Gesichter-Schau unter Hormoneinfluss
Um das zu testen, führten die Wissenschaftler mehrere Experimente mit sieben männlichen Rhesusaffen durch. Sie testeten dabei, wie schnell, wie lange und wie intensiv die Affen jeweils verschiedene Gesichter von Artgenossen anschauten, nachdem sie eine Dosis Oxytocin mittels Nasenspray bekommen hatten. Gezeigt wurden dabei fremde Affen, sowie hoch- und niederrangige Artgenossen aus der gleichen Affengruppe. In einem zweiten Test prüften die Forscher, wie leicht sich die Affen von einem einfachen Aufmerksamkeitstest ablenken ließen, wenn zwischendurch Gesichter von fremden oder bekannten Artgenossen eingeblendet wurden. In einem dritten Test schließlich konnten die Affen selbst wählen, ob sie das Gesicht eines Artgenossen aufdecken und anschauen wollten oder lieber das Geschlechtsteil eines Weibchens oder ein neutrales Objekt.
Das Ergebnis: Affen, die kein Hormon erhalten hatten, verhielten sich wie erwartet: Sie fixierten vor allem die Gesichter von hochrangigen Artgenossen intensiv und reagierten auf diese auch deutlich schneller als auf neutrale Objekte oder niederrangige Affen. Meist entschieden sich diese Affen auch freiwillig dafür, sich das Gesicht eines dominanten Männchens anzuschauen. Im Ablenkungstest sank ihre Reaktionszeit bei der Aufgabe deutlich, wenn gleichzeitig fremde oder bedrohliche Gesichter eingeblendet wurden. Anders dagegen die Affen, die zuvor Oxytocin bekommen hatten: Sie ließen sich weniger stark ablenken und auch ihre Aufmerksamkeit für die potenziell bedrohlichen dominanten Artgenossen sank, wie die Forscher berichten.
Gedämpfte Wachsamkeit – mehr Ressourcen für die Beziehung
„Offensichtlich dämpft das Oxytocin die arttypische soziale Wachsamkeit, statt sie zu verstärken“, konstatieren Becket Ebitz und seine Kollegen. Das Hormon habe damit eine fundamentale Wirkung bereits in den ersten Phasen der Verarbeitung sozialer Information. Das bestätige auch neurologische Funde, nach denen Oxytocin die Aktivität in Hirnarealen senkt, die für Aufmerksamkeit und Erregung zuständig sind, aber auch für die Erkennung von Gesichtsausdrücken. Nach Ansicht der Forscher hat diese dämpfende Wirkung durchaus einen biologischen Sinn: Sie setzt Ressourcen frei, die es dem Primaten ermöglichen, seine Aufmerksamkeit ganz auf positive soziale Aktionen zu konzentrieren – beispielsweise auf das Spielen mit dem Nachwuchs oder das Schmusen mit der Partnerin.
Ob das „Kuschelhormon“ auch beim Menschen ähnliche Wirkung zeigt, ist noch unklar. Da aber viele anderen Effekte des Oxytocins bei Mensch und Affe gleich sind, halten die Forscher es für durchaus wahrscheinlich. „Wie der Mensch ist auch der Rhesusaffe ein Primat, der in Gruppen lebt und optische Signale nutzt, um soziale Botschaften zu übermitteln“, erklären Becket Ebitz und seine Kollegen. Zudem seien auch die neurologischen Schaltkreise, die die soziale Aufmerksamkeit kontrollieren, bei Mensch und Rhesusaffen gleich. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie nach einer ausführlichen Kuschelsitzung mit Familie oder Partner prompt den wütenden Gesichtsausdruck ihres Nachbarn übersehen – möglicherweise ist eine Oxytocin-Schwemme schuld.