Entgegen landläufiger Vorstellungen ist der Urwald auch kein Schlemmerparadies, wo einem die reifen Früchte quasi in den Mund wachsen. Bäume mit Durian, Lychee und Rambutan stehen vereinzelt und weit voneinander entfernt. Orang-Utans kennen zwar ihr Territorium und dessen Bäume genau. Doch in der Trokkenzeit, von März bis Oktober, wenn das Angebot an Früchten knapp wird, müssen auch sie lange umherwandern, bis sie etwas Eßbares finden. Möglicherweise folgen sie den Schwärmen fruchtfressender Vögel und Fledermäuse.
Das typische Sozialverhalten bei Orang-Utans beschränkt sich auf gemeinsames Umherziehen oder Ausruhen und gegenseitiges Tolerieren beim Fressen. Nur ab und zu teilen sie ihr Futter oder pflegen sich gegenseitig das Fell – ganz anders als die gemütlichen Großfamilien der Gorillas oder die lärmenden, streitenden, spielenden und liebenden Horden der Schimpansen.
Trotz ihres Eigenbrötlertums leben Orang-Utans in einem komplizierten Beziehungsgeflecht. Sie erkennen einander individuell, als Persönlichkeiten. Je nachdem, mit wem sie es zu tun haben, reagieren sie zutraulich, gleichgültig, ängstlich oder aggressiv. Eine Beziehung zwischen zwei Tieren kann ein Leben lang bestehen, auch wenn sie sich selten sehen. Galdikas beobachtete einmal die Begegnung einer Orang-Mutter mit ihrer Tochter, die nachweislich seit über zehn Jahren voneinander getrennt gelebt hatten: Die beiden Weibchen turnten aufeinander zu, umarmten sich und zogen vier Tage gemeinsam durch den Dschungel.
Nur wenn es Nahrung im Überfluß gibt, kommen Orang-Utans in großen Gruppen zusammen. Der Nachwuchs hat dann die Chance, mit Artgenossen zu spielen. Die Halbstarken messen ihre Kräfte in Balgereien und nehmen Kontakt zum anderen Geschlecht auf. Jugendliche und ältere Weibchen gesellen sich dabei lieber zu erwachsenen Männchen. Die jedoch sind ausschließlich an „reifen“ Weibchen interessiert. Avancen von jüngeren Affendamen wehren sie entschieden ab. Die Verschmähten rächen sich mitunter ziemlich rabiat, indem sie auf die lustlosen Männchen eindreschen oder sie in die Hoden zwicken.
Für Primatenforscherin Biruté Galdikas sind Orang-Utans inzwischen einfach unsere haarigen Vettern. „Beim Blick in die Augen eines Orang-Utans“, schreibt sie, „sehen wir ein Bild unserer eigenen Seele. Und manchmal, ganz flüchtig, aber mit erschütternder Intensität erkennen wir, daß es keine Trennlinie gibt zwischen uns und der Natur.“