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Die Entdeckung der Nachhaltigkeit

Hans Carl von Carlowitz

Die Entdeckung der Nachhaltigkeit
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Wald © Smileus - Fotolia.com
Vor 300 Jahren veröffentlichte ein sächsischer Oberberghauptmann seine Lösung für die damalige Holzkrise — und prägte einen Begriff, der eine beispiellose Karriere machte. Text: Ulrich Grober

Das Amt in Freiberg leitete im Jahr 1713 der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz (1645–1714). Er stammte aus altem sächsischem Adel, die Familie war schon seit Generationen für das Jagd- und Forstwesen in Kursachsen zuständig. Carlowitz wurde in die Endphase des Dreißigjährigen Krieges hineingeboren. Weite Landstriche waren verwüstet. Der Vater, zunächst Offizier im sächsischen Heer, hatte 1737 den Dienst quittiert und war zum Oberaufseher des Floßwesens im Erzgebirge ernannt worden, später zum Oberforstmeister und Landjägermeister. Auf der elterlichen Burg Rabenstein bei Chemnitz gingen Waldbesitzer, Hüttenunternehmer, Jagdaufseher und Floßmeister ein und aus.

Das war das Milieu, das den jungen Carlowitz prägte. Vermutlich wusste er über alle praktischen Aspekte beim Umgang mit Holz Bescheid: wie man Bäume pflanzt und sie fällt, wie man Holzstämme flößt und wie man einen Holzkohlemeiler auf 1000 Grad Temperatur bringt. Und er kannte von Kindesbeinen an das Gespenst, das damals in deutschen Landen und in ganz Europa umging: die Holznot. Lang anhaltender Raubbau an den Wäldern hatte die Reserven des wichtigsten Energieträgers auf ein Minimum schrumpfen lassen. Die Aussichten waren düster.

Im Alter von 20 Jahren brach Carlowitz zu einer ausgedehnten, fast fünf Jahre dauernden Studienreise durch Europa auf. Er sah, dass der Holzmangel überall ein akutes Problem geworden war. Binnen wenig Jahren ist in Europa mehr Holtz abgetrieben worden, schrieb er, als in etzlichen seculis erwachsen. Das Ende dieser Entwicklung sei leicht abzusehen. Schon Melanchthon habe ein Zorn-Gericht des großen Gottes prophezeit, daß nehmlich am Ende der Welt man an Holtze große Noth leiden werde.

Die Bilanz seiner Studien und seiner Lebenserfahrung veröffentlichte Carlowitz, der seit 1711 den einflussreichen Posten des Oberberghauptmanns innehatte, nachdem er bereits 34 Jahre lang Stellvertreter gewesen war, im Jahr 1713 in einem dicken Buch: „Sylvicultura oeconomica – Anweisung zur Wilden Baum-Zucht“. Darin sagt er voraus, dass der einreissende Grosse Holtz-Mangel das Land in den Ruin treiben werde. Und er fordert die nachhaltende Nutzung der Wälder, weil sonst das Land in seinem Esse – in seinem Sein also – bedroht sei.

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Der Vorgang entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Ein hoher Beamter des wegen seiner notorischen Verschwendungssucht berüchtigten August des Starken argumentiert im Interesse des gemeinen Wesens, also der Allgemeinheit, und der lieben Posterität, also der kommenden Generationen – und kritisiert das auf kurzfristigen finanziellen Gewinn, auf Geld lösen, ausgerichtete Denken seiner Zeit.

Weil es eine unentbehrliche Sache ist

In einer barocken und für unsere Ohren etwas schwülstigen Sprache, in Wahrheit aber mit erstaunlicher Kühnheit und Klarheit, entfaltet Carlowitz die Beziehung zwischen Ökonomie und Ökologie. Nicht der Markt und die Nachfrage dürften den Verbrauch bestimmen, sondern wieder wachsen, das Nachwachsen des jungen Holzes. Die Consumtion des Holtzes müsse sich im Rahmen dessen bewegen, was der Wald-Raum / zu zeugen und zu tragen vermag. Dass man das Holz, das so wichtig sei wie das tägliche Brot, mit Behutsamkeit nutze, sodaß eine Gleichheit zwischen An- und Zuwachs und dem Abtrieb des Holtzes erfolget und die Nutzung immerwährend, continuirlich und perpetuirlich stattfinden könne.

Und schließlich fordert er die behutsame Einbettung der menschlichen Ökonomie in die große Haushaltung von mater natura, modern ausgedrückt: der Biosphäre. Der Mensch dürfe niemals wider die Natur handeln, sondern müsse stets mit ihr agiren. … Also soll man … der Natur nach ahmen / weil selbige am besten weiß / was nützlich / nöthig und profitabel dabey ist . Es sei eine sogeartete Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen, daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weil es eine unentbehrliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag .

