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Aufs Wesentliche reduziert

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Aufs Wesentliche reduziert
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Antarktische Zuckmücke beim Schlüpfen aus der Puppe (Credit: Richard E. Lee Jr)
Wer in der Antarktis überleben will, muss hart im Nehmen sein: Eiseskälte, monatelange Polarnacht, extreme Trockenheit und nur sehr spärlich vorhandene Nahrung sorgen dafür, dass es nur wenige Landtiere auf dem antarktischen Festland gibt. Selbst von den so anpassungsfähigen Insekten hat es nur eine einzige Art geschafft, sich dort dauerhaft zu halten: die flügellose Zuckmücke Belgica antarctica. Jetzt hat ein internationales Forscherteam erstmals das Erbgut dieser Ausnahmemücke entschlüsselt – und dabei einige Überraschungen zutage gefördert. So besitzt die Antarktis-Zuckmücke das kleinste Genom aller Insekten, ihre DNA scheint wie auf das Wesentliche reduziert. Der Einblick darin, was fehlt und was erhalten blieb, liefert nun wertvolle Aufschlüsse über die genetischen Anpassungen an einen so extremen Lebensraum.

Die Zuckmücke Belgica antarctica ist ein echter Exot, denn sie lebt  als einziges Insekt überhaupt im Eis und auf dem kargen Boden der antarktischen Halbinsel. „Hier ist sie einer ganzen Reihe von auf sie einstürmenden Umweltherausforderungen ausgesetzt“, erklären Joanna Kelley von der Washington State University in Pullman und ihre Kollegen. Die Tiere müssen Temperaturextreme, Perioden starker Trockenheit, abwechselnde Überschwemmungen von salzigem Meerwasser und süßem Schmelzwasser, sowie eine relativ starke UV-Einstrahlung und starke Winde verkraften. Doch der flügellosen, nur drei Millimeter großen Mücke scheint das nichts auszumachen. Als Larve verbringt sie zwei Jahre lang fast tiefgekühlt in und auf dem Eis und entwickelt sich dort nur im Zeitlupentempo weiter. Als Nahrung dienen ihr dabei Bakterien, Algen und der nährstoffreiche Kot von Pinguinen. Erst zu Beginn des dritten Sommers schlüpfen dann aus den Puppen die erwachsenen Insekten. Ihr einziger Lebenszweck ist es, sich innerhalb ihrer nur rund zehn Tage dauernden Lebenszeit zu paaren und Eier zu legen.

Alle Gene, aber kaum mehr „Junk-DNA“

Frühere Untersuchungen hatten bereits einige besondere Anpassungen dieser antarktischen Zuckmücke aufgedeckt. So produziert ihr Stoffwechsel nahezu ununterbrochen große Mengen von Frostschutzmitteln, darunter auch Proteine, die bei anderen Organismen nur im akuten Stressfall ausgeschüttet werden. Gleichzeitig verkraftet es die Mücke problemlos, wenn sie bis zu 70 Prozent ihrer gesamten Körperflüssigkeit verliert – die meisten anderen Insekten vertragen nur einen Verlust von maximal 20 Prozent. „Ausgetrocknet sehen die Zuckmücken aus wie kleine verschrumpelte Rosinen, doch wenn wir sie mit Wasser begießen, quellen sie auf und gehen fröhlich ihrer Wege“, erklärt Seniorautor David Denlinger von der Ohio State University.

Um herausfinden, welche genetische Basis diesen Anpassungen des extremophilen Insekts zugrunde liegt, haben die Forscher nun erstmals das komplette Genom dieser Zuckmücke sequenziert. Wie sich dabei zeigte, enthält das Erbgut von Belgica antarctica nur 99 Millionen Basenpaare. Das ist kaum mehr als bei einem Bakterium und deutlich weniger als bei jedem anderen bisher sequenzierten Insekt. Selbst die hochspezialisierte und parasitisch lebende Kopflaus besitzt mehr DNA-Buchstaben, wie die Forscher berichten. „Dieses Erbgut ist erheblich stärker reduziert als man es bisher überhaupt für möglich gehalten hätte“, sagt Denlinger. Interessanterweise ist die Anzahl der proteinkodierenden Gene bei der antarktischen Zuckmücke aber nicht verringert. Mit rund 13.500 Genen liegt sie sogar im Insekten-Durchschnitt. Verloren hat die Mücke dafür viele Anteile der sogenannten Junk-DNA: Genkopien, wiederholte Sequenzen, bewegliche Genabschnitte, aber auch Introns – nicht kodierende DNA-Abschnitte innerhalb eines Gens.

DNA wegrationalisiert

„Das Genom ist damit wirklich bis auf sein Skelett reduziert“, sagt Denlinger. „Noch wissen wir aber nicht, welche Konsequenzen der Verlust all dieses ‚Ballasts‘ für die Mücke hat.“ Denn inzwischen weiß man, dass auch die nicht kodierenden Abschnitte des Erbguts wichtige Funktionen im Zellstoffwechsel und bei der Steuerung der Genaktivität besitzen. Die Forscher vermuten jedoch, dass das verkleinerte Genom der Zuckmücke Vorteile beim Überleben in der extremen Umgebung verschaffen muss. Immerhin müssen DNA-Teile, die nicht mehr vorhanden sind, auch nicht bei jeder Zellteilung unter hohem Energieaufwand nachproduziert werden.

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Einige Anteile der DNA, darunter die innerhalb des Genoms beweglichen Transposons, könnten aber auch wegen der langen Isolation der antarktischen Zuckmücken reduziert worden sein. Die Antarktis ist seit rund 33 Millionen Jahren durch das Südpolarmeer von anderen Landmassen abgeschnitten. Es gibt daher seitdem keinen Austausch mit Zuckmücken auf anderen Kontinenten. Gleichzeitig sind die flügellosen Mücken nur bedingt mobil. Auch in der Antarktis mischen sich die verschiedenen lokalen Populationen daher kaum miteinander – auch das könnte nach Ansicht der Forscher die geringe genetische Vielfalt und die reduzierten Transposons erklären.

„Es wird interessant sein herauszufinden, ob andere Extremophile – beispielsweise Zecken, Milben und andere Antarktisbewohner – ebenfalls so kleine Genome besitzen oder ob dies einzigartig für diese Zuckmücke ist“, sagt Denlinger. Die Forscher hoffen, dass nähere Analysen des Genoms der Mücke weiteren Aufschluss darüber geben, wie die Gene und deren Aktivität dem Tier helfen, unter den harten Bedingungen zu überleben. „Das ist für uns eine einzigartige Gelegenheit, die Genom-Architektur eines extremophilen Lebewesens zu erkunden“, so die Forscher.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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