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Grönlands Eisschmelze konkretisiert

Erde|Umwelt

Grönlands Eisschmelze konkretisiert
Jason Box
Eisforscher Jason Box beim Probennehmen in Westgrönland. © The Geological Survey of Denmark and Greenland (GEUS)

Grönland ist das zweitgrößte Eisreservoir des Planeten, aber gilt als besonders sensibel gegenüber dem Klimawandel. Was das für die künftigen Meeresspiegel bedeutet, haben nun Forscher ohne Klimamodelle allein auf Basis von Messdaten ermittelt. Demnach sorgt die aktuelle Diskrepanz von Schneenachschub und Eisschmelze dafür, dass der grönländische Eisschild selbst bei sofortigem Ende des Klimawandels noch weitere 3,3 Prozent seines Eises verlieren wird – dies entspricht 27 Zentimeter Anstieg der weltweiten Meeresspiegel. Geht der Klimawandel hingegen weiter, könnten die Meeresspiegel um bis zu 78 Zentimeter steigen – allein durch die grönländische Eisschmelze. Ein Großteil dieses Anstiegs wird nach Einschätzung der Wissenschaftler noch in diesem Jahrhundert erfolgen.

Das Eis Grönlands spielt eine Schlüsselrolle für das Klima und die weltweiten Meeresspiegel. Denn wenn dieses zweitgrößte Eisreservoir des Planeten taut, fließen enorme Mengen an Schmelzwasser ins Meer. Schon jetzt gehört die Rieseninsel zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen weltweit. Weil sich die Arktis überproportional erwärmt und veränderte Luftströmungen immer häufiger warme Luft nach Grönland bringen, taut sein Eisschild stellenweise schon exponentiell. Schon jetzt überholt der Eisverlust alle bisherigen Prognosen und im Sommer 2021 fiel auf dem kältesten, höchsten Punkt des grönländischen Eisschilds zum ersten Mal seit Beginn der Beobachtungen Regen statt Schnee. Angesichts der rapiden Gletscherschmelze vor allem im Südwesten Grönlands sehen einige Klimaforscher sogar erste Anzeichen dafür, dass sich die Gletscher dort einem Kipppunkt nähern – einer Schwelle, ab der ein komplettes Abtauen droht.

Akkumulationszone der Gletscher im Blick

Was dies konkret für die Eismassen Grönlands und für die künftigen Meeresspiegel bedeutet, haben Jason Box vom Geologischen Dienst Dänemarks und Grönlands (GEUS) und seine Kollegen nun ermittelt. Anders als viele Vorgängerstudien nutzten sie dafür keine Klimamodelle, sondern basierten ihre Berechnungen allein auf Beobachtungsdaten. „Dies ist ein komplementärer Ansatz, um den Massenverlust zu ermitteln“, erklärt Box. Weil Modelle die komplexen Wechselwirkungen zwischen Eis, Atmosphäre und Ozean bisher nur unvollständig erfassen können, sind Prognosen gerade für einige Regionen Grönlands mit großen Unsicherheiten behaftet. Die Forscher nutzten deshalb stattdessen die in den letzten beiden Jahrzehnten reichlich gesammelten Beobachtungs- und Messdaten zum Zustand des grönländischen Eisschilds und im Besonderen zur Massenbilanz der Gletscher von 2000 bis 2019 entwickelt hat.

Dafür analysierten die Wissenschaftler den Flächenanteil der einzelnen Gletscher, den ihre Akkumulationszone einnimmt. Dieser Teil eines Gletschers liegt oberhalb der sogenannten Schneelinie, dem Bereich, der selbst im Sommer kalt genug ist, um kein Eis zu verlieren. Daher nimmt in diesem Bereich das Eis durch Schneefall allmählich zu – es ist gewissermaßen die Nachschubzone eines Gletschers. Der Anteil dieser Zone verglichen mit der gesamten Gletschergröße gibt Aufschluss darüber, ob der Gletscher genügend Eis hinzugewinnt, um auf Dauer bestehen bleiben zu können. Für ihre Studie ermittelten Box und seine Kollegen, ob die aktuellen Akkumulationsflächen noch ausreichen, um das Gleichgewicht von Verlust und Zugewinn aufrechtzuerhalten – und wie groß die Diskrepanzen sind.

27 Zentimeter Meeresspiegelanstieg sind schon unabwendbar

Die Analysen ergaben: Auf die gesamte aktuell vergletscherte Fläche Grönlands von rund 1,78 Millionen Quadratkilometer bezogen, ist der grönländische Eisschild bereits deutlich im Minus. Die Akkumulationsflächen sind bereits um 3,3 Prozent kleiner als sie für das Aufrechterhalten der jetzigen Eismasse sein müssten. Dieses Ungleichgewicht resultiert in einem schon jetzt unabwendbaren Eisverlust von 110.000 Kubikkilometer Volumen und 59.000 Quadratkilometer Fläche“, berichten Box und sein Team. Selbst wenn die Welt heute jede Treibhausgas-Emission stoppen würde, würden diese Eismassen abtauen. Dies wiederum führt zu einem schon jetzt feststehenden, nicht mehr aufhaltbaren Meeresspiegelanstieg von mindestens 27 Zentimetern. Das wäre genug Wasser, um die gesamte Fläche der USA elf Meter hoch zu fluten.

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„Dies ist aber ein extrem konservativer Minimalwert“, betont Box. „Realistischerweise müssen wir damit rechnen, dass sich dieser Wert noch in diesem Jahrhundert mehr als verdoppelt.“ Gehe man davon aus, dass die globale Erwärmung vorerst weitergeht, wird sich das Ungleichgewicht zwischen Eiszugewinn und Verlust weiter verstärken und damit auch ein immer größerer Teil des grönländischen Eisschilds unumkehrbar einer Schmelze entgegengehen. In ihrer Studie haben die Wissenschaftler unter anderem berechnet, was passieren würde, wenn man den in Grönland besonders warmen Sommer 2012 als Maßstab für die weitere Entwicklung nimmt. Ihren Berechnungen zufolge wären dann schon zehn Prozent der grönländischen Eisfläche und ein Volumen von 314.000 Kubikkilometer Eis dem Abtauen geweiht. Dieser dann unumkehrbare Eisverlust würde die globalen Meeresspiegel um 78 Zentimeter in die Höhe treiben.

In allen Szenarien am stärksten betroffen sind die Gletscher im Südwesten und Westen Grönlands, weil sie tiefer liegen und dort weniger Schnee fällt. Bei ihnen ist schon heute das Ungleichgewicht zwischen Eiszugewinn und Eisverlust stark ausgeprägt, wie Box und seine Kollegen berichten. Das Eis im zentralen Osten Grönlands ist dagegen bisher noch im Gleichgewicht und trägt nicht zum Meeresspiegelanstieg bei – jedenfalls noch nicht. „Aber auch diese Region wäre anfällig für einen künftigen Eisverlust, wenn sich ein warmes Klima wie 2012 weiter fortsetzt“, erklären die Wissenschaftler. Für Grönlands weitere Entwicklung im 21. Jahrhundert wäre dies eine düstere Prognose.

Quelle: Jason Box (Geological Survey of Denmark and Greenland, Kopenhagen) et al., Nature Climate Change, doi: 10.1038/s41558-022-01441-2

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