Mondfische bieten einen skurrilen Anblick: Sie sind nicht stromlinienförmig gebaut wie die meisten anderen Fische, sondern sehen von der Seite fast kreisrund aus und haben keine ausgeprägte Schwanzflosse. Außerdem sind sie enorm groß: Ein ausgewachsener Mola mola kann eine Größe von bis zu drei Metern erreichen und zwei Tonnen wiegen. Die Hochseebewohner gelten damit als die schwersten Knochenfische der Welt – doch das ist nicht der einzige Rekord, den sie halten. Obwohl die Tiere mit ihrem schildkrötenartigen Schnabel hauptsächlich nährstoffarme Beute wie Quallen oder Schnecken fressen, wachsen sie ungewöhnlich schnell. Dabei legen sie fast ein Kilogramm pro Tag an Gewicht zu. Andere Fische schaffen gerade einmal 0,02 bis höchstens 0,5 Kilogramm. Auch in Sachen Fortpflanzung sind Mondfische Spitzenreiter: Weibchen können 300 Millionen Eier auf einmal legen – so viel wie kein anderes Wirbeltier.
Wissenschaftler um Hailin Pan von der Chinese Academy of Sciences in Kunming haben nun erstmals das Genom dieser sonderbaren Art entschlüsselt. Vergleiche mit dem Erbgut eines Verwandten gewähren interessante Einblicke in den Ursprung der Anatomie der Tiere: „Im Jahr 2002 haben wir bereits das Genom des Kugelfisches (Takifugu rubripes) sequenziert. Der Mondfisch gehört derselben Ordnung an, trotzdem unterscheiden sich die beiden Arten dramatisch voneinander“, sagt Mitautor Byrappa Venkatesch von der Agency of Science, Technology and Research in Singapur. Das Team machte sich deshalb auf die Suche nach genetischen Veränderungen, die die abweichende Gestalt des Mola mola erklären könnten.
Wachstumsgene und Rätsel der Flosse
Die Entschlüsselung zeigt: Etliche Gene, die für die Regulation des Wachstums eine Rolle spielen, haben sich in der Evolutionsgeschichte des Mondfisches offenbar schneller und anders entwickelt als bei verwandten Knochenfischen. Unter anderem fanden die Forscher Veränderungen in Genen für den sogenannten insulinähnlichen Wachstumsfaktor. Er ist Teil eines wichtigen Signalwegs, der das Wachstum sowie die Differenzierung von Zellen steuert. Dies könnte erklären, warum der Fisch so groß wird und so schnell wächst. Darüber hinaus entdeckten die Wissenschaftler deutliche Modifikationen in für die Knorpelformation zuständigen Genen – eine mögliche Erklärung für die ungewöhnliche Skelettstruktur des Mola mola. Denn anders als seine Zugehörigkeit zu den Knochenfischen vermuten lässt, besteht sein Skelett zum größten Teil gar nicht aus Knochen, sondern ist stark verknorpelt. „Die Veränderungen in diesen Genen könnten zur Entwicklung des überwiegend knorpeligen Skeletts des gigantischen Fisches beigetragen haben“, mutmaßt das Team. Tatsächlich ist diese Anpassung gerade in Anbetracht der Körpergröße sinnvoll: Sie spart Gewicht.
Rätselhaft bleibt hingegen die fehlende Schwanzflosse des Mondfisches. Die Forscher hatten vermutet, dass ein Verlust sogenannter Hox-Gene diese anatomische Abweichung erklären könnte. Ihre Aufgabe ist die Gliederung des Embryos entlang der Körperlängsachse, das heißt sie regulieren, wo sich welche Körperteile formen. Überraschenderweise bestätigte ein Blick ins Genom diese Annahme jedoch nicht – im Gegenteil: Der Mondfisch besitzt sogar mehr Hox-Gene als der Kugelfisch. „Der Verlust der Schwanzflosse hängt demnach nicht mit dem Verlust eines spezifischen Hox-Gens zusammen“, schreibt das Team. Erst mit weiterführenden genetischen Vergleichen kann das Geheimnis der fehlenden Flosse vielleicht gelüftet werden: „Eine Möglichkeit mehr genetische Veränderungen zu identifizieren, die für den Mondfisch typisch sind, ist die Sequenzierung des Erbguts von noch engeren Verwandten wie den Igelfischen, Kofferfischen oder Drückerfischen“, erklärt Venkatesch.
Die Forscher hoffen, dass sie mithilfe solcher Vergleiche künftig noch mehr über den großen Sonderling herausfinden können. „Wirbeltiere sind in ihrer Morphologie, Physiologie und in ihrem Verhalten unglaublich vielfältig. Die genetische Grundlage dieser Vielfalt zu verstehen, ist ein Hauptanliegen der Evolutionsbiologie. Auch von dem Genprofil des Mondfisches können wir noch viel lernen“, schließt Venkatesch.