Ihre Kieferzangen krachen mit über 320 Kilometer pro Stunde auf ihre Opfer ein: Dracula-Ameisen erzeugen damit die schnellste bisher bekannte Bewegung eines Körperteils im Tierreich, berichten Forscher. Die enorme Beschleunigung beruht dabei auf einem raffinierten Spann-Mechanismus im Kiefer der skurrilen Insekten, der wie bei einem Fingerschnippen ausgelöst wird. Das System unterscheidet sich damit deutlich von dem der bisherigen Rekordhalter unter den Ameisen.
Zack! Viele Tiere schlagen, greifen oder springen blitzartig, um ihre Gegner zu überraschen oder möglichst viel Wucht zu entwickeln. Die Favoritenliste dieser Disziplin führten bislang Vertreter der Fangschreckenkrebse, der Zikaden, Termiten und der Ameisen an. Bei letzteren hielten bisher die sogenannten Schnappkieferameisen den Rekord. Sie besitzen wie Fangeisen geöffnete Kieferzangen, die sie rasant zuschnappen lassen können. Untersuchungen zufolge beruht dieser Schnapp-Mechanismus auf einem Spann-Element im Kopf, in dem Energie wie in einem Bogen gespeichert vorliegt. Bei offener Stellung der Kiefer ist dieses Element blockiert – erst wenn es durch einen Reiz ausgelöst wird, schnappen die Zangen blitzartig zu.
5000 Mal schneller als ein Wimpernschlag
Doch wie die Forscher um Andrew Suarez von der University of Illinois in Urbana-Champaign nun berichten, gibt es bei den Ameisen noch einen leistungsfähigeren Mechanismus. Im Rahmen ihrer Studie haben sie Vertreter der sogenannten Dracula-Ameisen (Mystrium) ins Visier genommen. Konkret handelte es sich um die Art Mystrium camillae, die in tropischen Region Australiens vorkommt. “Diese Ameisen weckten unser Interesse, da ihre Kieferzangen sehr ungewöhnlich sind”, sagt Suarez. So haben sie den skurrilen Krabblern eine detaillierte Studie gewidmet. Wie sie berichten, war dazu Hightech nötig: “Um die Bewegungen der Kieferzangen untersuchen zu können, mussten wir Ultra-High-Speed Kameras verwenden“, erklärt der Wissenschaftler.
Die Geschwindigkeiten, die sie auf diese Weise feststellten, brachen alle bisherigen Rekorde. Die Dracula-Ameisen können demnach ihre Kieferzangen in 0,000015 Sekunden auf über 320 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Zum Vergleich: Diese Bewegung ist 5000 Mal schneller als ein Wimpernschlag. Damit sind nun auch die Schnappkieferameisen deutlich in den Schatten gestellt: Der Schnapp-Apparat der Dracula-Ameisen ist dreimal schneller.
Schnippen statt Schnappen
Wie die Forscher berichten, unterscheidet sich das Verfahren der neuen Rekord-Halter allerdings auch deutlich von dem der Schnappkieferameisen. Während deren Zangen aus einer offenen Position zuschnappen, sind die Kiefer der Dracula-Ameisen geschlossen und die Mandibel überkreuzen sich nach dem Auslösen. Die Insekten laden den Mechanismus auf, indem sie die Spitzen der Kieferzangen zusammendrücken, berichten die Forscher. Ausgelöst wird der Mechanismus dann, wenn ein Kiefer über den anderen gleitet – ähnlich wie beim menschlichen Fingerschnippen. Die Wucht ist dabei so groß, dass die Ameisen beim Schnippen selbst weggeschleudert werden, zeigen die Aufnahmen.
Untersuchungen der Merkmale der Kieferzangen ergaben, dass sie im Gegensatz zu den Mandibeln beißender Ameisenarten sehr flexibel sind. Dadurch können sie mit Spannung aufgeladen werden, erklären die Forscher. “Durch den Vergleich der Kiefermerkmale konnten wir zeigen, dass die Mandibel nur kleine Formänderungen benötigen, um als Federmechanismus zu fungieren”, sagt Co-Autor Fredrick Larabee.
Die Dracula-Ameisen schnappen also nicht zu wie die Schnappkieferameisen – sie schnippen. Entsprechend nehmen sie ihre Gegner auch nicht in die Zange, sondern „knallen ihren Opfern eine“. „Die Ameisen benutzen dieses Verfahren wahrscheinlich, um Gegner oder Beutetiere bewusstlos zu schlagen. Anschließend können sie die betäubten Opfer dann ins Nest transportieren, um sie dort an die Larven zu verfüttern”, sagt Suarez. Bisher bleibt dieser Zweck allerdings weitgehend eine Vermutung: Die Forscher wollen nun genauer untersuchen, wie und wozu die skurrilen Krabbler ihr System unter natürlichen Bedingungen einsetzen.
Quelle: University of Illinois at Urbana-Champaign, Royal Society Open Science, doi: 10.1098/rsos.181447