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Die Schneekraniche vom Poyang

Vogelschutz in China

Die Schneekraniche vom Poyang
Schneekranich
Der Schneekranich, Grus leucogeranus, kann bis 1,40 Meter groß und acht Kilogramm schwer werden. (Foto: Stephanie D. berger/Fotolia)
Der Schneekranich ist mehr und mehr vom Aussterben bedroht, weil ihm der Mensch den Lebensraum beschneidet. In China versuchen daher internationale Organisationen den großen Vogel zu schützen. Keine leichte Aufgabe, da wasser- und landwirtschaftliche Interessen die Bemühungen beim Vogelschutz ersticken.

Der Schneekranich gehört zu den majestätischsten Vogelarten der Welt, in vielen Kulturen Asiens wird er als heilig oder glückbringend verehrt. Und doch ist er extrem selten geworden, denn die Gefahren sind vielfältig. Von der einst über ganz Asien verbreiteten Art existieren heute nur noch zwei Populationen: Eine davon zählt noch an die 4000 Tiere und pendelt im Osten des Kontinents zwischen Jakutien und China. DIe andere im Westen besteht im Grunde aus einem Tier, das den Winter im Iran verbringt.

Die Population im Osten Asiens ist im Vergleich dazu recht stabil. “Auf ihr ruhen unsere größten Hoffnungen, den Schneekranich als Art zu erhalten”, sagt Jim Harris, Asienexperte und Vizepräsident der der International Crane Foundation. Das Hauptaugenmerk der Schutzbemühungen liegt im Erhalt der Feuchtgebiete. Während die Schneekraniche sich im Sommer zum Brüten über die endlose, einsame Weite Jakutiens im sumpfigen Nordosten Russlands verteilen – Jakutien ist zehnmal so groß wie Deutschland, hat aber nur eine Million Einwohner -, konzentrieren sie sich im Winter an einer Stelle: Dem Poyang-See in der chinesischen Provinz Jiangxi. Über 98 Prozent der östlichen Population überwintern hier, nur wenige Exemplare bleiben an anderen Feuchtgebieten entlang des Zugweges zurück.

Ein See mit Höhen und Tiefen

Der Poyang ist Chinas größter Süßwasser-See, im Schnitt rund 3200 Quadratkilometer groß – sechs Mal größer als der Bodensee. Wobei seine Oberfläche aufgrund einer komplexen Hydrologie übers Jahr stark schwankt: Er hat im Süden fünf Zuflüsse und ist im Norden über einen kilometerbreiten natürlichen Durchlass mit dem Jangtse verbunden, dem größten Fluss Asiens. Im Spätfrühling strömt viel Wasser von Süden in den See und sorgt für einen ersten Hochstand, der sich in den Jangtse ergießt. Im Spätsommer schwappt das Hochwasser umgekehrt aus dem Jangtse in den Poyang, weil dann dieser Fluss besonders viel Wasser führt. Zu beiden Höhepunkten kann der Poyang auf bis zu 4500 Quadratkilometer anschwellen.

Im Winter dagegen, zur Trockenzeit, liegt seine Oberfläche mitunter elf Meter niedriger und erstreckt sich nur über rund 1000 Quadratkilometer. Der Rest sind dann flache Tümpel, Sümpfe und Schlickflächen – ein Paradies für Wasservögel, über eine halbe Million kommen jeden Winter hierher, darunter Schwanengänse, Schwarzschnabelstörche und  Weißnackenkraniche.

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“Gerade diese Schwankungen machen den Poyang für die Tiere attraktiv”, sagt der Zoologe Shao Mingqin, Experte für Wasservögel an der Jiangxi Normal University in Nanchang. Zum einen siedelten sich in einem solchen Gebiet natürlich keine Menschen an. Zum anderen biete jeder Wasserstand für andere Arten ideale Bedingungen, die sie irgendwo auf der Ebene finden. So bevorzugen Schneekraniche seichtes Wasser bis 50 Zentimeter Tiefe, weil sie darin am meisten Wurzelknollen finden, die sie im Winter als Futter bevorzugen.

