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Ist das mein Finger?

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Ist das mein Finger?
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Unsere Körperwahrnehmung lässt sich leichter täuschen als gedacht (thinkstock)
Natürlich wissen wir, wo unser Körper anfängt und wo er aufhört, welche Gliedmaßen zu uns gehören und welche zu jemand anderem. Oder etwa nicht? Experimente haben gezeigt, dass sich das Gehirn leicht übertölpeln lässt. Vermitteln ihm mehrere Sinne ein stimmiges Bild, können wir auch Gummiarme oder Silikonfinger als Teil unserer selbst empfinden. Australische Forscher zeigen nun, dass bereits ein einziger Sinneseindruck – in diesem Falle die Bewegung der Muskeln – ausreicht, um unsere Wahrnehmung auszutricksen.

Für die meisten von uns ist das Gefühl für den eigenen Körper eine Selbstverständlichkeit. Nichts, so meinen wir, kann daran rütteln. Dass das Verhältnis zwischen Hirn und Leib komplizierter ist als angenommen, zeigt sich erst in Fällen, in denen unsere Körpererfahrung nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Ein Beispiel dafür sind Phantomglieder. Die grauen Zellen melden dann beharrlich, Gliedmaßen zu spüren, wo keine mehr sind. Der umgekehrte Fall wird als Xenomelie bezeichnet: Menschen, die unter diesem Syndrom leiden, haben das bedrückende Gefühl, Teile ihres Körpers würden nicht zu ihrem Selbst gehören. Auch Patienten, die bei einem Schlaganfall Blutungen in bestimmten Regionen der rechten Hirnhälfte erleiden, empfinden ihren linken Arm danach bisweilen als Fremdkörper.

Doch auch bei gesunden Menschen lässt sich die Wahrnehmung des eigenen Körpers austricksen. Klassisches Beispiel ist die sogenannte Gummihand-Illusion, ein Experiment aus dem Jahre 1998. Die Forscher platzierten dabei Versuchspersonen so, dass sie ihre eigene Hand nicht mehr sahen, wohl aber eine Gummihand, die vor ihnen auf dem Tisch lag. Nachdem der Versuchsleiter echte und falsche Hand einige Minuten lang synchron gestreichelt hatte, beschlich die Probanden das Gefühl, die Gummihand gehöre zu ihrem Körper.

Das Experiment ist seitdem in verschiedenen Variationen wiederholt worden. In allen Fällen brachte das Gehirn jedoch Informationen aus mehreren Quellen in Einklang: Wahrnehmungen der Augen, der beteiligten Muskeln und Gelenke und der Berührungsrezeptoren. Eine australische Forschergruppe fragte sich nun: Reicht auch eine einzige Informationsquelle aus – in diesem Falle die Bewegung der Muskeln, damit wir einen künstlichen Finger als unseren eigenen empfinden? Die Antwort liefern Martin Héroux, Lee Walsh und ihr Team in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Journal of Physiology”.

Für ihr Experiment ersannen die Wissenschaftler eine spezielle Apparatur. Die Teilnehmer mussten ihre Arme in einen zugedeckten Kasten stecken, damit sie den eigentlichen Versuchsaufbau nicht sehen konnten. Ihre rechte Hand war niedriger gelagert als die linke. Ihr rechter Zeigefinger steckte in einer Manschette, die über eine drehbare Stange mit einem künstlichen Finger zwölf Zentimeter darüber verbunden war. Diesen künstlichen Finger nahmen die Probanden nun zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand. Der Versuchsleiter hielt ihre linke Hand in dieser Position fest, während sich die Teilnehmer wieder entspannten.

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Das Hirn wählt die wahrscheinlichste Erklärung

Nun beugte und steckte der Versuchsleiter den künstlichen Finger mit der linken Hand der Probanden. Wie sich herausstellte, reichte es zur Überlistung der Körperwahrnehmung nicht, den künstlichen und den echten Zeigefinger synchron zu bewegen: Ihr Tastsinn meldete den Versuchsteilnehmern, dass das Silikongebilde zwischen ihren Fingern nicht echt war. Erst nachdem die Nerven in Zeigefinger und Daumen beider Hände lokal betäubt worden waren, war die Illusion perfekt. Acht von neun Probanden hatten nun das Gefühl, ihren eigenen Zeigefinger festzuhalten. Aller anderen Sinne beraubt, konnte das Gehirn lediglich auf die Meldung der Muskeln zurückgreifen, die durch das Beugen des Fingers bewegt wurden. Doch das allein reichte ihm, um den künstlichen Finger als den eigenen wahrzunehmen.

„Wir gehen davon aus, dass das Hirn die sensorischen Informationen, die es erhält, auf ihre Konsistenz mit verschiedenen Szenarien hin prüft und so ständig jene innere Repräsentation unseres Körpers auf den neuesten Stand bringt, die es aus umfassenderen Sinneseindrücken gewinnt”, schreiben die Forscher. Unsere Körperwahrnehmung ist also kein starres Konzept, sondern wird laufend angepasst. Co-Autor Simon Gandevia hofft, sich die Erkenntnisse aus der aktuellen Veröffentlichung bei der Therapie zunutze machen zu können: „Sie könnten zu neuen klinischen Interventionen führen, bei denen das Körperbild eines Patienten durch Hinzufügen oder Unterdrücken einer bestimmten Sinneswahrnehmung verändert wird.”

Quelle:

© wissenschaft.de – Nora Schlüter
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