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Besser hören durch Dunkelkur

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Besser hören durch Dunkelkur
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Nach der DUnkelkur verbinden mehr Verknüpfungen (grün) die Neuronen (rot) im Hörzentrum mit dem Thalamus (Emily Petrus und Amal Isaiah)
Von blind geborenen Menschen kennt man das: Weil sie von frühester Kindheit nichts sehen können, hat sich ihr Gehör oft umso feiner entwickelt. Bisher dachte man allerdings, dass diese dies nur bei sehr frühem Verlust des Sehvermögens möglich ist – in der für die Sinne prägenden Phase der Kindheit. Ein Versuch mit Mäusen zeigt nun aber: Auch bei Erwachsenen lässt sich die Sensibilität des Gehörs messbar steigern – bei den Mäusen reichte dafür eine Woche im Dauerdunkel. Nach Ansicht der Forscher lässt sich ihr Ergebnis durchaus auf Menschen übertragen. Ob diese allerdings freiwillig längere Zeit im Dunkeln ausharren, bleibt fraglich.

Die Musiker Ray Charles, Stevie Wonder und Andrea Bocelli haben neben ihrem musikalischen Talent eines gemeinsam: Sie sind seit frühester Kindheit blind. Doch der Verlust der Sehkraft hat ihren musikalischen Fähigkeiten keinen Abbruch getan – ganz im Gegenteil. Ähnlich wie bei vielen anderen, die schon seit Geburt oder jungen Jahren blind sind, hat sich dafür ihr Gehör besonders fein entwickelt. Studien zeigen, dass früh Erblindete schnelle Tonfolgen besser trennen können und auch feine Unterschiede in der Tonhöhe besser hören als die meisten Sehenden. Der Grund dafür: „Unsere Sinnessysteme arbeiten nicht isoliert voneinander, sie interagieren miteinander – vor allem beim Verlust eines Sinnes“, erklären Hey-Kyoung Lee von der Johns Hopkins University in Baltimore und ihre Kollegen. Je stärker ein Sinn gefordert wird, desto besser entwickelt er sich. Im Gehirn werden entsprechend mehr Verschaltungen zwischen den zuständigen Hirnzellen angelegt.

Sinnesausgleich nur bei Kindern?

Das Haken daran: Diese Eichung der Sinne ist nur in einer kritischen Phase der Kindheit möglich – dachte man jedenfalls bisher. Denn in dieser Zeit ist das Gehirn noch extrem plastisch. „Deshalb können wir bestimmte Töne im Chinesischen einfach nicht hören, wenn wir diese Sprache nicht schon als kleines Kind gelernt haben“, erklärt Koautor Patrick Kanold von der University of Maryland in Holland Park. Und das sei auch der Grund, warum man Kinder frühzeitig auf mögliche Hör- oder Sehprobleme hin untersucht. Die in der kritischen Phase eingeprägten Defizite lassen sich später kaum noch ausgleichen. Ob das tatsächlich stimmt, haben Kanold und seine Kollegen nun noch einmal an Mäusen überprüft.

Für ihr Experiment testen die Forscher zunächst, wie sensibel erwachsene Mäuse mit normaler Sehfähigkeit Geräusche hören können. Dafür leiteten sie die elektrischen Signale aus dem Hörzentrum der Tiere ab und prüften, ob und wie stark die Neuronen auf leise Töne oder schnelle Tonfolgen reagierten. Dann setzten die Wissenschaftler einige Mäuse eine Woche lang in ein Gehege mit Dauerdunkel. Ihre Augen erhielten dadurch keinerlei Sehinformationen mehr – sie waren faktisch blind. Nach Ablauf der Woche prüften die Forscher erneut, wie stark die Hirnzellen im Hörzentrum dieser Tiere auf verschiedene Geräusche reagierten.

Hörzentrum sensibilisiert

Das Ergebnis: Als die Mäuse aus dem Dauerdunkel wieder ans Licht kamen, war ihre Sehleistung unverändert. Doch ihr Gehör hatte sich verbessert:  Ihre Neuronen im Hörzentrum feuerten schneller und stärker als zuvor und reagierten selbst auf Töne, die die Tiere zuvor nicht hatten hören können, wie die Forscher berichten. Selbst während der nur kurzen temporären Blindheit hatte sich das Gehirn der Mäuse flexibel an die veränderten Verhältnisse angepasst. Es waren sogar neue Verknüpfungen zwischen den Hirnzellen im Hörzentrum und dem Thalamus entstanden, der Schaltzentrale für eingehende Sinnesreize. „Der Verlust eines Sinnes – des Sehens – kann offenbar die Verarbeitung eines anderen verbessern und das selbst bei Erwachsenen“, konstatiert Studienleiterin Lee.

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Nach Ansicht der Forscher könnte diese Form der Sinnesschulung auch beim Menschen funktionieren. „Wir wissen zwar noch nicht, wie viele Tage ein Mensch im Dunkeln verbringen müsste, um diesen Effekt zu bekommen – und ob das überhaupt jemand freiwillig tun würde“, sagt Kanold. Aber eine solche künstliche Kurzzeit-Blindheit könnte eine Chance eröffnen, Hörprobleme bei Menschen zu lindern. Patienten mit Cochlea-Implantaten könnten beispielsweise dadurch ihr Gehirn darauf trainieren, die über das Implantat vermittelten Hörreize besser zu verarbeiten. Noch allerdings ist nicht klar, wie lange der Trainingseffekt einer solchen Dunkelbehandlung anhalten würde. Denn bei den Mäusen normalisierte sich das durch eine Woche Dunkelheit gestärkte Gehör nach einigen Wochen bei normalem Licht wieder. Die Forscher hoffen aber, in weiteren Versuchen herauszufinden, wie sich diese Sinnesverbesserung dauerhaft erreichen lässt.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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