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Europas Flüsse sind stark fragmentiert

Erde|Umwelt

Europas Flüsse sind stark fragmentiert
Flussnetzwerk
Das europäische Flussnetzwerk. (Bild: EEA, Copenhagen, 2012)

Flüsse sind wichtige Lebensräume, Verbindungswege und Transportrouten. Doch in Europa blockieren mehr als 1,2 Millionen Barrieren den Lauf von Fließgewässern, wie eine Studie enthüllt. Entlang der europäischen Flüsse gibt es demnach im Schnitt alle 108 Meter einen Damm, eine Schleuse oder eine sonstige Sperre. Besonders dicht folgen diese Barrieren im dicht besiedelten Mitteleuropa aufeinander. Etwas weniger verbaut sind dagegen noch die Flüsse in Skandinavien, Schottland, Island und einigen entlegenen Alpenregionen. Insgesamt aber ist Europa damit die Region mit der höchsten Fragmentierung der Flüsse weltweit.

Bäche, Flüsse und Ströme sind ein wichtiger Teil der Natur. Denn sie transportieren Wasser, Nährstoffe, Sedimente und andere Komponenten der globalen Stoffkreisläufe ins Meer. Fließgewässer sind zudem ein wichtiger Lebensraum für Fische und andere Wassertiere und eine bedeutende Nahrungsquelle für Vögel und andere Tiergruppen. „Flüsse umfassen einige der artenreichsten Ökosysteme der Welt, aber auch einige der bedrohtesten“, erklären Barbara Belletti vom Polytechnicum in Mailand und ihre Kollegen. Aber auch der Mensch ist in hohem Maße von den Flüssen abhängig: Schon vor Jahrtausenden legte er seine Siedlungen bevorzugt an Flussufern an, nutzte das Wasser, um Mühlen anzutreiben, oder verschiffte Güter auf den Wasserstraßen. „Flüsse leisten unserer Gesellschaft essenzielle Dienste, aber unsere Nutzung dieser Ressource war nahezu immer mit ihrer Fragmentierung verknüpft“, so die Forscher. Im Laufe der Zeit haben dadurch Dämme, Wehre und andere Bauten die Flüsse zunehmend verbaut.

Mehr Flussbarrieren als irgendwo sonst

Wie weit diese Fragmentierung der Flüsse in Europa inzwischen fortgeschritten ist, haben Belletti und ihr Team nun in der bisher umfassendsten Erhebung dazu ermittelt. Dafür sammelten sie Daten zu Wehren, Schleusen und Dämmen in 36 europäischen Ländern aus 120 regionalen, nationalen und globalen Datensammlungen. Diese Daten glichen sie untereinander ab und klassifizierten die Barrieren in sechs Kategorien. Zusätzlich überprüften sie viele Einträge durch Besuche vor Ort. Bei diesen liefen die Forscher jeweils einen 20 Kilometer langen Flussabschnitt ab und kartierten alle Barrieren, die sie im Wasser erkennen konnten. Insgesamt erfassten die Wissenschaftler bei diesen Exkursionen 147 Flüsse und eine Gewässerlänge von 2715 Kilometern, das entspricht rund 0,16 Prozent des gesamten europäischen Flussnetzwerks. Auf Basis aller Daten erstellten sie ein Modell, das die Fragmentierung für das gesamte europäische Flussnetzwerk von mindestens 1,65 Millionen Kilometer Länge zeigt.

„Damit präsentieren wir die erste umfassende Schätzung der Fluss-Fragmentierung in Europa“, sagen die Forscher. Demnach gibt es insgesamt rund 1,2 Millionen Barrieren im europäischen Flussnetzwerk – kein einziger Fluss fließt auf unserem Kontinent noch auf ganzer Länge ungehindert bis ins Meer. Der Medianwert für die Barrierenabstände bei rund 108 Metern. Insgesamt ist die Dichte der Barrieren in den europäischen Flüssen damit höher als sonst irgendwo, wie die Wissenschaftler betonen. „Das macht Europa zum wahrscheinlich am stärksten fragmentierten Flussnetzwerk der Welt“, konstatieren die Wissenschaftler. Den größten Anteil haben kleinere Barrieren wie Staustufen und Sohlenschwellen mit knapp 32 Prozent, gefolgt von Wehren mit gut 30 Prozent, Dämmen und Kanalisierungen unter Straßen mit gut 17 Prozent. Dämme machen dagegen nur gut neun Prozent aus, Schleusen sogar nur 1,8 Prozent.

Flüsse in Mitteleuropa sind am stärksten fragmentiert

Das Ausmaß, in dem die Flüsse fragmentiert sind, ist allerdings innerhalb Europas sehr unterschiedlich: Die höchste Dichte an Wehren, Dämmen und Co gibt es im dicht besiedelten Mitteleuropa. So weisen beispielsweise die Flüsse in den Niederlanden im Schnitt 19,4 Barrieren pro Flusskilometer auf. Deutlich weniger verbaut sind dagegen die Fließgewässer in entlegenen, weniger bevölkerten Regionen wie Skandinavien, Schottland, Island oder auch einigen alpinen Gebieten. Auch einige Oberläufe von Flüssen im Baltikum oder Südosteuropa fließen noch relativ ungehindert. „Besorgniserregend ist allerdings, dass dies die Gebiete sind, in denen oft schon der Bau von Wasserkraftwerken geplant ist“, sagen Belletti und ihre Kollegen.

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Die Ergebnisse zeigen zudem, dass bisherige Kartierungen die wahre Fragmentierung der Flüsse in Europa stark unterschätzt haben. Der neue Wert liegt 61 Prozent höher als frühere. Ein möglicher Grund dafür: „Viele Wehre beispielsweise wurden am Ende des 18. Jahrhunderts gebaut, manchmal sogar noch viel früher“, so Belletti und ihr Team. Deshalb sind sie zum größten Teil nicht erfasst. Ebenfalls eine Rolle spielt, dass 68 Prozent der Flussbarrieren weniger als zwei Meter hoch sind und teilweise kaum oder gar nicht über die Wasseroberfläche hinaustragen. „In der Schweiz beispielsweise wird die Fragmentierung hauptsächlich durch rund 100.000 kleine Schwellen im Flussbett verursacht, die das erosionsbedingte Einschneiden der Flüsse in den Untergrund bremsen sollen“, erklären die Wissenschaftler. Solche Barrieren und auch niedrige Wehre werden leicht übersehen. „Wir rufen daher zu einer besseren Kartierung vor allem dieser kleinen Barrieren auf, denn sie sind am häufigsten und die Hauptursache für die Fragmentierung“, sagen sie.

Bedeutung hat diese Erhebung auch für die Biodiversität-Strategie der EU. Denn nach dieser sollen 25.000 Kilometer der europäischen Flüsse bis zum Jahr 2030 wieder durchlässig und barrierefrei gemacht werden. „Um dieses zu erreichen, ist aber ein Paradigmenwechsel der Flussrestaurierung nötig, der auch die Auswirkungen der kleinen Barrieren mitberücksichtigt“, konstatieren Belletti und ihr Team. „Zudem wird es für eine Wiederverbindung der Flüsse nicht ausreichen, alte Barrieren zu entfernen, wenn gleichzeitig neue Barrieren anderswo errichtet werden.“

Quelle: Barbara Belletti (Polytechnicum, Mailand) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-020-3005-2

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