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Falsch bestimmt

Erde|Umwelt

Falsch bestimmt
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Pflanzen aus einem Herbarium (Foto: RBGE)
Wenn man ein Tier oder eine Pflanze schützen will oder ihre Evolution erforschen, dann muss man zunächst einmal wissen, welche Art man vor sich hat. Doch genau hier liegt das Problem, wie Forscher nun aufdecken: Mehr als die Hälfte aller weltweit in Sammlungen katalogisierten Pflanzen könnten falsch zugeordnet sein. Und bei anderen Organismengruppen wie den Insekten könnte es sogar noch schlimmer aussehen, warnen sie. Das aber macht es schwer, beispielsweise den Artenschwund durch Umweltveränderungen oder den Klimawandel realistisch zu ermessen.

Zu ermitteln, welche Tier- oder Pflanzenart man gerade vor sich hat, ist selbst für erfahrene Biologen nicht immer einfach. Gerade bei der Unterscheidung sehr ähnlicher oder eng verwandter Arten kommt es meist auf winzige Details an, die nur Taxonomen, Experten für die Artbestimmung, richtig beurteilen können. In der Regel sind sie es daher, die die Referenzsammlungen der großen Naturkundemuseen und Forschungseinrichtungen betreuen und verwalten. Die dort aufbewahrten Exemplare bilden wichtiges Vergleichsmaterial, um beispielsweise neue Arten zu erkennen, aber auch um das Verschwinden von Spezies aus bestimmten Gebieten zu dokumentieren. „Die in den Museen aufbewahrten Exemplare von Tieren und Pflanzen sind unsere Hauptquelle von  verlässlichen Daten zur geografischen und zeitlichen Verbreitung von Organismen“, erklären Zoe Goodwin von der University of Oxford und ihre Kollegen. Aber wie verlässlich sind diese Vergleichsdaten?

Falsch, doppelt oder veraltet

Um das herauszufinden, haben Goodwin und ihre Kollegen nach drei klassischen Fehlerquellen gesucht. Als erstes prüften sie, ob die Museumsexemplare richtig benannt sind. Als Beispiel untersuchten sie dafür unter anderem 4.500 Exemplare der afrikanischen Ingwergattung Aframomum in 40 Herbaren aus 21 Ländern. Das überraschende Ergebnis: „Unsere Daten zeigen, dass mindestens 58 Prozent der Pflanzenmuster den falschen Namen trugen“, so die Forscher. Ihre Zuordnung war dabei entweder komplett falsch oder die Museumsexemplare trugen eine veraltete, redundante oder unvollständige Bezeichnung.

Nicht viel besser sah es bei der zweiten Fehlervariante aus: Oft schicken Pflanzensammler Exemplare ihrer Funde gleichzeitig an verschiedenen Sammlungen und Museen. Einmal aufgeteilt, werden diese von verschiedenen Experten beurteilt und bestimmt – und erhalten dann möglicherweise verschiedene Bezeichnungen, obwohl sie von der gleichen Pflanze stammen. Als die Forscher dies am Beispiel von 21.075 Exemplaren einer Familie von Regenwaldbäumen aus Asien untersuchten, wurden sie auch dort reichlich fündig: „Immerhin bei 29 Prozent dieser Pflanzenmuster waren die gleichen Pflanzen  in verschiedenen Herbarien unterschiedlich bestimmt worden. „Und das bedeutet, dass mindestens einer der beiden Namen falsch sein muss“, betont Goodwins Kollege John Wood. Und wer nun glaubt, dies sei nur den Dokumentationsmethoden der klassischen Herbarien geschuldet, der irrt sich: Als dritte große Fehlerquelle entpuppten sich unvollständige oder veraltete Artbezeichnungen in großen Online-Datenbanken. So stießen die Forscher in der Global Biodiversity Information Facility Database bei der Pflanzengruppe der Ipomoea auf 40 Prozent veraltete Synonyme, 16 Prozent ungültige Benennungen und elf Prozent gar nicht bis auf die Art hinunter bestimmte Exemplare.

Überforderte Taxonomen

„Zusammen spricht dies dafür, dass mehr als die Hälfte aller tropischen Pflanzenmuster in Sammlungen falsch benannt sein könnten“, sagen die Forscher. „Und dies gilt vermutlich für die Arten der gemäßigten Breiten in ähnlicher Weise.“ Das aber bedeutet, dass sich Veränderungen der Pflanzenwelt kaum mehr verlässlich erfassen lassen. Denn wenn die Bezugsdaten fehlerhaft sind, dann kann man kaum mehr feststellen, ob eine Art früher tatsächlich stärker verbreitet war oder dies nur wegen falscher Zuordnung so scheint. Und das gilt nicht nur für Pflanzen: Noch größere Problem befürchten die Wissenschaftler bei den Insekten und möglicherweise noch anderen Organismengruppen. „Konservativ geschätzt könnte daher sogar die Hälfte der gesamten naturhistorischen Proben und  Belegexemplare weltweit fehlerhaft benannt und zugeordnet sein“, meint Goodwin.

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Woher aber kommt dieses Problem? „Eine Ursache für diese eklatanten Fehlbestimmungen ist der gewaltige Anstieg der neu hinzugekommenen Exemplare in den letzten 50 Jahren“, erklärt Robert Scotland von der University of Oxford. Seit den 1970er Jahren haben sich die Bestände in den Pflanzensammlungen der Welt mehr als verdoppelt. Den zweiten Grund sehen die Forscher in einem Mangel an Expertise: Es gibt viele Pflanzengruppen, für die es heute keine oder nur noch wenige taxonomischen Experten mehr gibt. „Wenn dann große Mengen an zu bestimmenden Exemplaren eintreffen, dann sind die wenigen Leute mit den nötigen Kenntnissen schlicht überlastet“, so Scotland. Zumindest ein wenig Abhilfe schaffen könnten seiner Ansicht nach Maßnahmen wie die Arterfassung mittels DNA, aber auch digitalisierte Sammlungen, in denen Vergleichsexemplare per 3D-Scan und Beschreibung von überall auf der Welt aufgerufen und betrachtet werden können.  Das würde zumindest das Auftauchen einer Art unter verschiedenen Namen verhindern.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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