Carlowitz‘ Wortschöpfung, die sich schon bald zu „nachhaltig“ veränderte, etablierte sich im Lauf des 18. Jahrhunderts in der Fachsprache der deutschen Forstleute. Im 19. Jahrhundert übersetzte man sie in andere Sprachen, ins Englische etwa mit „sustained yield forestry“, also Forstwirtschaft mit nachhaltigem Ertrag. Dieser Terminus wurde im späten 20. Jahrhundert zur Blaupause unseres modernen Konzepts des „Sustainable Development“, der nachhaltigen Entwicklung; die Umweltkonferenz 1992 in Rio machte ihn endgültig weltbekannt. Die Nachhaltigkeit ist also, so könnte man sagen, ein Geschenk der deutschen Sprache an die Weltgemeinschaft.

Dennoch ist es erstaunlich, welche Karriere der Begriff gemacht hat, sodass er am Ende des 20. Jahrhunderts zum Leitbild für die Entwicklung der ganzen Welt wurde. Wie konnte das geschehen? Eine erste Antwort: Auf den Fotos aus dem Weltall, die um 1968 von den bemannten Mondflügen zur Erde gesendet wurden, sah sich die Menschheit zum ersten Mal in ihrer Geschichte ganz und gar von außen. Ein epochales Ereignis: Schlagartig entstand ein Bewusstsein, dass der blaue Planet insgesamt ein geschlossenes, begrenztes System darstellt: das Raumschiff Erde. Die Grenzen des Wachstums kamen in Sicht und damit der Zwang zur Selbstbeschränkung – zur Nachhaltigkeit.

Nachhaltigkeitsidee ist überall ein Kind der Krise

Ein zweiter Zusammenhang: Carlowitz und seine Zeitgenossen dachten und handelten noch im Horizont eines Zeitalters, das geprägt war von nachwachsenden Ressourcen. „Kohle“ war für sie in erster Linie Holzkohle, „Öl“ der Saft von Baum- oder Feldfrüchten. Erst unter dem Druck des Holzmangels begann – zuerst in England – der Einstieg in die Ausbeutung der „unterirdischen Wälder“, also der fossilen Lagerstätten. Gedacht als Brückentechnologie, bis die Wälder sich erholt hätten, begann die Brücke sich zu einem eigenen Zeitalter auszuwachsen. Nun stehen wir offenbar am „Peak Oil“. Innerhalb von 200 Jahren haben wir es geschafft, die fossilen Lagerstätten zu plündern und mit ihrer Verbrennung das Ökosystem Klima zu zerrütten. Vor uns liegt als einzige Option der Einstieg in ein solares Zeitalter, in der wieder die Energie der Sonne und der Photo-synthese den Rahmen für unser Tun setzen.

Ein „weiter so!“, jetzt mit nachwachsenden Rohstoffen, ist freilich ausgeschlossen. Nie und nimmer können erneuerbare Energien eine Industrie- und Konsum-Zivilisation tragen, wie wir sie in nur ein, zwei Generationen aus dem Boden gestampft und globalisiert haben. Wenn wir das nicht rechtzeitig verstehen, wird auch die „Energiewende“ scheitern. Nachhaltigkeit war damals – und muss es heute immer noch sein – eine Strategie zur Reduktion unseres Naturverbrauchs. Sie erfordert eine Kultur des Teilens. Eine nachhaltige Gesellschaft wird gerechter sein und zugleich egalitärer. Aber das erfordert einen tief greifenden Wandel. Ansonsten wird sie für immer ein Traum bleiben.

Die Nachhaltigkeitsidee ist überall, wo sie in der Geschichte auftaucht, ein Kind der Krise. Die dazu zwingt, Widersprüche zu versöhnen. Ob nachhalten und nutzen (Carlowitz, 1713) oder sustain und develop (Brundtland-Kommission, 1987) – stets geht es um einen Ausgleich von Gegensätzen: Nutzung und Bewahrung, Selbstsorge und Vorsorge, Ökonomie und Ökologie. Was hier im Hintergrund mitschwingt, ist das Gebot aus der biblischen Schöpfungsgeschichte, den Garten Eden zu bebauen und zu bewahren. Und noch etwas klingt an: die Idee der Treuhänderschaft, das Bewusstsein, etwas für jemand anderen, für später, aufzubewahren und zu verwalten Auch dieser Aspekt von Carlowitz‘ Denken ist aktueller denn je.

Zum Autor
Ulrich Grober, 1949, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema. Sein lesenswertes Buch „Nachhaltigkeit – Kulturgeschichte eines Begriffs“ erschien im März in überarbeiteter Ausgabe. Ebenfalls im März kam eine Neuausgabe von Carlowitz‘ „Sylvicultura oeconomica“ heraus.

Foto: Wald © Smileus – Fotolia.com

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