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Infektionen: Warum es Männer oft schlimmer trifft

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Infektionen: Warum es Männer oft schlimmer trifft
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Tuberkulose gehört zu den Infektionskrankheiten, die bei Männern häufiger einen schweren Verlauf nimmt (Foto: CDC)
Von der sprichwörtlichen „Männergrippe“ mal abgesehen, treffen einige Infektionskrankheiten tatsächlich Männer schwerer als Frauen. Als Ursache dafür galt bisher vor allem das Zusammenspiel von Geschlechtshormonen und Immunsystem. Doch britische Forscher decken nun einen ganz anderen Grund auf: Aus Sicht der Erreger ist es oft günstiger, bei Frauen weniger schwere Symptome auszulösen. Denn sie bieten bessere Verbreitungsoptionen als Männer.

Mediziner beobachten schon lange, dass einige Infektionskrankheiten bei Männern einen schwereren Verlauf nehmen als bei Frauen. So sterben beispielsweise Männer, die mit Tuberkulose infiziert sind, eineinhalb Mal häufiger an der Krankheit. Ähnlich bei dem potenziell krebsauslösenden Humanen Papillom Virus (HPV): Gelangt dieses in Mund und Rachen, entwickelt sich dort bei Männern fünfmal häufiger Krebs als bei Frauen. Eine Infektion mit dem Eppstein-Barr-Virus führt beim männlichen Geschlecht doppelt so häufig zu einem Hodgkin Lymphom als bei weiblichen Infizierten. Aber warum? Eine naheliegende Erklärung ist das Immunsystem: „Die gängige Theorie geht davon aus, dass die Wechselwirkung der Geschlechtshormone mit dem Immunsystem Männer anfälliger für Krankheitserreger macht als Frauen“, erklären Francisco Ubeda und Vincent Jansen von der Royal Holloway University of London. Tatsächlich scheinen die weiblichen Hormone Frauen eine aktivere Abwehr zu verleihen – teilweise so aktiv, dass sie wiederum häufiger unter Autoimmunerkrankungen leiden. Das Problem dabei: „Dieser Effekt kann zwar einige der beobachteten Geschlechtsunterschiede erklären, aber er allein liefert noch keine ausreichende Antwort“, so die Forscher. So lässt sich beispielsweise nicht erklären, warum die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Infektionen nicht schon direkt nach der Pubertät auftreten, sondern erst rund ein Jahrzehnt später.

Infektion aus Erregersicht

Auf der Suche nach den Ursachen des rätselhaften Geschlechtereffekts haben Ubeda und Jansen nun einen ungewöhnlichen Weg gewählt. Sie versetzen sich kurzerhand in die Krankheitserreger hinein. „Wir bewegen uns damit weg von wirtszentrierten Hypothesen und hin zu Hypothesen, die das Pathogen in den  Mittelpunkt stellen“, so die Forscher. Ihre Frage dabei: Welche Vorteile hat es für das Virus oder Bakterium, wenn es Frauen länger am Leben lässt oder bei ihnen schwächere Symptome auslöst? Um das herauszufinden, entwickelten die Wissenschaftler ein epidemiologisches Modell der Infektion und Übertragung bei Männern und Frauen. Dieses berücksichtigt die Balance, die ein Erreger halten muss: Lässt er seinen Wirt zu schnell sterben, kann er sich vorher möglicherweise nicht ausreichend übertragen. Ist er aber nicht aggressiv genug, dünnt ihn das Immunsystem möglicherweise so stark aus, dass die Ansteckung anderer ebenfalls unwahrscheinlich wird.

Bei der Betrachtung der Optionen aus Erregersicht stießen die Forscher auf einen entscheidenden Unterschied zwischen Männern und Frauen:  Befällt das Bakterium oder Virus einen Mann, kann es andere nur über horizontalen Transfer anstecken – beispielsweise durch Anhusten, Sex oder andere Überragungswege. Anders dagegen bei einer Frau im gebärfähigen Alter: Bei ihr besteht zusätzlich die Option, einen Erreger bei der Geburt und beim Stillen an ihren Nachwuchs weiterzugeben. Wie das Modell verriet, übte dieser zusätzliche Weg des vertikalen Transfers im Laufe der Evolution einen positiven Selektionsdruck auf den Erreger aus. Denn für das Bakterium oder Virus ist es kontraproduktiv, eine Frau zu töten, bevor diese Kinder bekommen hat und damit dem Erreger zusätzliche Übertragungswege eröffnet. „Für das Pathogen macht diese zusätzliche Übertragungsroute das Leben von Wirten wertvoller, die den vertikalen Transfer erlauben“, so Ubeda und Jansen. Die Balance, die der Erreger halten muss, verschiebt sich damit zugunsten eines milderen Verlaufs bei Frauen und damit größeren Übertragungschancen.

Japan, die Karibik und ein Leukämie-Virus

Demnach müsste immer dann, wenn ein Virus oder Bakterium schon im Mutterleib oder später beim Stillen auf das Kind übergehen kann, diese Verschiebung zum Tragen kommen. Kann sich ein Erreger dagegen ohnehin nur horizontal verbreiten, wie beispielsweise bei Erkältung oder Grippe der Fall, dann müssten Männer und Frauen gleichermaßen betroffen sein. Ob dieses Modell in der Realität tatsächlich greift, überprüften die Forscher am Beispiel des HTLV-1-Virus, einem Erreger, der beim Menschen adulte T-Zell-Leukämie (ATL) verursachen kann. Dieses Virus ist vor allem in der Karibik und in Japan stark verbreitet. Der entscheidende Unterschied: In der Karibik wird der Erreger fast ausschließlich durch Sex übertragen – also horizontal. In Japan jedoch infizieren sich viele Menschen schon als Kind durch das Stillen und damit durch vertikalen Transfer. Stimmt die Theorie, müsste das Virus in der Karibik bei beiden Geschlechtern gleich häufig zu Leukämie führen, in Japan dagegen wäre ein schwerer Verlauf bei Männern häufiger. Und tatsächlich: „Japanische Männer, die sich mit HTLV-1 angesteckt haben, entwickeln zwischen 2 und 3,5 Mal häufiger Leukämie als Frauen“, berichten die Wissenschaftler. In der Karibik gebe es solche Unterschiede dagegen nicht.

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Nach Ansicht der Forscher belegen Modell und Beispielfall, dass Hormone nicht der einzige Grund sind, warum Männer bei einigen Infektionen schwerer erkranken als Frauen. „Unsere Arbeit stellt die vorherrschende Hypothese in Frage, nach der beobachtete Geschlechter-Unterschiede in der Virulenz allein durch verschiedene Reaktionen des Immunsystems von Männern und Frauen erklärt werden müssen“, konstatieren Ubeda und Jansen. „Stattdessen bewegen wir uns in der Debatte weg vom rein wirtszentrierten Blick hin zu einer Perspektive, die die Sicht des Pathogens einbezieht.“ Diese Erweiterung der Perspektive könnte auch dazu beitragen, neue Behandlungsalternativen zu finden.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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