Ob sich diese Erkenntnisse aus den Tierversuchen direkt auf den Mensch übertragen lassen, ist noch nicht klar. Es gibt laut Kipnis jedoch bereits Hinweise darauf, dass das Immunsystem beim Menschen eine ähnliche Bedeutung für das Lernen und das Gedächtnis hat wie bei den Nagetieren. So unterdrückten zum Beispiel viele Medikamente, die im Rahmen einer Krebsbehandlung eingesetzt werden, auch das Immunsystem. Dies könnte erklären, warum manche Krebspatienten durch eine solche Chemotherapie Probleme mit Gedächtnisleistungen hätten. Zudem könnten träge Immunzellen nach Ansicht von Kipnis auch dafür verantwortlich sein, dass das Gehirn langsamer arbeitet, wenn man altert. “Ich sage nicht, dass dies der einzige Faktor ist, der zur Altersdemenz führt, aber es könnte definitiv einer davon sein”, ist der Forscher überzeugt.
Wenn sich bestätigt, dass das Immunsystem auch beim Menschen für die Gedächtnisleistung wichtig ist, könnte dies die Basis für die Entwicklung neuartiger Medikamente sein, mit denen sich die Hirnleistung verbessern lässt. Die Forschergruppe um Kipnis ist bereits dabei, ein solches Hirndoping zu entwickeln, um es in Mäuseexperimenten zu testen. Danach planen die Wissenschaftler, es bei der Behandlung des Rett-Syndroms einzusetzen – einer Entwicklungsstörung, die ebenfalls mit abnormalen Immunzellen in Verbindung gebracht wird.
Kipnis geht jedoch noch weiter: Er glaubt, dass nicht nur der geistige Verfall im Alter oder bei Krankheiten mit solchen Medikamenten rückgängig gemacht werden kann. Auch die Hirnleistung junger, gesunder Menschen zu steigern, hält er für möglich. “Jemanden, der schon sehr klug ist, kann man so wohl nicht noch klüger machen. Aber bei jemanden mit einem Durchschnitts-IQ lässt sich die Gedächtnisleistung wohl steigern”, meint Kipnis. Andere Forscher äußern sich zurückhaltender in ihrer Einschätzung, wie stark das Immunsystem das Nervensystem beeinflusst und warnen vor einer vorschnellen medikamentösen Anwendung.