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„Eine GANZ SELTENE CHANCE“

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„Eine GANZ SELTENE CHANCE“
Er ist längst pensioniert, hört aber nicht auf zu forschen. Sie ist auf Umwegen zur Neuroanatomie gekommen. Ein Ulmer Wissenschaftler-Paar gibt der Hirnforschung neue Impulse. Kelly Del Tredici und Heiko Braak Heiko Braak, geboren 1939, arbeitet als Anatom in Ulm. Von 1979 bis 2002 leitete er das Institut für Klinische Neuroanatomie der Universität Frankfurt am Main. Zuvor war er unter anderem Visiting Professor für Neurologie an der Harvard Medical School in Boston, USA. Nach seiner Pensionierung folgten mehrere Arbeitsaufenthalte in den USA, bevor er 2009 ans Zentrum für Klinische Forschung der Universität Ulm wechselte. Die gebürtige Amerikanerin Kelly Del Tredici war nach ihrer Promotion im Fach Klassische Philologie zunächst Lehrbeauftragte für Alte Sprachen an der Harvard Divinity School, wo sie auch Theologie studierte. Nach einem Studium der Medizin promovierte sie 2004 in Frankfurt am Main im Fach Anatomie. Danach forschte sie dort am Institut für Klinische Neuroanatomie und arbeitete am Zentrum für Psychiatrie und Neurologie in Winnenden. 2009 wechselte die 59-Jährige – seit Kurzem verheiratete Del Tredici-Braak – ans Zentrum für Klinische Forschung der Universität Ulm.

bild der wissenschaft: Herr Professor Braak, Frau Dr. Del Tredici, wie arbeiten Neuroanatomen eigentlich?

Del Tredici: Wir sind zurzeit die einzige Arbeitsgruppe weltweit, die mit Serienschnitten durch ganze Gehirne arbeitet. Wir fertigen aus einem Objekt manchmal viele Hundert Schnitte und betrachten diese unter dem Mikroskop. Unsere eher traditionelle anatomische Technik ist zwar aktuell etwas aus der Mode gekommen, vor allem weil sie zeitaufwendig ist, aber sie liefert Ergebnisse, die man anders nicht bekäme.

Herr Braak, ein kurzer Blick zurück: Sie haben die „Braak-Stadien“ entwickelt, die auch international Standard sind …

Braak: Ja. Sowohl für Alzheimer als auch später für Parkinson habe ich auf der Grundlage anatomischer Untersuchungen eine Einteilung in sechs Stufen vorgenommen, die das Stadium der Hirnveränderungen klassifizieren. Diese Einteilungen kennzeichnen das Ausmaß der pathologischen Veränderungen und zeigen später bei der Untersuchung des Hirngewebes, wie weit die Erkrankung fortgeschritten war. Schließlich setzen ja beide Erkrankungen schleichend ein und schreiten dann – wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise und in verschiedener Geschwindigkeit – über Jahre und Jahrzehnte hinweg kontinuierlich voran. Dabei werden die Symptome immer ausgeprägter, und irgendwann erfolgt dann die Diagnose.

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Sie werden im Juni dieses Jahres 74 Jahre alt, sind längst emeritiert und haben jetzt an der Universität Ulm einen Neustart hingelegt. Wie kam es dazu?

Braak: Ganz einfach. Ich wollte weiter arbeiten und habe am Ende meiner Zeit in Frankfurt einfach die Ohren aufgesperrt und gehorcht, ob meine Ideen noch eine gewisse Attraktivität besitzen. Und da hörte ich plötzlich aus Ulm ein Rufen. In dieser Phase war es alles in allem nicht einfach. Denn trotz vieler Bekundungen ist es für Hochschullehrer in Deutschland immer noch schwer, jenseits des 65. oder gar 68. Lebensjahres weiter zu machen. Es gibt zwar hier und da Programme für Seniorprofessoren wie in Niedersachsen und Baden-Württemberg oder Einzelfalllösungen wie für den Physik-Nobelpreisträger Theodor Hänsch, aber das sind Ausnahmen. Und als Naturwissenschaftler braucht man ja auch ein Labor und die Unterstützung wissenschaftlich-technischer Assistenten. Selbst dann ist es schwer, da man als entpflichteter Wissenschaftler quasi ohne Unterstützung alles selbst herbeischaffen muss: Geräte, Drittmittel … Man ist also einen Großteil seiner Zeit auf der Suche nach Forschungsgeldern. Das kann schon eine Last sein.

Und dennoch machen Sie hier in Ulm einen zufriedenen Eindruck.