Watt, so weit das Auge reicht

Die Schneekraniche am Poyang zu Gesicht zu bekommen, ist allerdings reine Glücksache. Wer in den Wintermonaten etwa auf dem riesigen Vogelbeobachtungsturm des National Wetland Park am Ostufer des Sees steht, erkennt, warum: Wattflächen so weit das Auge reicht – wie bei Ebbe in der Nordsee. Die Kraniche meiden jede Störung und suchen sich jedes Jahr einen anderen Ort zum Verweilen aus. Meist werden nur Vogelkundler fündig, die tagelang in dem Gebiet unterwegs sind, das zweimal so groß ist wie das Saarland.

Rund um die Feuchtebene des Poyang leben etwa acht Millionen Chinesen, die wenigsten Siedlungen verfügen über Kläranlagen. Dennoch ist das Wasser des Sees noch recht sauber. Dass das so bleibt, darum kümmert sich nicht zuletzt die lokale Naturschutzorganisation Mountain-River-Lake Sustainable Development Office (MRLSD). Die Organisation ist Mitglied im internationalen Seenschutznetzwerk “Living Lakes”, das von der deutschen Organisation Global Nature Fund gegründet wurde und koordiniert wird.

Der Mensch kreist den Schneekranich ein

Der Bevölkerungsdruck rund um den See steigt, viele hundert Quadratkilometer Feuchtgebiete wurden schon trockengelegt, die Eutrophierung nimmt allmählich zu. Im Osten des Sees gibt es Kupferminen, deren Abwässer Schwermetalle einleiten. Das MRLSD verhandelt daher mit immer mehr Gemeinden, Filter einbauen zu lassen beziehungsweise ökologische Kläranlagen anzulegen, die dem Abwasser mit Wasserhyazinthen, Schilf oder Farn einen Großteil ihrer Schadstoffe entziehen. Die Naturschützer klären die Bevölkerung auf über den Wert des Poyang für die Natur, bitten Viehhalter, ihre Tiere zu bestimmten Zeiten auf Koppeln zu halten, damit sie nicht die Feuchtgebiete und ihre Bewohner stören.

“Das größte Problem jedoch ist es, die komplexe Hydrologie der Poyang-Ebene zu erhalten”, sagt Udo Gattenlöhner, Geschäftsführer des Global Nature Fund. Dämme und Straßen in und um das Gebiet sollten mit Bedacht gebaut und an manchen Stellen auch zurückgebaut oder mit Durchlässen versehen werden, um den natürlichen Wasseraustausch zwischen den Marschgebieten zu gewährleisten. Vor allem die Staudämme an den Zuflüssen des Poyang werden immer problematischer: Allein an den fünf Zuflüssen im Süden gebe es über 10.000, sagt Jim Harris. “Aber es existiert keinerlei Koordination, wann welche Schleusen geöffnet werden müssen, damit die Feuchtgebiete auch feucht bleiben.”

Und dann wäre da natürlich noch der riesige Drei-Schluchten-Staudamm am Oberlauf des Jangtse. Lange schon äußerten westliche Experten Bedenken, er beeinträchtige die Hydrologie des Poyang zusätzlich. Inzwischen warnen selbst chinesische Wissenschaftler – ungeachtet dessen, dass sich die Regierung Kritik an ihrem Prestigeobjekt verbittet. Letztes Jahr schrieben Hydrologen und Geografen um Qi Zhang vom Labor für Seenkunde und Umwelt an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Nanjing in einer Studie, dass der Poyang allein in den Jahren 2001 bis 2010 über 150 Quadratkilometer seiner durchschnittlichen Größe verloren habe.

