Um ihre Küken aufzuziehen, sind Vögel darauf angewiesen, dass Insekten zu einer bestimmten Jahreszeit für ihre Nahrungsversorgung zur Verfügung stehen. Welche Folgen die durch den Klimawandel verschobenen Jahreszeiten für die Aktivität der Futterinsekten und im Speziellen der Wasserinsekten hat, haben Forscher nun untersucht. Es zeigte sich: Das Insekten-Buffet wird früher eröffnet, ist nicht mehr so vielfältig und nur noch halb so voll.
Zwei bis drei Wochen brauchen die Jungen von Kleinvögeln wie Zaunkönig oder Rauchschwalbe, bis sie groß und stark genug sind, um das Nest zu verlassen. Diese Zeitspanne entscheidet darüber, ob die Aufzucht gelingt und die Elternvögel ihre Gene erfolgreich weitergeben können. In diesem Zeitfenster müssen sie daher möglichst viel möglichst hochwertiges Futter für ihren Nachwuchs beschaffen können. Auf dem Speiseplan stehen dabei nicht nur Landinsekten wie Käfer, Bienen und Co., sondern auch Wasserinsekten wie Köcherfliegen oder Mücken. Doch schon länger ist bekannt, dass der Klimawandel die Aktivität der Insekten beeinflusst. Wie steht es nun um das Nahrungsangebot der Vögel?
Verfrühtes Insektenaufkommen verschiebt Speiseplan
Dieser Frage sind der Ornithologe Ryan Shipley vom schweizerischen Wasserforschungsinstitut Eawag und seine Kollegen nun nachgegangen. In ihrer Studie untersuchten sie, wie sich das Insektenvorkommen und die Brutzeit verschiedener Sing- und Zugvogelarten im Nordosten der USA über 25 Jahre verändert haben und welche Rolle der Klimawandel dabei spielt. In dieser Region haben US-Wissenschaftler von 1989 bis 2014 täglich Insekten gezählt, vermessen und kategorisiert. „Dieser Datensatz ist einmalig“, sagt Shipley. Für die Brutgewohnheiten und -erfolge verschiedener Vogelarten in der Region lagen ebenfalls langjährige Beobachtungsreihen vor. Shipley wählte für seine Untersuchung sieben Kleinvogelarten, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten brüten und ihrem Nachwuchs Insekten füttern.
Die Klimadaten der Untersuchungsregion zeigen, ähnlich wie bei uns, einen Anstieg der Temperaturen im Vorfrühling. Wie zu erwarten war, verschob sich mit der Vegetationsperiode auch die Insektenentwicklung nach vorn. Im Schnitt tauchten Wasserinsekten im Frühling rund eine Woche, Landinsekten fast zwei Wochen früher auf als noch in den 1990er Jahren. „Bei den Wasserinsekten zeigen die Daten zudem, dass sich der Zeitraum mit einem reichlichen Angebot verkürzt und in der Brutsaison nach vorn verschoben hat“, berichten Shipley und seine Kollegen. In der zweiten Hälfte der für die Vögel entscheidenden Brutsaison dominieren demnach die Landinsekten. Während Frühbrüter also noch genügend Wasserinsekten vorfinden, stehen Vogelarten, die erst ab Mitte Mai zu brüten beginnen, fast nur noch Landinsekten zur Auswahl.
Das Superfood der Vögel
Für die Vögel kann dies zum Problem werden, denn Futter ist nicht gleich Futter: Wasserinsekten sind hochwertiger als Landinsekten, sie sind sozusagen das Superfood vieler Vögel. So ist unter anderem ihr Gehalt an Omega-3-Fettsäuren um ein Vielfaches höher als der von Landinsekten. „Vogeljungen, die mehr dieser wertvollen Fette bekommen, wachsen eher schneller und können das Nest früher verlassen – ein Überlebensvorteil“, erklärt Shipley. Frühbrüter wie der Rotkehl-Hüttensänger profitieren von der Situation, weil sie zur Brutzeit mehr Wasserinsekten vorfinden. Doch die Zahl der später brütenden Sumpfschwalben, die nun aufgrund der vorverschobenen Jahreszeiten vermehrt mit Landinsekten Vorlieb nehmen müssen, ist stark zurückgegangen.
Man könnte erwarten, dass sich die Vögel an den neuen Zeitplan der Insekten anpassen und früher mit dem Brüten beginnen. „Das passiert tatsächlich. Allerdings nicht im gleichen Maße, wie sich das Insektenaufkommen verfrüht hat“, sagt Shipley. Die Brutzeit der untersuchten Vogelarten habe sich in den 25 Jahren nur um drei bis sieben Tage nach vorn verschoben.
Timing und Qualität des Buffets sind entscheidend
Was das Forschungsteam überrascht hat: Anders als in vielen Regionen der USA und Europa ist die Gesamtzahl an Insekten im Untersuchungsgebiet von 1989 bis 2014 stabil geblieben. Sie sehen eine mögliche Erklärung darin, dass in dieser Gegend vergleichsweise wenig intensive Landnutzung durch den Menschen stattfindet und daher die Lebensräume noch relativ intakt sind. Trotz stabiler Insektenbiomasse hat sich die Situation für manche Vogelarten jedoch verschlechtert. , Das zeige, wie entscheidend das Timing und insbesondere die Qualität des Nahrungsangebots während der Brutzeit seien. „In anderen Regionen, die stark von Insektensterben betroffen sind, würde eine Verschiebung und Veränderung des Nahrungsangebots die Vögel sogar noch stärker unter Druck setzen“, erklären Shipley und seine Kollegen.
Quelle: Eawag – Swiss Federal Institute of Aquatic Science and Technology; Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2022.01.057