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Im Rückblick scheint vieles grotesk

Interview mit Umwelthistoriker

Im Rückblick scheint vieles grotesk
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Atomwirtschaft © Schwarwel - Fotolia.com
Joachim Radkau, einer der profiliertesten Umwelthistoriker, berichtet in seinem neuen Buch „Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft“ von der Euphorie der Anfangsjahre, von billig gekauften Versuchsendlagern und dem Vorhaben einer bundesdeutschen Atombombe.

Fotolia_33938452_XS_250.jpgnatur: Herr Radkau, nach 50 Jahren Atomenergie und nachdem in Gorleben bereits anderthalb Milliarden Euro ausgegeben worden sind, wird jetzt erstmals systematisch ein Endlager gesucht. Ist das bezeichnend für die deutsche Atomwirtschaft?
Radkau: Ja, dass die Endlagerung im Prinzip unlösbar ist, hat man sehr früh gewusst, dafür gibt es verschiedene Belege. Also, diese Art und Weise, Dinge auszublenden, ist schon typisch. Es ist aber noch aus einem anderen Grund symptomatisch: wegen der Planlosigkeit. Das Versuchsendlager Asse zum Beispiel war ein Schnäppchen, da war ein Salzbergwerk, da kam man billig ran, und da hat man zugegriffen. Ohne weiteren Plan.

Und Gorleben wurde vor allem deswegen gewählt, weil es an der Grenze lag.
Ja, die DDR hat offiziell protestiert; aber die brauchten Devisen, die konnte man hintenrum leicht ködern.

Sie weisen nach, dass diese Planlosigkeit von Anfang an herrschte – es gab keine einheitliche Strategie, keine systematische Forschung über den geeignetsten Reaktortyp; es ging sogar anfangs, in den 50er Jahren, noch nicht mal um Energiepolitik.
Es war zu Beginn ein wildes Durcheinander verschiedener Politiken. Bei Adenauer und Strauß ist hinterher rausgekommen, dass sie im Grunde genommen auf
eine bundesdeutsche Atombombe abzielten …

… der alte Vorwurf der Anti-AKW-Bewegung.
Man weiß nicht, ob sie die Bombe tatsächlich bauen wollten, aber sie wollten zumindest die Option offenhalten, aus politisch-taktischen Gründen. Um mitreden zu können bei den Großen, bei EURATOM und NATO, um von den Amerikanern ernst genommen zu werden. Die Atomphysiker hingegen wollten die Bombe gar nicht, die haben ja sogar dagegen protestiert. Die Energiewirtschaft wiederum war lange Zeit an der Atomkraft überhaupt nicht interessiert, RWE zum Beispiel hatte gerade die riesigen Braunkohlefelder erschlossen. Und Siegfried Balke, der von 1956 bis 1962 Atomminister war, konnte mit der Kernenergie auch wenig anfangen; der wollte vor allem staatlich organisierte Großforschung und ein richtiges Wissenschaftsministerium.

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Das Atomministerium war also nicht, wie man denken könnte, die zentrale Instanz?
Das war ein Kuriosum. Es war winzig klein, ein paar Beamte, die in einem Hotel untergebracht waren, es hatte kaum Kompetenzen, und niemand wusste so recht, warum es überhaupt existierte. Weil das niemand beantworten konnte, gab es sogar das Bonmot, es sei ja schließlich das „Ministerium für Atom-Fragen“ und nicht für Antworten!

Trotzdem gab es Entwicklungen. Die Option auf die Bombe zum Beispiel führte dazu, dass man zunächst einen bestimmten Reaktortyp favorisierte.
Man setzte anfangs auf Schwerwasserreaktoren ( bei denen die Kettenreaktion von „schwerem Wasser“ gesteuert wird, das statt Wasserstoff Deuterium enthält, die Red. ). Die hatten den Vorteil, dass man Natururan verwenden konnte, statt es mühsam anreichern zu müssen, und dass dabei Plutonium entstand, das man für die Bombe brauchte. Es gab ja auch schon einige Vorarbeiten dazu aus der Nazizeit.

Trotzdem wurden erst mal keine deutschen Schwerwasserreaktoren gebaut. Warum?
Es ist sehr aufwendig, das schwere Wasser zu produzieren. Die Farbwerke Höchst, die das machen sollten, kriegten es nicht hin, und die Amerikaner wollten
keines liefern. Außerdem verflüchtigte sich im Lauf der Jahre die Motivation. Eine deutsche Atombombe war ja in der Gesellschaft nicht ansatzweise durchsetzbar, das konnte niemals ein offizielles Politikziel sein.

Wenn also niemand eine deutsche Atomwirtschaft wirklich brauchte, wieso entstand sie überhaupt?
Das ist die interessante Frage. Es gab einen Punkt, an dem das Ganze kurz davor schien, sich totzulaufen. Die Energiewirtschaft war extrem zurückhaltend. Die haben in diesen Jahren, um 1960 herum, dem Staat praktisch die Bedingungen diktieren können, unter denen sie ins Atomgeschäft einsteigen.

Der Staat war die treibende Kraft?
Ja. Die Amerikaner, Briten und Franzosen waren vorgeprescht, man wollte dabeisein. Der Staat garantierte den Energieversorgern, dass die neue Technologie sie nicht mehr kosten würde als konventionelle Kraftwerke.

