gestein und sackt danach wieder ab. (Bild: GFZ)

Charakteristisches Schwingungsverhalten

Durch ihre Untersuchungen konnten die Wissenschaftler einen wiederkehrenden sägezahnartigen Verlauf der Frequenz im Gipfel des Hochvogels nachweisen: Immer wieder stieg sie über einen Zeitraum von fünf bis sieben Tagen von 26 auf 29 Hertz an, um dann in weniger als zwei Tagen auf den Ursprungswert abzusinken. Dabei war der Anstieg der Frequenz mit einer Erhöhung der Spannung im Gestein gekoppelt. Beim Absacken der Frequenz stellten die Forscher vermehrt seismische Signale fest, die mit versagenden Felskontakten verbunden sind, wie sie beim Aufbrechen von Gesteinsrissen entstehen. Dieser zyklische Auf- und Abbau von Spannung durch ruckartige Bewegung, auch „stick slip motion“ genannt, ist ein typischer Vorbote drohender Massenabbrüche. Entscheidend dabei ist: Je näher dieses Ereignis kommt, desto kürzer werden die beobachteten Zyklen, sie sind also ein wichtiger Gefahren-Indikator. „Mithilfe unseres seismischen Ansatzes können wir dieses zyklische Phänomen nun erstmals kontinuierlich und fast in Echtzeit erfassen und verarbeiten“, sagt Dietze.

Im Laufe ihrer Messungen machten die Forscher auch eine weitere interessante Entdeckung: Während der sägezahnartige Auf- und Abbau von Spannungen in den ersten Monaten nach der Schneeschmelze deutlich sichtbar war, verschwand das Muster im Spätsommer des Dürrejahres 2018. Die Forscher führen dies auf das Fehlen des Schmiereffekts des Wassers zurück. Weiterhin zeichnete sich aber ein Auf und Ab der Frequenzen im Tagesverlauf ab. Dieser Effekt entsteht dadurch, dass sich der Fels in den kalten Nachtstunden zusammenzieht. Durch die Sonnenwärme wiederum dehnt sich der Fels aus, schließt kleine Klüfte, und erzeugt so eine höhere Schwingungsfrequenz. Wie diese täglichen und die längerfristigen Zyklen verbunden sind und welchen Einfluss darüber hinaus das Wasser in tiefen Felsklüften für den Hochvogelgipfel haben, wollen die Forscher nun mittels ihres Verfahrens genauer untersuchen.

Bis es eine breite Anwendung finden kann, wird es allerdings wohl noch etwas dauern, sagt Dietze: „Aktuell haben wir sozusagen den ‚Proof-of-Concept‘ erbracht, jetzt müssen wir die Untersuchungen an anderer Stelle wiederholen.“ Technisch dürfe das dann keine allzu große Schwierigkeit mehr sein, meint Dietze. „Und mit der verstärkten Aktivität an den vielen Dreitausendern in den Alpen gibt es wohl auch reichlich Einsatzgebiete“, so der Wissenschaftler.

Quelle: Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, Fachartikel: Earth Surface Processes and Landforms, doi: 10.1002/esp.5034

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