Wenn Sie nun zum Lesen dieses Textes auf den Bildschirm schauen, können Sie sich das periphere Sehen einmal bewusst machen: Ihre Augen fixieren ein Wort, das scharf erscheint, der Rest des Texts und Blickfeldes ist hingegen vergleichsweise unscharf – das periphere Sehen liefert nur optisch verzerrte Seheindrücke. Dennoch ist dieses Sehvermögen natürlich sehr wichtig: Es überwacht die Umgebung, nimmt Reize wahr und bestimmt damit den nächsten Fixationspunkt des Auges – beispielsweise beim Autofahren.
Den individuellen Fähigkeiten beim peripheren Sehen haben nun die Forscher um John Greenwood vom University College London eine Studie gewidmet. Sie führten dazu über mehrere Jahre hinweg eine Reihe von Wahrnehmungstests mit Freiwilligen durch. Beim zentralen Experiment sollten die Probanden ihren Blick auf einen roten Punkt auf einem Bildschirm richten, während bespielsweise Buchstaben oder Bilder von Uhren in verschiedenen Teilen des Gesichtsfeldes – des peripheren Sehbereichs – erschienen. Es handelte sich entweder nur um ein einzelnes Objekt oder um mehrere. Im Fall der Uhr ist es beispielsweise schwierig, die Zeit auf der gefragten Uhr zu erkennen, wenn auch noch andere Seheindrücke im Gesichtsfeld erscheinen. Die Szene wird dadurch intensiver visuell „geladen“. Dieser Effekt ist bekannt und wird als „visuelles Gedränge“ bezeichnet.
„Meine Stärke ist der rechte Augenwinkel“
Die Auswertungen der Forscher ergaben: Sowohl was das periphere Sehen im visuellen Gedränge betrifft, als auch bei der Fähigkeit bezüglich der Position im Gesichtsfeld gibt es beim Menschen deutliche Unterschiede. Im Durchschnitt waren die meisten Teilnehmer am schwächsten bei ihrem oberen peripheren Sehen, gefolgt vom unteren Bereich. Beim Sehen seitlich des Fixationspunktes gab es etwa gleich viele rechts-, wie linksbegabte. „Jeder hat sein eigenes Muster der Empfindlichkeit, mit Inseln der schlechten Sehkraft und anderen Regionen der guten“, resümiert Greenwood.
„Wenn man beispielsweise nach seinen Schlüsseln sucht, kann dies die Fähigkeit beeinflussen, sie zu finden“, veranschaulicht er den Effekt. „Jemand mit starker linksseitiger peripherer Sehkraft kann die Schlüssel auf einem unordentlichen Schreibtisch vielleicht entdecken, wo sie einem rechtseitig begabten Menschen entgehen würden“, so Greenwood. Ein weiteres praktisches Beispiel ist der Straßenverkehr: „Wenn jemand einen LKW mit einer hohen Kabine steuert und geradeaus schaut, bemerkt er Fußgänger in seinem unteren peripheren Sehfeld vergleichsweise schlecht, wenn hier seine Schwachstelle liegt“, sagt Greenwood. Neben dem bekannten toten Winkel bei Fahrzeugen sollte man deshalb ebenfalls beachten, dass Menschen hinter dem Lenkrad auch unterschiedliche Bereiche haben, in denen ihre periphere Sehkraft besser oder schlechter ist.“
Es liegt wohl an den Augen selbst
Auch zur Frage, was für die Seitigkeit verantwortlich ist, haben die Forscher Hinweise gefunden. Die Tendenz zur schlechten Sicht auf einer Seite zeigte sich bei den jeweiligen Probanden durchgängig bei allen unterschiedlichen Testaufgaben, obwohl die visuellen Eindrücke unterschiedliche Hirnbereiche ansprachen. Das legt nahe, dass nicht Prozesse der visuellen Verarbeitung im Gehirn für den Effekt verantwortlich sind, sondern Merkmale in den Augen. Möglicherweise ist schon die Netzhaut links oder rechtslastig.
Den Forschern zufolge könnten ihre Ergebnisse nun auch der Erforschung von Augenerkrankungen dienen, bei denen Aspekte des peripheren Sehens, des visuellen Gedränges oder des Verlustes des Sehvermögens im Fixationspunkt eine Rolle spielen. „Langfristig hoffen wir, dass unsere Forschung zur Entwicklung besserer Behandlungsstrategien bei einer Vielzahl von Sehbehinderungen helfen kann“, sagt Co-Autor Patrick Cavanagh vom Dartmouth College in Hanover (USA).