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Der Verfolger im Kopf

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Der Verfolger im Kopf
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Paranoia - die unbegründete oder übertriebene Befürchtung, dass jemand einem selbst Schaden zufügen will Foto: fabbio, cc-by-sa-Lizenz
Wenn jemand unter Verfolgungsideen leidet, wird dies meist mit einer schweren psychischen Erkrankung wie der Schizophrenie in Verbindung gebracht. Tatsächlich aber haben überraschend viele Menschen zumindest gelegentlich paranoide Gedanken. Forscher aus Großbritannien und den Niederlanden untersuchen, welche Ursachen der Paranoia zugrunde liegen und wie die Betroffenen lernen können, besser damit umzugehen.

Im Durchschnitt haben 10 bis 15 Prozent der Menschen regelmäßig solche Gedanken: Verfolgt mich dieser zwielichtige Typ im Auto hinter mir? Wird hinter meinem Rücken über mich getuschelt? Beobachtet mich mein Nachbar heimlich? Paranoia lautet das Stichwort – definiert als die unbegründete oder übertriebene Befürchtung, dass jemand einem selbst Schaden zufügen will. Bis vor wenigen Jahren brachte man den Begriff vor allem mit dem Krankheitsbild der Schizophrenie in Verbindung. „Aber vermutlich hat jeder solche Gedanken schon einmal erlebt“, sagt Daniel Freeman, der das Phänomen am King’s College in London untersucht. „Allerdings kann Paranoia sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen: Von einem kurzzeitigen, leichten Unbehagen bis hin zu bizarren, anhaltenden Verfolgungsideen, die ein normales Leben unmöglich machen.“

Unter einer solchen schweren Paranoia leiden etwa drei bis fünf Prozent der Bevölkerung. Diese glauben beispielsweise, dass verschlüsselte Botschaften über sie im Fernsehen gesendet oder dass ihre Gedanken von anderen kontrolliert werden. Vor allem aber leiden die Betroffenen unter ihren absonderlichen Vorstellungen: Sie haben panische Ängste und leben aus Misstrauen gegenüber anderen häufig vollkommen isoliert.

Doch wie kommt Paranoia eigentlich zustande? „Das Leben ist voller verwirrender, mehrdeutiger Erfahrungen, für die der Mensch eine Erklärung sucht“, erklärt Freeman. „Paranoide Gedanken sind eine Form der Erklärung – allerdings eine fehlgeschlagene.“

Eine Ursache dafür sind offenbar bestimmte Auffälligkeiten im Denken, fand der Forscher heraus. Diese zeigen sich anschaulich in der „Beads Task“: einer Aufgabe, bei der die Probanden erraten sollen, aus welchem von zwei Gefäßen die Glaskugeln stammen, die ihnen der Versuchsleiter zeigt. „Probanden mit Paranoia kommen häufig schon nach der ersten oder zweiten Kugel zu einer Entscheidung“, berichtet Freeman. „Sie treffen ihre Entscheidungen also aufgrund unzureichender Informationen. Und genau das kann paranoide Gedanken aufrechterhalten. Denn um die Schwachstellen solcher Gedanken zu erkennen, muss man alle Informationen angemessen bewerten – und dazu braucht man Zeit.“

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Auch eine andere Besonderheit ließ sich bei Menschen mit Paranoia häufig beobachten: so genannte geringfügige Unregelmäßigkeiten der Wahrnehmung. Diese hängen oft mit körperlicher Erregung zusammen, die durch Stress, Angst oder Ärger ausgelöst wird. „In solchen Situationen kann es zum Beispiel sein, dass jemand Farben oder Geräusche besonders intensiv wahrnimmt“, erläutert Freeman. „Manche Menschen haben auch das Gefühl, ihre Gedanken gehörten nicht mehr ihnen selbst oder alles um sie herum sei unwirklich.“

Auch Schlafmangel oder extreme Reizarmut können solche Wahrnehmungen auslösen, zu denen im Extremfall auch Halluzinationen gehören. „Warum nur manche Menschen auf diese Erfahrungen mit Angst und Verwirrung reagieren, wissen wir bislang nicht“, sagt Freeman. „Allerdings erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit für paranoide Gedanken beträchtlich.“

Weiteren Aufschluss über die Hintergründe der Paranoia erhielten die Forscher in einem ungewöhnlichen Experiment. Darin versetzten sie ihre Probanden mittels Virtual-Reality-Brille in einen Wagen der Londoner U-Bahn. Die Teilnehmer waren umgeben von anderen Passagieren, die alle einen neutralen Gesichtsausdruck hatten. Während die meisten Probanden die vierminütige Fahrt als harmlos erlebten, fanden einige die Erfahrung auch bedrohlich. „Ein Kerl erschien irgendwie zwielichtig. Also ob er jemanden angreifen oder eine Bombe legen wollte“, berichtete einer der Teilnehmer. Die Auswertung der Daten zeigte, dass die Betroffenen insgesamt relativ ängstlich waren. Außerdem bewerteten sich selbst und ihre Umwelt negativer als andere. „Genau diese Eigenschaften können dazu beitragen, dass jemand sich schnell bedroht oder verfolgt fühlt“, erläutert Freeman.

So ist es auch nicht überraschend, dass Menschen, die von Verfolgungsideen geplagt werden, häufig die Befürchtung haben, irgendwann verrückt zu werden. Und tatsächlich erkrankt ein kleiner Teil im Lauf ihres Lebens an einer Schizophrenie. Allerdings ist diese Gefahr vor allem dann erhöht, wenn eine Reihe von Risikofaktoren vorliegen, wie ein Forscherteam um Jim van Os von der Universität Maastricht in den Niederlanden herausfand. „Die bedeutendsten Risiken sind eine genetische Vorbelastung und Drogenkonsum“, sagt Rebecca Kuepper, wissenschaftliche Mitarbeiterin in van Os‘ Arbeitsgruppe. „Daneben können auch traumatische Erfahrungen wie sexuelle oder körperliche Gewalt, Mobbing und Diskriminierung das Risiko erhöhen, ernsthaft zu erkranken.“ Auch die Bewertung der Verfolgungsgedanken stellte sich als bedeutsam heraus: „Wenn jemand darauf mit großer Sorge reagiert und sich ständig darüber den Kopf zerbricht, nehmen die Symptome eher noch zu“, erklärt Kuepper.

Glücklicherweise gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die paranoiden Gedanken in den Griff zu bekommen – oder zumindest besser mit ihnen zu leben. „Hilfreich ist es oft, die Gedanken in Frage zu stellen und nach Gegenbeweisen zu suchen“, sagt Freeman. „Man kann auch lernen, sie loszulassen und sich nicht mehr ständig mit ihnen zu beschäftigen. Dabei sind vor allem Aktivitäten, die Spaß machen, und Kontakte zu anderen Menschen sehr hilfreich.“

ddp/wissenschaft.de – Christine Amrhein
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