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Frühe Einblicke in die Evolution des Gehirns

Erde|Umwelt

Frühe Einblicke in die Evolution des Gehirns
Fossiles Gehirn
Fossiler Kopf von Cardiodictyon catenulum mit Hirnresten (magenta). © Nicholas Strausfeld/ University of Arizona

Gliederfüßer wie Insekten, Spinnen und Tausendfüßer sind der artenreichste Stamm im Tierreich. Wie sich ihr Gehirn evolutionär entwickelt hat, war allerdings bislang in der Wissenschaft umstritten. Eine neue Studie bringt nun Klarheit. Darin beschreiben Forscher das älteste bekannte versteinerte Gehirn der Welt, erhalten in dem 525 Millionen Jahre alten Fossil eines wurmartigen Meerestieres – einem der frühesten Vertreter der Gliederfüßer. Der „moderne“, dreigliedrige Aufbau des Gehirns legt nahe, dass es sich unabhängig vom segmentierten Nervensystem des restlichen Körpers entwickelt hat.

Vor 540 bis 500 Millionen Jahre entstanden bei der Kambrischen Artenexplosion fast alle heute existierenden Tierstämme. Schon früh in dieser Phase tauchten die sogenannten Lobopoden auf, eine Gruppe gepanzerter Meerestiere, die sich wahrscheinlich mit mehreren Paaren weicher, ungelenkiger Beine auf dem Meeresboden fortbewegten. Zahlreiche Fossilien dieser heute ausgestorbenen urzeitlichen Gliederfüßer sind zum Beispiel in Fossilienlagerstätten in der südchinesischen Provinz Yunnan erhalten. Darunter befindet sich auch ein 1984 entdecktes, etwa 1,5 Zentimeter langes Fossil eines Lobopoden mit Namen Cardiodictyon catenulum. Das Besondere an diesem Exemplar: Sein Nervensystem, einschließlich des Gehirns, ist in seiner Feinstruktur erhalten geblieben.

REkonstruktion
Rekonstruktion von Cardiodictyon catenulum. © Nicholas Strausfeld/University of Arizona

Ältestes fossiles Gehirn der Welt

„Nach unserem Wissen ist dies das älteste versteinerte Gehirn, das wir bisher kennen“, sagt Nicholas Strausfeld von der University of Arizona in Tucson. Gemeinsam mit seinem Team hat er das außergewöhnliche Fossil nun genau untersucht. Dabei stellten die Forscher fest: Während der Rumpf und die darin befindlichen neuronalen Strukturen wie erwartet segmentiert waren, wiesen der Kopf und das Gehirn keine Anzeichen einer Segmentierung auf. „Diese Anatomie war völlig unerwartet, da die Köpfe und Gehirne moderner Arthropoden und einiger ihrer fossilen Vorfahren seit über hundert Jahren als segmentiert angesehen werden“, so Strausfeld.

Co-Autor Frank Hirth vom King’s College London erklärt: „Seit den 1880er Jahren bemerkten Biologen die für Gliederfüßer typische deutliche Segmentierung des Rumpfes und übertrugen dies im Grunde auf den Kopf. So kam man zu der Annahme, dass der Kopf eine vordere Verlängerung des segmentierten Rumpfes ist.“ Wie für Gliederfüßer typisch, besteht das periphere Nervensystem von Cardiodictyon aus mehreren Nervenzellknoten, sogenannten Ganglien, die von Segment zu Segment miteinander verknüpft sind. Bislang war man davon ausgegangen, dass sich das Gehirn aus einer besonders großen Ansammlung miteinander verbundener Ganglien entwickelt hat. Demnach müssten Kopf und Gehirn eines so frühen Vertreters wie Cardiodictyon eine deutliche Segmentierung aufweisen. „Aber Cardiodictyon zeigt, dass der frühe Kopf nicht segmentiert war, ebenso wenig wie sein Gehirn, was darauf hindeutet, dass sich das Gehirn und das Nervensystem des Rumpfes wahrscheinlich getrennt entwickelt haben“, so Strausfeld.

Gemeinsame genetische Signatur

Um diese These weiter zu überprüfen, verglichen Strausfeld und seine Kollegen das neu beschriebene Urzeit-Gehirn mit den Gehirnen weiterer bekannter Fossilien und heute lebender Gliederfüßer, darunter Spinnen und Tausendfüßer. Zusätzlich analysierten sie bei den heute lebenden Vertretern die Genexpressionsmuster, die für den Bauplan des Gehirns verantwortlich sind. „Durch den Vergleich bekannter Genexpressionsmuster in lebenden Arten haben wir eine gemeinsame Signatur aller Gehirne und ihrer Entstehung identifiziert“, berichtet Hirth.

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Mit diesem Wissen konnten die Forscher bei Cardiodictyon drei Gehirnbereiche identifizieren, die jeweils mit einem Paar von Kopfanhängseln sowie mit einem der drei Teile des vorderen Verdauungssystems verbunden sind. „Wir haben festgestellt, dass jeder Bereich des Gehirns und die entsprechenden Merkmale durch dieselbe Kombination von Genen spezifiziert werden, unabhängig von der untersuchten Spezies“, so Hirth. „Dies deutet auf einen gemeinsamen genetischen Grundplan für die Entstehung eines Gehirns hin.“ Die Autoren gehen davon aus, dass die von ihnen beschriebenen Grundprinzipien wahrscheinlich nicht nur für Gliederfüßer, sondern auch für andere Tierstämme bis hin zu Wirbeltieren gelten. Auch bei diesen sind das Vorder- und Mittelhirn genetisch und entwicklungsmäßig vom Rückenmark getrennt.

Quelle: Nicholas Strausfeld (University of Arizona, Tucson) et al., Science, doi: 10.1126/science.abn6264

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