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Ermöglichten Viren komplexes Leben?

Evolution

Ermöglichten Viren komplexes Leben?
Dieser Vergleich der Genome aller bekannten Viren, die Bakterien (links) und Eukaryoten infizieren, zeigt die besondere Stellung der Viren auf, die die Asgard-Archaeen befallen. © Universität von Texas in Austin

Erreger mit einer Bedeutung für die Evolutionsforschung: Wissenschaftler haben Viren entdeckt, die eine geheimnisvolle Gruppe von Mikroben infizieren, zu denen möglicherweise die Vorfahren aller komplexen Lebensformen gehörten. Wie die Forscher erklären, passen die Merkmale dieser besonders komplexen Erreger zu einer Hypothese im Rahmen der Endosymbiontentheorie: Auch Viren könnten eine Komponente bei der Entstehung der ersten eukaryotischen Zellen gebildet haben.

Grundsätzlich hat unser Planet schon vor Jahrmilliarden Lebensformen hervorgebracht, wie aus Funden von biologischen Ablagerungen hervorgeht. Doch diese Organismen blieben lange auf einem eher bescheidenen Entwicklungsniveau: Es handelte sich um Archaeen und Bakterien – Prokaryoten mit einer vergleichsweise simplen Zellstruktur ohne Zellkern und Organellen. Doch dann kam es irgendwann zu einem evolutionären Paukenschlag, der die Entwicklungsgeschichte des Lebens nachhaltig prägen sollte: Die ersten Lebensformen mit komplexem Zellaufbau entstanden – die Eukaryoten. Aus ihnen entwickelten sich dann die höheren Lebewesen, von den Pflanzen über die Tiere bis zum Menschen.

Die geheimnisvollen Asgard-Archaeen im Visier

In der Wissenschaft geht man derzeit davon aus, dass die ersten Eukaryoten durch die Verschmelzung von mehreren Mikroben zu einem hybriden Organismus entstanden sind. Dieser Endosymbiontentheorie zufolge haben Archaeen einst Bakterien in sich aufgenommen, die sich dann in ihnen zu Zellorganellen entwickelt haben, darunter den Mitochondrien und Plastiden. Untersuchungsergebnisse deuten dabei darauf hin, dass die ersten Eukaryoten Nachkommen einer speziellen Gruppe der Archaeen waren, deren Nachfahren bis heute existieren: Die sogenannten Asgard-Archaeen besitzen Merkmale, die sie als die nächsten bekannten prokaryotischen Verwandten der Eukaryoten auszeichnen. Asgard-Archaeen wurden in Tiefseesedimenten und heißen Quellen auf der ganzen Welt entdeckt. Sie bleiben allerdings geheimnisvoll, denn sie lassen sich nur schwer im Labor züchten und untersuchen.

In ihrer aktuellen Studie haben sich die Wissenschaftler um Brett Baker von der University of Texas at Austin nun erneut mit der Erforschung der Asgard-Archaeen beschäftigt. Ihre Ergebnisse basieren auf der Untersuchung von genetischem Material aus dem Lebensraum der Mikroben, aus dem sich ihre Genome rekonstruieren lassen. Die Forscher widmeten sich bei ihren Analysen vor allem der Suche nach genetischen Spuren von Viren, die die Asgard-Archaeen befallen. Sie durchstöberten dazu gezielt die sogenannten Crispr-Arrays der Mikroben, die wie eine Art Archiv Stücke des Erbguts von Viren aufbewahren, die zuvor eine Infektion bei ihnen verursacht haben.

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Entwickelten sich Zellkerne aus Viren?

Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler nun erstmals virale Erreger bei dieser evolutionär bedeutsamen Gruppe der Archaeen identifizieren: Sie entdeckten und charakterisierten sechs relativ große doppelsträngige DNA-Virusgenome. „Das Spannende ist, dass es sich um völlig neue Arten von Viren handelt, die sich von denen unterscheiden, die wir bisher von Archaeen kennen“, sagt Baker. Konkret zeigten die genetischen Analysen: Die neu entdeckten Viren weisen einige Merkmale auf, die denen von Viren ähneln, die Eukaryoten infizieren. Unter anderem besitzen sie etwa die Fähigkeit, ihre eigene DNA zu kopieren und die Maschinerie ihrer Wirte zur Herstellung von Proteinen in spezieller Weise zu nutzen.

Diese Ergebnisse erscheinen dabei vor einem speziellen Hintergrund besonders interessant, erklären die Forscher: „Es gibt Vermutungen, dass auch Viren zur Entstehung von komplexem zellulärem Leben beigetragen haben könnten“, sagt Erst-Autor Ian Rambo von der University of Texas at Austin. Er bezieht sich dabei auf eine heiß diskutierte Hypothese namens virale Eukaryogenese. Sie besagt, dass neben Bakterien und Archaeen auch Viren eine Komponente zur Entwicklung der Eukaryoten beigetragen haben könnten. Demnach könnte sich der Zellkern aus einem großen DNA-Virus entwickelt haben, indem der Erreger Gene aus dem Wirtsgenom übernommen hat.

Die neue Entdeckung kann die Hypothese der viralen Eukaryogenese nun zwar nicht bestätigen, aber sie bietet einige interessante neue Anhaltspunkte, betonen die Wissenschaftler. „Diese Studie öffnet eine Tür, um den Ursprung der Eukaryoten besser aufzuklären und die Rolle der Viren in der Ökologie und Evolution der Asgard-Archaeen zu verstehen“, sagt Rambo. Seine Kollegin Valerie De Anda bringt die Bedeutung noch weiter auf den Punkt: „Die Studie trägt zum Verständnis bei, welche Rolle Viren bei der Eukaryogenese gespielt haben könnten“.

Quelle: University of Texas at Austin, Fachartikel: Nature Microbiology, doi: 10.1038/s41564-022-01150-8

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