Der Poyang verliert Wasser

“Simulationen haben gezeigt, dass der Entwässerungseffekt des Jangtse die Hauptursache dafür ist.” Der Drei-Schluchten-Damm sorge für niedrigere Pegelstände im Fluss, dadurch bekommt der See im Spätsommer weniger Wasser und entleert sich im Herbst schneller wieder. Der Effekt des Damms sei höher als etwa der durch das ebenfalls immer trockener werdende Klima. Manche meinen, einen noch größeren Effekt habe das Baggern im Jangtse nach Sand für die Zementindustrie. Das Flussbett verliert seine Sedimente, der Fluss fließt immer schneller. Der Durchlass zwischen Poyang und Jangtse ist dadurch bereits erheblich breiter geworden.

Die chinesischen Behörden planen daher, in eben diesen Durchlass einen weiteren Damm zu bauen, mit dem man den Wasserstand im Poyang unabhängig vom Jangtse regulieren und auf einem gewissen Niveau halten könnte. Wobei es den Verantwortlichen weniger um die Tierwelt als vielmehr um die Bauern geht, die in den letzten Jahren unter der zunehmenden Trockenheit in der Poyang-Ebene leiden.

Während ihnen ein regulierter Wasserstand entgegen käme, würde die Natur jedoch umso mehr beeinträchtigt, fürchten Naturschützer: Eine Analyse des ICF zeigt, dass in jedem Fall die starke Variabilität des Poyang-Wasserniveaus verloren ginge, die den Wasservögeln so behagt. “Diese Fluktuation einzuschränken, würde den gesamten Feuchgebietskomplex fundamental verändern, sein ökologischer Charakter wäre dahin”, warnt Jim Harris. Ein ähnliches Beispiel am Tai Hu-See flussabwärts habe das gezeigt. Vor allem die Flachwasser- und Schlickflächen am Poyang, die der Schneekranich so dringend benötigt, verschwänden. Das Schicksal dieser Spezies wäre besiegelt.

Die Überwinterungsgebiete schrumpfen

Denn es gibt abseits des Poyang kaum mehr Ausweichmöglichkeiten zur Überwinterung. Andere traditionelle Gebiete wie die Altarme und Überschwemmungsgebiete des Jangtse sind verbaut oder trockengelegt. “Sie sind der rasanten Entwicklung Chinas zum Opfer gefallen”, sagt der Tierökologe Jochen Tamm, Vorstand der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Spezialist für die Vogelwelt Nordasiens. Nicht zuletzt der Bau des Drei-Schluchten-Staudamms sei dafür verantwortlich. “Darum ist der Schneekranich nun auf Gedeih und Verderb vom Poyang-See abhängig. Kommt jetzt irgendein großer Störfaktor dazu, egal ob die Jagd, eine Ölkatastrophe im Brutgebiet oder eine Verschlechterung der Wasserqualität im Poyang – dann kann der Schneekranich binnen weniger Jahre aussterben.”

Tamm fordert darum, nicht nur die verbliebenen Gebiete zu sichern – dazu gehören auch die wichtigen Rastplätze im Nordosten Chinas wie die Feuchtgebiete der Sognen-Ebene westlich von Harbin. “Die Chinesen müssten auch zwei oder drei Überwinterungsalternativen wiederherstellen oder neu schaffen.” Der Chanka-See im äußersten Nordosten Chinas an der Grenze zu Russland etwa böte sich an.
Tamm weiß natürlich, wie schwierig so etwas naturschutzpolitisch durchzusetzen ist. Und doch: Die westlichen Naturschützer sind immer wieder erstaunt über die Entschlossenheit ihrer chinesischen Partner.

“Wir arbeiten eng mit den Wissenschaftlern und Regierungsbehörden dort zusammen”, sagt Jim Harris. “Heute sind sie alle viel besser geschult als vor 25 Jahren, sie wissen genau, worum es geht und was zu tun ist, und sie stecken viel Geld in den Gewässerschutz.” Auch wachse das Interesse an Birdwatching in China, und die Schneekraniche seien kulturell sehr bedeutungsvoll. “Ich bin daher einigermaßen zuversichtlich, dass diese wundervollen Vögel auch in hundert Jahren noch existieren werden.”

 

Über den Schneekranich berichten wir auch in unserem Heft, natur 11/15.

© natur.de – Jan Berndorff
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