Aber es gab noch gar keine funktionierenden deutschen Reaktoren.
Deshalb wurden sie aus den USA übernommen, und das waren eben die Leichtwasserreaktoren ( werden mit normalem Wasser gekühlt; Druck- und Siedewasserreaktor sind Untertypen davon, die Red. ). Das war mein großes Aha-Erlebnis, als ich in den 70er Jahren in den Akten zu wühlen begann: in welchem Maß sich die Leichtwasserreaktoren ungeplant durchgesetzt haben. Im Grunde wohl aus einer gewissen Hilflosigkeit heraus, weil die Kerntechnik etwas unheimlich Neues war, mit unbekanntem Risiko. Und da hat sich dann der Reaktortyp durchgesetzt, mit dem man die meisten Erfahrungen hatte, der funktionierte in den Atom-U-Booten, und es gab auch schon die ersten größeren Exemplare an Land. Und als es darum ging, dass die ersten Kernkraftwerke gebaut werden sollten, die in nennenswertem Umfang Strom produzieren würden – Gundremmingen A, Lingen, Obrigheim –, da wurden das alles Leichtwasserreaktoren.

Wenn es also einen Reaktortyp gab, der leidlich funktionierte – wieso wurden dann Projekte wie der Schnelle Brüter und der Hochtemperaturreaktor Hamm-Uentrop jahrzehntelang weiterverfolgt, bis zum milliardenteuren Bau der fertigen Kraftwerke?
Das war ein Bündel von Ursachen. Anfangs, in den 50ern, gab es die allgemeine Atomeuphorie, da waren die alten Haudegen, die Physiker wie Heisenberg, von Weizsäcker und viele andere, die begierig darauf waren, an der zivilen Nutzung der Atomkraft zu forschen. In den 60ern kam dann der Brüter weltweit in Mode, was der Forschung einen Schub gab. Sehr stark wirkte wohl auch der Wunsch, einen eigenen deutschen Weg zu gehen, nicht so von den Amerikanern abhängig zu sein. Und irgendwann war schon so viel investiert worden, da waren die riesigen Forschungseinrichtungen in Karls-ruhe und Jülich mit ihrer Kompetenz und den vielen Leuten, die mussten auch beschäftigt werden.

Manchmal erstaunt die Diskrepanz zwischen der extrem komplexen Technologie und der teils dilettantisch anmutenden Art, wie das geplant wurde. Beim Hochtemperaturreaktor zerbrachen teilweise die Brennelementekugeln, wenn sie in den Reaktorkern eingespeist wurden, oder die Steuerstäbe gingen kaputt, wenn man sie zwischen die Kugeln stieß …
Aus der Rückschau kommt einem vieles grotesk vor. Aber damals wirkte das alles viel vernünftiger, als es heute den Anschein hat. Ich muss gestehen, ich war selber eine Zeit lang ein Fan des Hochtemperaturreaktors, ich war mit dem Erfinder Rudolf Schulten gut bekannt, das sah auf dem Papier alles sehr gut aus. Ich habe damals aber gelernt, dass der Teufel im Detail steckt, besonders bei solchen Großprojekten, und dass man eben alle Aspekte beachten muss.

Mit etwas Distanz betrachtet, bietet auch das Ende eine skurrile Pointe: Erst die Laufzeitverlängerung 2010, die den Unternehmen Milliardengewinne zu bescheren schien, und kein Jahr später die Kehrtwende und der endgültige Ausstiegsbeschluss.
Ja, wenn man es als historisches Drama sieht, ist das ein schöner Knalleffekt vor dem Finale. Aber eigentlich ist der Akzent falsch gesetzt, wenn man den Ausstieg von 2011 nur als Reaktion auf Fukushima sieht. Das hat in unserem Buch vor allem Lothar Hahn nachgewiesen: Latent läuft der Ausstieg seit Jahrzehnten. Seit 1982 ist kein neues Kernkraftwerk in Auftrag gegeben worden. Die Brüter, die der Kerntechnik ein bisschen den Charme einer erneuerbaren Energie gaben, sind längst in der Versenkung verschwunden, auch international. Die jetzige Energiewende ist nur die
Konsequenz aus einer Entwicklung, die sich bereits seit drei Jahrzehnten abzeichnet.

Bleibt die Endlagerung. Welche Lösung erwarten Sie?
Da gibt es ja eine merkwürdige Diskrepanz: Technisch erschien die Endlagerung nie besonders schwierig – als ob es nur darum ginge, den Atommüll in möglichst dicke Fässer zu packen und in unerreichbarer Tiefe zu verstauen. Aber geschichtsphilosophisch betrachtet war das Problem von Anfang an unlösbar: Es gibt keine Institution, die Vorsorge für Jahrzehntausende treffen kann. Natürlich habe auch ich als Historiker da keine optimale Lösung. Ich fürchte, es gibt sie nicht. Und genau das war von Anfang an, noch bevor man viele Probleme im Detail durchschaute, die Achillesferse der Kernenergie.

Das Interview führte Martin Rasper.

Cartoon: Atomwirtschaft © Schwarwel – Fotolia.com

 

Radkau_150.jpg Joachim Radkau, Jahrgang 1943, emeritierter Professor für Geschichte an der Universität Bielefeld, ist einer der profiliertesten deutschen Umwelthistoriker. Seine 1983 erschienene Habilitationsschrift „Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft“, die aus zahlreichen, inzwischen unzugänglichen Quellen schöpft, gilt immer noch als Standardwerk.

 

 

 

nk0413DenkstoffCover_150.jpgJetzt hat Joachim Radkau zusammen mit dem Physiker Lothar Hahn, dem ehemaligen Leiter der Reaktorsicherheitskommission, die Geschichte bis heute fortgeschrieben. Hahn war zudem Mitglied und zeitweiliger Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission.

Das Buch liest sich teils wie ein Krimi, teils wie eine Farce. Joachim Radkau, Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. Oekom Verlag. 416 Seiten, 24,95 Euro.

© natur.de – Martin Rasper
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