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„ICH RATE ZUM SCHNITZEL VOM WEIDERIND“

Erde|Umwelt Gesellschaft|Psychologie

„ICH RATE ZUM SCHNITZEL VOM WEIDERIND“
Statt Grundsatzdiskussionen zu führen, leitet der Agrar- wissenschaftler Kurt-Jürgen Hülsbergen aus den Forschungen lieber konkrete Tipps für Bauern und Verbraucher ab. Kurt-Jürgen Hülsbergen ist Inhaber des Lehrstuhls für Ökologischen Landbau und Pflanzenbausysteme an der TU München. Der Agrarwissenschaftler, Jahrgang 1960, leitet eine deutschlandweite Vergleichsstudie zu den Klimawirkungen verschiedener Landwirtschaftssysteme.

bild der wissenschaft: Herr Professor Hülsbergen, etliche Studien rechnen vor, dass die Ernährung einer weiter steigenden Weltbevölkerung mit organischem Landbau gar nicht zu schaffen ist, da die Erträge zu niedrig sind. Wie sehen Sie das?

Kurt-Jürgen Hülsbergen: Das gilt so pauschal nicht. In Deutschland bringt Ökolandbau geringere Leistung. Aber dort, wo wir die größten Defizite haben, ist eine Steigerung möglich. Vor allem in Afrika südlich der Sahara, wo das Ertragsniveau erschreckenderweise immer noch bei unter einer Tonne Getreide je Hektar liegt, kann Ökolandbau die Erträge verdoppeln bis vervierfachen.

Manche meinen, es hapere gerade in Afrika eher am Zugang zu neuen Pflanzensorten, Dünger und Pestiziden.

Dieses Schema hat dort bislang nicht funktioniert. In vielen Regionen Afrikas haben Kleinbauern allein schon mangels Infrastruktur keinen Zugang zu Pflanzenschutzmitteln oder Dünger.

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Und was kann Ökolandbau bewirken?

Nehmen Sie das Thema Stickstoff. Er lässt sich auch über die N2- Fixierung mit Leguminosen, also Hülsenfrüchten, einbringen, wie es der ökologische Landbau vorrangig praktiziert. Ein Beispiel sind Agroforstsysteme, die Waldstreifen aus Leguminosen mit Ackerstreifen kombinieren. Jedes Blatt aus den Bäumen bringt Stickstoff und Biomasse in die ausgelaugten Böden.

Etliche Hochrechnungen kalkulieren, dass die Welt ohne synthetischen Stickstoffdünger nicht mehr satt würde. Der Ökolandbau lehnt das ab.

Bis zum Jahr 2020 kommen wir beim derzeitigen Trend in Deutschland vielleicht auf zehn Prozent Fläche für Ökolandbau. Dies wird die Nahrungsversorgung nicht gefährden, sondern vorhandene Agrarüberschüsse abbauen.

Aber ein pauschaler Verzicht auf synthetisch-chemischen Stickstoff – ist das nicht antiquiert?

Mineralischer Stickstoff kann prinzipiell sehr effizient und umweltverträglich eingesetzt werden. Dennoch haben wir bedeutende Stickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft, die zu Emissionen führen und Ökosysteme beeinflussen. Jedes Jahr werden in Deutschland im Durchschnitt 80 Kilo Stickstoff auf jedem Hektar Ackerland mehr eingesetzt, als die Ernten wieder entziehen. Der Ökolandbau arbeitet sparsamer.

Lässt sich nicht auch beim konventionellen Landbau Stickstoff einsparen?

Durchaus. Da gibt es sehr viele innovative Ansätze. Die Stickstoffgaben müssen noch stärker am Ertrag ausgerichtet werden, beispielsweise durch Präzisionslandwirtschaft, die moderne Sensoren und Dünge-Algorithmen nutzt. In Regionen mit hohen Tierkonzentrationen – etwa im Weser-Ems-Gebiet – lassen sich die hohen Güllemengen nicht alle lokal verwerten. Die Gülle sollte vielmehr in Gebiete mit Düngermangel exportiert werden.

Wenn man „bio“ mit „konventionell“ vergleicht: Welche der beiden landwirtschaft- lichen Methoden hat generell die bessere Klimabilanz?

Wir haben in einer Stichprobe Höfe in Bayern untersucht. Ob Weizen, Kartoffeln oder Mais: Im Durchschnitt finden wir Vorteile für den Ökolandbau. Er holt zwar nicht so viel Ertrag aus einer Fläche heraus. Doch diese Betriebe kommen, bezogen auf die Anbaufläche, im Durchschnitt mit einem Drittel der Energie aus, die konventionelle Höfe brauchen – wenn man alle Aufwendungen einschließlich Dünger und Maschinen bilanziert. Auch bezogen auf die gleiche Menge an Produkt sehen wir leichte Vorteile für den Ökolandbau. Wir können das Ergebnis aber nicht verallgemeinern.

Wieso nicht?

Ein schlecht wirtschaftender Ökobauernhof kann bei der Klimabilanz weniger gut abschneiden als ein ausgezeichneter konventioneller Hof. Sie müssen in jedem Einzelfall genau hinschauen. Zudem umfasst unsere Analyse bislang vorrangig den Ackerbau.

Die meisten schädlichen Klimaeffekte bei der Landwirtschaft hat jedoch die Tierhaltung. Nun gibt es Studien, nach denen eine Intensivtierhaltung das Optimum für den Umweltschutz ist: Je mehr Fleisch und Milch pro Tier, desto besser.

Ich kenne bislang nur Daten, die Klimaeffekte durch das einzelne Tier messen. Über die optimale Produktion verrät das aber nicht viel.

Wieso nicht?

Sie müssen das Gesamtsystem bilanzieren. Wenn Sie Hochleistungstiere im Stall mit Sojaschrot füttern, das von Anbauflächen in Südamerika stammt, für die Urwald gerodet wurde, dürfte die Gesamtbilanz schlechter ausfallen als bei Weidehaltung vor Ort. Oder nehmen Sie das Stichwort Grünland. Wird Grünland neu in Ackerland umgebrochen, so wird sehr viel CO2 durch den Humusabbau freigesetzt. Wir haben in den letzten Jahren allein in Deutschland an die 170 000 Hektar Grünland umgebrochen. Da rate ich eher zum Schnitzel von Rindern aus Weidehaltung. Um die Klimabilanz der Tierzucht wirklich zu klären, fehlen bislang die Gesamtbilanzen.

Wann wird es die geben?

In drei Jahren werden wir die Ergebnisse einer deutschlandweiten Untersuchung vorlegen. Wir analysieren derzeit detailliert 40 ökologisch und 40 konventionell wirtschaftende Höfe in verschiedenen Boden-Klima-Regionen. Die Ergebnisse dieser Studie zu den Klimawirkungen landwirtschaftlicher Betriebssysteme sollen nicht nur in die nationale Klimaberichterstattung eingehen – wir möchten damit auch den Landwirten Hilfestellung geben. Sie brauchen Werkzeuge, mit denen sie ihre Betriebe optimieren können. Es geht ja nicht dogmatisch um bio oder konventionell, sondern um die bestmögliche Produktion an jedem einzelnen Standort. Wir müssen jeden Betrieb nach wissenschaftlichen Kriterien optimieren. ■

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