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Gewässerschutz könnte giftig wirken

Blaualgen

Gewässerschutz könnte giftig wirken
Berüchtigte Schlieren im Wasser: Die explosionsartige Vermehrung von Cyanobakterien kann Gewässer mit Giftstoffen anreichern. © Colleen Yancey

Es erscheint zunächst paradox: Phosphor zu reduzieren, könnte Gewässer letztlich mehr belasten, geht aus einer Studie hervor. Die selektive Verringerung dieses Düngestoffs kann demnach besonders giftigen Blaualgen einen Wachstumsvorteil verschaffen, die Seen mit gefährlichen Toxinen anreichern. Um dem Effekt entgegenzuwirken, muss parallel auch der Stickstoff-Eintrag in Gewässer verringert werden, erklären die Forscher. Ihnen zufolge ist deshalb wohl ein Umdenken beim Management von Binnengewässern angesagt.

Baden verboten! Wenn sich Blaualgen in Seen zu stark vermehren, müssen die Behörden eingreifen, denn es droht Gefahr für Mensch und Tier. Denn die auch Cyanobakterien genannten Organismen bilden leberschädigende und krebserregende Toxine, die sich in Seen anreichern. Badende können diese Substanzen in kritischen Mengen aufnehmen und auch für Hunde stellt das verseuchte Wasser eine große Gefahr dar. Deshalb werden im Sommer an manchen deutschen Gewässern Badeverbote verhängt. Auch Nordamerika ist von den sommerlichen Algenblüten betroffen – dort kommt es sogar zu noch drastischeren Folgen: Im August 2014 durfte im US-Bundesstaat Ohio eine halbe Million Menschen drei Tage lang das Leitungswasser nicht zum Trinken oder Waschen verwenden. Denn die Blaualgenart Microcystis hatte den nahen Eriesee mit dem starken Gift Microcystin belastet.

Wie lassen sich Blaualgenblüten eindämmen?

Neben dieser direkten Gefahr für den Menschen können die Blaualgenblüten auch die aquatischen Ökosysteme stark schädigen. Deshalb wurden bereits vielerorts Maßnahmen ergriffen, um dem Problem die Grundlage zu entziehen. Dabei stand die Überdüngung der Gewässer durch Einträge aus der Landwirtschaft im Fokus. Konkret nahm man bisher an, dass vor allem zu hohe Werte des Pflanzennährstoffs Phosphor zur explosionsartigen Vermehrung der Cyanobakterien führen. Deshalb wurde teils erheblicher Aufwand betrieben, um gezielt diese Substanz aus Gewässern fernzuhalten. „Weniger Phosphor im Wasser reduziert die Masse an Blaualgen und damit auch die Menge an Gift – das war die einfache Formel beim Gewässermanagement“, sagt Ferdi Hellweger von der Technischen Universität Berlin.

Die Abläufe in der Natur sind jedoch oft deutlich komplexer als es zunächst scheint. Deshalb sind Hellweger und seine internationalen Kollegen nun der Rolle des Phosphors und weiterer Faktoren bei der Entwicklung der Blaualgen genauer auf den Grund gegangen. Als Modellorganismus für ihre Computern-Simulationen verwendeten sie die Blaualgenart Microcystis und als Modellgewässer den Eriesee. Die Datengrundlage bildete eine umfangreiche Sammlung von Informationen zur Biologie der Cyanobakterien sowie zu ihren Entwicklungsprozessen.

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Wie die Forscher dabei hervorheben, spielt das Gift eine besondere Rolle für die photosynthetischen Mikroben: „Microcystin ist zwar für Menschen und Tiere ein starkes Gift, für Cyanobakterien aber hat es einen großen Vorteil“, erklärt Hellweger. Denn es kann in ihnen Enzyme vor aggressivem Wasserstoffperoxid (H2O2) schützen, das unter anderem ein Beiprodukt der Photosynthese ist. Bei der Microcystin-Produktion gibt es allerdings eine erhebliche Bandbreite, berichten die Forscher: Es gibt Cyanobakterien-Stämme, die sehr viel dieser Substanz bilden und andere, die sie kaum oder gar nicht nutzen.

Stickstoffeinträge müssen ebenfalls reduziert werden

Genau diese Vielfalt unter den Bakterienstämmen ist ein wichtiger Faktor im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von Nährstoffen, erklären die Wissenschaftler. Ihren Modellsimulationen zufolge führt zwar ein reduziertes Angebot an Phosphor tatsächlich zu insgesamt weniger Cyanobakterien – doch die Zusammensetzung der Stämme verschiebt sich zugunsten der besonders problematischen. „Wenn weniger Blaualgen vorhanden sind, müssen sie auch weniger um die anderen Nährstoffe konkurrieren, wovon der wichtigste der ebenfalls nur begrenzt vorhandene Stickstoff ist. Und Stickstoff wiederum ist ein wichtiger Baustein für das Microcystin-Molekül“, erklärt Hellweger. Das bedeutet: Die viel Microcystin produzierenden Bakterienstämme bekommen vergleichsweise günstige Entwicklungsbedingungen und können sich überproportional stark ausbreiten.

Den Simulation der Wissenschaftler zufolge ist dieser Effekt erheblich: Eine Phosphorreduktion führt zu so viel mehr giftproduzierenden Cyanobakterien, dass die Menge an Giftstoff trotz der insgesamt niedrigeren Gesamtbiomasse unterm Strich zunimmt. „Diese Erkenntnis könnte einen Wendepunkt für das Management von Gewässern bedeuten“, sagt Hellweger. „Denn will man die Giftstoffe von Blaualgen reduzieren, muss man nicht nur den Eintrag von Phosphor in die Seen verringern, sondern auch von Stickstoff, der ebenfalls in der Landwirtschaft in großen Mengen als Dünger verwendet wird“.

Das könnte nun Programme zur Gesunderhaltung oder Sanierung von Gewässern vor erhebliche Herausforderung stellen, sagen die Wissenschaftler. Allerdings sollten ihnen zufolge die Zusammenhänge nun genauer untersucht werden, denn bisher beziehen sich die Ergebnisse auf die Blaualgenart Microcystis und den Eriesee. Doch auch andere Arten mit unterschiedlichen Toxinen können in Gewässern Probleme verursachen. „Wir hoffen, dass sich aufgrund unserer Veröffentlichung nun viele andere Forschungsgruppen mit unserer Methode befassen, sie reproduzieren und auf andere Fälle von Blaualgenwachstum anwenden“, so Hellweger.

Quelle: Technische Universität Berlin, Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.abm6791

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