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Der Krieg der Holzwürmer

Erde|Umwelt

Der Krieg der Holzwürmer
Europa hat viele Kriege erlebt, doch einen hat bisher keiner bemerkt: den Krieg der Holzwürmer. Entdeckt hat ihn jetzt ein US-Biologe. Demnach gab es über Jahrhunderte hinweg eine klare Front, die das nördliche Reich der Art Anobium punctatum von dem südlichen Herrschaftsbereich von Oligomerus ptilinoides trennte. Doch ähnlich wie in der europäischen Union fielen irgendwann offenbar die Grenzen, und es gab freie Wohnsitzwahl: Heute kommen beide Arten in allen Teilen Europas gleichermaßen vor. Noch kurioser als die Geschichte selbst ist allerdings die Methode, mit der der Forscher sie aufgedeckt hat: Wo welche Art einst vorkam, verrieten ihm weiße Punkte auf historischen Kunst-Drucken.

Was man umgangssprachlich als Holzwürmer bezeichnet, sind eigentlich Larven von Käfern. Die Insekten legen ihre Eier auf Holz ab, aus denen dann die wurmartigen Larven schlüpfen, die für den üblen Ruf des Holzwurms verantwortlich sind: Sie nagen sich quer durchs Holz und machen es mit ihren Gängen brüchig. Nach drei bis vier Jahren verpuppen sie sich schließlich und der fertige Käfer nagt sich ins Freie. Dann fliegt er davon, um den nächsten Holzscheit oder das nächste Möbelstück mit seinem Nachwuchs zu ?beglücken?. Die typischen Löcher, die auf der Oberfläche von befallenem Holz sichtbar werden, stammen also nicht von den Würmern, sondern von den Käfern.

Löchrige Bilder durch wurmstichige Druckhölzer

Der Appetit der Insekten machte auch nicht vor den hölzernen Druckblöcken halt, mit denen der Mensch in Europa seit etwa 500 Jahren Schriften und Kunstwerke auf Papier vervielfältigte. Druckt man mit einem dieser wurmstichigen Blöcke, so spiegeln sich die Löcher als weiße Punkte im Abbild wider. Der Biologe Blair Hedges von der Pennsylvania State University hat diese Spuren nun genau unter die Lupe genommen und dazu Bibliotheken und Archive in ganz Europa durchstöbert. Anhand der Größe der Löcher konnte er belegen, welche Art sie verursacht hatte: Die von Anobium punctatum sind mit 1,43 Millimetern deutlich kleiner als die von Oligomerus ptilinoides mit einem Durchmesser von 2,30 Millimetern.

Von allen Drucken, die Hedges untersuchte, war bekannt, wann und wo sie entstanden waren. Auf diese Weise konnte der Forscher die örtliche und zeitliche Verteilung beider Holzwurmarten in den letzten 500 Jahren bestimmen. Es zeigte sich, dass bis vor etwa 100 Jahren die Herrschaftsgebiete klar aufgeteilt waren: Anobium punctatum hatte Nordeuropa fest im Griff, Oligomerus ptilinoides dagegen den Süden. Beide Armeen trafen an einer klaren Grenze aufeinander, die sich quer durch die Mitte Europas zog. Offenbar war keine der beiden Arten in der Lage, dort Fuß zu fassen, wo die andere Art bereits ihre Zelte aufgeschlagen hatte, erklärt Hedges.

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Warum die Holzwurmgrenze fiel

Doch vor etwa 100 Jahren begann die Trennlinie zunehmend aufzuweichen, zeigt die Studie. Heute findet man schließlich beide Arten gleichermaßen in ganz Europa. Ein Friedensvertrag oder Wurm-Bündnis war dafür allerdings nicht verantwortlich, sondern wohl vielmehr der der enorme Zuwachs im europäischen Handel der letzten hundert Jahre, sagt Hedges. Möbelstücke und Holz aus dem Norden kamen dabei massenweise in den Süden und umgekehrt. Die darin ebenfalls verfrachteten Holzwürmer beider Arten konnten sich schließlich an die entsprechenden Klimabedingungen anpassen und dauerhaft etablieren.

Hedges zufolge könnten seine Ergebnisse nun auch praktisch genutzt werden. ?In manchen Fällen ist unbekannt, woher ein historischer Druck stammt. Befindet sich ein Holzwurmloch darauf, kann man nun zumindest herausfinden, ob es in Nord- oder Südeuropa gedruckt worden ist?, schlägt der Biologe vor.

Blair Hedges (Pennsylvania State University): Biology Letters, doi: 10.1098/rsbl.2012.0926 © wissenschaft.de – Martin Vieweg
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