Braak: Man merkt, dies ist eine junge Hochschule. Ich bekomme hier eine ganz seltene Chance geboten, aber solch ein Konstrukt ist typisch für die Universität Ulm. Ob Dekan, Hochschulleitung oder Verwaltung: Man ist offen für neue, unkonventionelle Wege, und so war man auch offen für uns und unser Vorhaben. Dazu kommt, dass hier in die klinische Forschung spürbar investiert wird und meine Arbeit dazu passt.

Woher kommen denn aktuell die Mittel für Ihre Projekte? Wie groß ist Ihr Team?

Del Tredici: Neben uns beiden komplettieren inzwischen drei Medizinisch-Technische Assistentinnen unser kleines Team. Zwei der Mitarbeiterinnen werden über laufende Projekte finanziert: eines der Deutschen Forschungsgemeinschaft und eines der Michael J. Fox Foundation. Beide Projekte haben wir nach Ulm mitgebracht. Eine Stelle wird über die Neurologie der Universität Ulm finanziert.

Was erforschen Sie konkret bei den geförderten Projekten?

Braak: In dem aus DFG-Mitteln bezahlten Projekt beschäftigen wir uns mit jenen pathologischen Veränderungen bei Parkinson, die in den frühen, nicht-symptomatischen Stadien entstehen. Die pathologischen Veränderungen sind in dieser Phase im Gewebeschnitt bereits deutlich sichtbar. Vor allem jedoch erforschen wir die durch Parkinson bedingten Veränderungen im Rückenmark. Und wir richten unseren Blick vergleichend nach wie vor auf die Alzheimersche Erkrankung, wo uns jetzt eine wichtige Veröffentlichung gelungen ist. (Siehe Beitrag „Braaks fataler Verdacht“ ab Seite 26)

Del Tredici: Auf die Förderung durch die Michael J. Fox-Stiftung sind wir schon ein wenig stolz, da diese Stiftung zumeist Vorhaben in den USA unterstützt. Hier untersuchen wir Veränderungen im sympathischen und parasympathischen Nervensystem des Herzens. Darüber hinaus haben uns die Förderer ermuntert, generell die Peripherie des Nervensystems stärker in den Blick zu nehmen. So entstand auch eine 2009 von mir veröffentlichte Arbeit über bei Parkinson veränderte Nervenzellen in der Speicheldrüse.

Wie ist die Zusammenarbeit mit einem solchen internationalen Förderer?

Del Tredici: Das sind alles sehr junge, engagierte, an wissenschaftlichem Fortschritt interessierte Stiftungsmitarbeiter, völlig unkompliziert in der Zusammenarbeit. Gleichzeitig machen sie einem aber schnell klar, dass die Messlatte hinsichtlich der wissenschaftlichen Qualität geförderter Projekte sehr hoch liegt. Im Übrigen hat uns die Michael J. Fox-Stiftung über den schwierigen Zeitraum von der Pensionierung Heiko Braaks bis zu unserer Etablierung hier in Ulm hinweggeholfen, sodass wir eigentlich die ganze Zeit nahtlos weiter wissenschaftlich arbeiten konnten.

Ihre Pläne für die Zukunft?

Braak: Grundsätzlich geht es bei all unserer Forschung darum, die vorklinischen, ganz frühen Stadien von Parkinson – und auch Alzheimer – möglichst gut zu beschreiben, damit die Erkrankungen in einem nächsten Schritt über eine verbesserte Diagnostik eher sichtbar gemacht werden können. Bei dem DFG-geförderten Projekt bleiben uns unter Umständen noch fünf Jahre, dann würde ich ja auch allmählich meinen 80. Geburtstag erreichen.

Del Tredici: Für diesen Zeitraum haben wir also ein festes Programm. Darüber hinaus etablieren wir gerade eine Kooperation mit einer Forschergruppe in Australien, die im Kern aus einem Neurologen und einem Internisten besteht. Die Kollegen schicken uns Gewebeproben, die bei Operationen – auch und gerade von jungen Leuten – entnommen wurden, beispielsweise vom Dünn- oder vom Blinddarm. Auch dort haben wir bei Parkinson bereits Veränderungen des Nervensystems nachweisen können. Diese Kooperation hat für beide Seiten einen Vorteil. Finden wir etwas, können die Kollegen die potenziell Betroffenen mit allen diagnostischen Möglichkeiten begleiten, um später vielleicht einmal ganz zeitig Parkinson-Symptome zu erkennen.

Welche Fortschritte erwarten Sie beim Verständnis neurodegenerativer Erkrankungen? Wagen Sie schon heute dazu eine Prognose?

Braak: Je mehr man über die Ursachen weiß und je früher man die Krankheiten diagnostizieren kann, umso besser wird man sie behandeln können. Am Ende stehen dann vielleicht einmal ganz andersartige Medikamente und neue Therapieansätze. ■

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