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Artenschwund bisher unterschätzt

Erde|Umwelt

Artenschwund bisher unterschätzt
Frosch
Der Smaragd-Glasfrosch (Espadarana prosoblepon) ist laut Roter Liste bisher nicht gefährdet, aber auch seine Populationen schrumpfen. © Roberto García-Roa

Die weltweite Artenvielfalt schwindet – und wurde bisher möglicherweise sogar noch deutlich unterschätzt, wie nun eine Studie nahelegt. In ihr haben Biologen die Entwicklung von 71.000 Wirbeltier- und Insektenarten weltweit auf Populationsebene untersucht. Demnach gibt es bei 48 Prozent aller untersuchten Spezies deutliche Populationsrückgänge – diese Arten befinden sich demnach im Niedergang. Besonders ausgeprägt sind die Verluste bei landlebenden Arten in den tropischen Regionen, aber auch in gemäßigten Breiten schrumpfen viele Populationen. Betroffen sind vor allem Amphibien, Säugetiere und Insekten, ihre Zahl und Vielfalt ist um jeweils mehr als 50 Prozent geschrumpft, wie das Team ermittelt hat.

Ob Insekten, Vögel oder Landwirbeltiere: Die Artenvielfalt unseres Planeten schwindet rapide. Schätzungen zufolge könnten mittlerweile rund eine Million Spezies weltweit akut vom Aussterben bedroht sein. Verantwortlich dafür sind die Zerstörung von Lebensräumen durch uns Menschen, der Klimawandel, aber auch die gezielte Jagd. Angesichts des massiven Artenverlusts sprechen Wissenschaftler bereits von einem sechsten Massenaussterben – dem größten seit Verschwinden der Dinosaurier. Die meisten gängigen Erhebungen zum Artenschutz beruhen auf den Roten Listen der Internationalen Naturschutzunion (IUCN). In ihnen werden Daten zum Bestand verschiedener Arten zusammengetragen und diese daraufhin in Gefährdungsklassen eingestuft. Nach diesen Listen sind zurzeit rund 28 Prozent der Artenweltweit vom Aussterben bedroht.

Populationsentwicklung von 71.000 Tierarten

Doch diese Listen erfassen nicht das wahre Ausmaß des Rückgangs von Arten und Populationen, sagen Catherine Finn von der Queen’s University Belfast und ihre Kollegen. „Man kann diese Schutzkategorien als Schnappschüsse der Gefährdung einer Art ansehen. Demgegenüber bietet die Entwicklung der Populationen ein dynamischeres Abbild der Bedrohung im Laufe der Zeit.“ Denn eine solche Bestandsentwicklung erfasst auch nicht gefährdete oder offiziell als bedroht geltende Arten, die sich aber rapide in Richtung eines solchen Zustands entwickeln. „Der Hintergrund ist, dass der Prozess des Aussterbens von demografischen Zusammenbrüchen innerhalb einer Spezies eingeleitet wird, der dann im Laufe der Zeit zum Aussterben führt“, erklärt das Team. „Populationstrends sind daher ein gutes Werkzeug, um das künftige Schicksal einer Art vorherzusagen.“ Für ihre Studie haben Finn und ihre Kollegen die Populationstrends von insgesamt 71.000 Tierarten ausgewertet und ermittelt, ob deren Bestände abnehmen, zunehmen oder stabil geblieben sind. Zu den untersuchten Tiergruppen gehören alle fünf Hauptgruppen der Wirbeltiere – Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische – sowie die Insekten.

Das Ergebnis: Bei 48 Prozent aller untersuchten Tierarten fanden die Wissenschaftler einen Rückgang der Populationen, bei 49 Prozent sind die Bestände stabil und nur drei Prozent der Arten zeigen zunehmende Populationsgrößen. „Das bedeutet, dass fast die Hälfte aller Tierarten auf der Erde, für die wir Daten haben, in ihren Beständen schwinden“, sagt Finn. Angesichts des beispiellosen Tempos, in dem Lebensräume und Umwelt weltweit durch menschliche Aktivitäten zerstört und degradiert werden, wundere es nicht, dass die Zahl der Populationen, die in Reaktion darauf schrumpfen oder kollabieren weit größer ist als die der Tierarten, die sich an schnell genug diese Veränderungen anpassen können. Hinzu komme, dass bereits viele Tierarten vom Rückgang betroffen sind, die bisher als nicht vom Aussterben bedroht galten. Für die zurzeit bei den IUCN als nicht gefährdet gelisteten Tieren zeigte sich bei 33 Prozent ein Populationsrückgang. Hält dieser Trend an, könnten mindestens 2136 bisher als ungefährdet geltende Spezies in naher Zukunft bedroht sein.

„An der Schwelle zu einer Aussterbe-Krise“

Am stärksten betroffen vom Rückgang sind die Amphibien mit 63 Prozent rückläufigen Populationen, gefolgt von Säugetieren mit 56 Prozent und Vögeln mit 53 Prozent Rückgang, wie die Biologen ermittelten. Bei den Insekten sind rund 54 Prozent der Arten von einem Populationsschwund betroffen, wenn man nur die landlebenden Spezies betrachtet, sind es sogar 66 Prozent. Allerdings gibt es nach Angaben des Forschungsteams in dieser Gruppe eine sehr hohe Dunkelziffer, weil für fast drei Viertel der Arten die Populationsentwicklung bisher nicht bekannt ist. Wie schon in früheren Erhebungen festgestellt, ist der Artenschwund in den tropischen Regionen am höchsten. Bei Säugetieren und Vögeln gibt es allerdings in dieser Klimazone auch einzelne stabile Populationen, wie Finn und ihr Team ermittelten. Ähnliche Refugien finden sich für Amphibien auf dem amerikanischen Kontinent.

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Insgesamt jedoch sei das Ergebnis alarmierend – und die Lage weitaus dramatischer als es die Gefährdungskategorien der Roten Listen widerspiegeln: „Die Rate der globalen Defaunation setzt sich in immer schnellerem Maße fort und dies trotz vermehrter Rufe nach sofortigen Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität“, konstatieren die Wissenschaftler. „Unsere Ergebnisse verstärken die Warnung, dass die Biodiversität an der Schwelle zu einer Aussterbe-Krise steht. Diese Krise wird erhebliche ökologische und ökosystemische Folgen haben, denn die Rückgänge der Populationen und die daraus resultierenden Veränderungen in den Lebensgemeinschaften beeinträchtigen die gesamte Ökologie.“ Angesichts der klaren Signale der aktuellen Biodiversitätskrise sei die Zeit für Diskussionen über diese Entwicklung vorbei. Jetzt müsse gehandelt werden, um die künftige Integrität der Artenvielfalt zu erhalten und damit auch die Menschheit.

Quelle: Catherine Finn (Queen’s University Belfast) et al., Biological Reviews, doi: 10.1111/brv.12974

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♦ Elek|tro|me|cha|nik  〈f. 20; unz.〉 Gebiet der Elektrotechnik u. der Feinmechanik, das die Umwandlung elektrischer Vorgänge in mechanische behandelt

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