Etwas weiter unten sind die Zustände nicht mehr optimal: Da der Sauerstoff in den oberen Schichten schnell verbraucht wird, herrscht in den darunterliegenden starker Sauerstoffmangel. Mikroben, die dort leben, müssen sich für ihre Elektronen daher einen anderen Abnehmer suchen. Meist entscheiden sie sich in Ermangelung von Alternativen für Sulfat. Das ist allerdings eine nur bedingt gute Wahl, denn wenn die Elektronen auf das Schwefelsalz übertragen werden, bildet sich Schwefelwasserstoff ? ein hochgiftiges Gas, das intensiv nach faulen Eiern riecht.
Wie kommen die Elektronen von unten nach oben?
Eigentlich sollten sich die beiden Prozesse ? der Sauerstoffverbrauch in der obersten Sedimentschicht und die Schwefelwasserstoffbildung mehrere Zentimeter darunter ? gegenseitig nicht beeinflussen. Vor etwa zwei Jahren entdeckte ein Forscherteam zur allgemeinen Überraschung jedoch, dass sie genau das tun: Gibt es oben wenig Sauerstoff, nimmt die Menge an Schwefelwasserstoff unten drastisch zu. Erholt sich die Sauerstoffkonzentration, verringert sich sehr schnell auch wieder die Schwefelwasserstoffmenge. Der Grund dafür muss eine elektrisch leitende Verbindung zwischen den beiden Schichten sein, schlossen die Wissenschaftler damals. Über diese werden Elektronen vom Schwefelwasserstoff zum Sauerstoff transportiert, wobei das giftige Gas zu unschädlichem Schwefel oxidiert wird.
Es gibt jedoch ein Problem: Alle Mechanismen, die man für solche Elektronentransportvorgänge in der Natur kannte, schaffen es zwar, einige wenige Mikrometer zu überbrücken, niemals jedoch mehrere Zentimeter. Und hier kommen die gerade entdeckten Kabel-Bakterien ins Spiel, denn sie können genau das: Sie schließen sich zu extrem langen, vielzelligen Ketten zusammen und sind so in der Lage, die trennenden Schichten zu überwinden. In jedem Kubikzentimeter Meeresboden, den die Wissenschaftler untersuchten, fanden sie über 100 Meter der lebendigen Kabel, das entspricht etwa 10 Millionen Bakterienzellen.
Evolution und Technik setzen auf das gleiche Prinzip
Aufgebaut sind die stromleitenden Fasern wie herkömmliche Kabel, zeigte ein Blick durchs Elektronenmikroskop: Jede Bakterienzelle besitzt an ihrer Außenseite 15 bis 17 Längsrillen. Die Erhebungen zwischen diesen Rillen enthalten winzige Kanälchen, die mit einer bisher noch unbekannten Substanz gefüllt und von einer festen Membran umgeben sind ? wie ein mehradriges Kabel mit einer Isolationsschicht. Diese Kanälchen sind es auch, die die Bakterienzell-Ketten miteinander verbinden: Sie laufen von Anfang bis Ende durch und überbrücken dabei die Lücken zwischen den einzelnen Zellen.
Dass sie tatsächlich diejenigen sind, die den Stromfluss zwischen den Schichten ermöglichen, konnten die Wissenschaftler mit zwei Tests belegen: Zum einen stoppt der Elektronentransport, wenn man mit einem feinen Draht horizontal durch das Sediment schneidet. Und zum anderen entsteht erst gar keine leitende Verbindung, wenn man ein feines Netz zwischen den Schichten anbringt. Für die Bakterien selbst hat ihre Leitfähigkeit immense Vorteile: Sie können weiterhin den Sauerstoff an der Oberfläche nutzen, obwohl der größte Teil ihrer Zellen im sauerstoffarmen Untergrund steckt.
Eine neue Bio(elektro)nik?
Viele Fragen rund um die spektakulären Kabel-Bakterien bleiben allerdings noch offen. So ist völlig unkla r, aus welchem Material die leitenden Fasern in den Kanälchen bestehen. Auch die Frage, wie häufig die Mikroben in der Natur vorkommen oder welche Lebensräume sie noch erobert haben, ist bislang unbeantwortet. Und schließlich ist da noch die spannende Möglichkeit, dass diese Art der Bioelektronik als Vorbild für völlig neue technische Anwendungen dienen könnte.