Doch vor knapp drei Jahren wendete sich das Blatt überraschend: Amerikanische Mediziner versuchten, Mäuse mit der Krankheit ALS mit Fullerenen zu behandeln. ALS ist eine schwere Nervenkrankheit, die beim Menschen im Schnitt zwei bis fünf Jahre nach der Diagnose zum Tod führt. “Doch Forscher stellten fest, dass die Lebenserwartung der Mäuse sich um mindestens 15 Prozent verlängert, wenn ihnen bestimmte Fullerene verabreicht werden”, berichtet Andreas Hirsch, Professor für Organische Chemie an der Universität Erlangen. Sein Forscherteam ist federführend an der Entwicklung der Buckybälle für Medikamente beteiligt.
Auch scheinen die Kohlenstoffkugeln sehr gut verträglich zu sein. “Erst ab 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht treten Beeinträchtigungen auf”, so Hirsch gegenüber der Nachrichtenagentur ddp. Bei gängigen Medikamenten liegt diese Schwelle meist erheblich niedriger.
Nun kündigen die amerikanische Niederlassung des Unternehmens Merck und das Start-up “C Sixty” in Houston an, die Buckybälle in Kürze in klinischen Studien testen zu wollen. Das Potenzial gegen Krankheiten wie Alzheimer und Schlaganfall, ALS, Durchblutungsstörungen und Parkinson sowie Folgebeschwerden der Diabetes sei sehr viel versprechend, teilt Russ Lebowitz von “C Sixty” mit. Für viele dieser Krankheiten gibt es bisher kaum eine wirksame Therapie, geschweige denn Heilung.
All diese Erkrankungen hofft man, mit ein und demselben Buckyball behandeln zu können. In einer ungewöhnlichen Eigenschaft des Stoffes sehen Mediziner einen Schlüssel zur Heilung: Fullerene entfernen gefährliche freie Radikale aus dem Körper. Sie saugen diese förmlich auf wie ein Schwamm. “Darin sind sie mit Abstand am besten, verglichen mit sämtlichen bekannten Stoffen”, sagt Hirsch.
Freie Radikale zerstören im Körper das Gewebe, attackieren die Zellmembranen und das Erbgut. Sie beschleunigen das Wachstum von Tumoren und sind vermutlich auch bei der Entstehung von Krebs beteiligt. Bei vielen Erkrankungen bestimmen freie Radikale, wie schwer der Patient erkrankt. “So wird nach dem eigentlichen Schlaganfall der Körper mit freien Radikalen überschwemmt. Erst diese rufen die schlimmen Folgen wie etwa Lähmungen hervor”, weiß Carlo Thilgen, Fullerenforscher an der ETH Zürich. Auch bei Alzheimer sind sie die Übeltäter, die das Gehirn unwiederbringlich zerstören.
Trotz der herausragenden Eigenschaften der Fullerene war lange Zeit unklar, ob sie je als Medikament taugen können. Buckybälle aus purem Kohlenstoff werden nämlich nicht vom Körper aufgenommen und sind daher nutzlos. Erst jüngst gelang es Hirschs Team, den Stoff so zu verändern, dass er in die Zellen eindringen kann. Diese Substanz testen Merck und “C Sixty” bereits in Tierversuchen, wie Lebowitz berichtet. Hirsch betont, dass sein Team den auserwählten Buckyball dennoch weiterentwickeln werde.
Noch ist ungewiss, ob der Fußballkohlenstoff tatsächlich einmal eine Wunderwaffe gegen derart viele Krankheiten abgeben wird. Die Eigenschaft als Radikalfänger sei jedoch bei weitem die mit dem größten medizinischen Potenzial, urteilt Thilgen.
Auch eine andere Eigenschaft der Fullerene hat in der Medizin rasch die Runde gemacht: Die Buckybälle können den HI-Virus an seiner Vermehrung hindern und damit möglicherweise künftig auch als Arznei gegen Aids eingesetzt werden. Doch ist diese Wirkung sehr unspezifisch und heute lange nicht so weit entwickelt wie die als Radikalfänger. “Es ist aber durchaus denkbar, dass gerade wegen seiner unspezifischen Wirkung das Fulleren eines Tages jenen Aids-Patienten helfen könnte, die gegen gängige Medikamente resistent sind”, so Hirsch.
Unabhängig davon könnten die Fußballmoleküle jedoch auch andernorts Karriere machen: Freie Radikale kommen ständig in der Umwelt vor und lassen vor allem die Haut altern. Daher plant “C Sixty”, die Fußballmoleküle auch in Cremes einzusetzen. Statt Vitamin E
könnte Kosmetik eines Tages Fullerene enthalten.