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Können Fische antizipieren?

Verhaltensforschung

Können Fische antizipieren?
Guppys passen ihr Verhalten in interessanter Weise an das eines Roboterfisches (rechts) an. © David BIerbach

Erwartungshaltung beim Schwimmen in der Gruppe: Ähnlich wie Sportler die Bewegungen von Mitspielern vorausahnen und sich darauf einstellen, können offenbar auch Fische das Verhalten von Gruppenmitgliedern antizipieren, legen die Ergebnisse einer experimentellen Studie nahe. Guppys können demnach das typische Bewegungsmuster eines künstlich gesteuerten Roboterfisches in ihrer Gruppe erlernen und dann dessen Ziel und Bewegungsweise vorhersehen sowie sich daran anpassen. Die Fähigkeit zur Antizipation könnte dazu beitragen, dass sich manche Fischarten in Gruppen oder Schwärmen so erstaunlich schnell koordinieren können, sagen die Wissenschaftler.

Der Mensch ist besonders talentiert im „Hellsehen“: Auf der Grundlage von Erfahrungen wissen wir, was auf bestimmte Anzeichen mit hoher Wahrscheinlichkeit folgen wird. Wenn dies der Vorbereitung auf das zu Erwartende dient, spricht man von Antizipation. Vor allem im Umgang mit unseren Mitmenschen besitzt diese Fähigkeit eine wichtige Bedeutung: Es gilt als Teil der sozialen Kompetenz, dass wir uns durch vorausschauende Anpassungen des eigenen Verhaltens auf andere Menschen einstellen können. Unter anderem kann die Vorahnung dabei auch unsere Reaktionsgeschwindigkeit beim tatsächlichen Eintreten einer Verhaltensweise anderer stark erhöhen.

„Die grundlegende Fähigkeit zur Antizipation ist dem Menschen angeboren, sie kann aber auch durch Training und Übung verbessert werden“, sagt Erstautor David Bierbach vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. Dies wird bei der Antizipation im Sport deutlich: „Aus Studien weiß man, dass Profis im Ballsport verschiedene Anzeichen wie die Körperhaltungen oder Bewegungen ihrer Mitspielenden besonders gut zur Vorhersage dessen nutzen können, was gleich passieren wird“, so der Wissenschaftler.

Experimente mit einem Fischroboter

Aus Studien geht bereits hervor, dass auch einige Tierarten zur Antizipation in sozialen Kontexten fähig sind. Inwieweit aber auch Fische die Handlungen ihrer Interaktionspartner vorhersehen und sich darauf einstellen können, ist bisher unklar. Interessant ist diese Frage dabei vor allem vor dem Hintergrund des oft stark ausgeprägten Synchronisationsverhaltens zwischen Fischen in Gruppen oder Schwärmen. „Fischschwärme bewegen sich oft sehr schnell und wir kennen bereits einige Aspekte, die das beeinflussen. Bisher ist allerdings unklar, ob die Antizipation ein Teil dieses komplexen Prozesses ist“, sagt Bierbach.

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Um Licht auf diese Frage zu werfen, haben er und seine Kollegen nun Versuche mit Guppys durchgeführt. Diese bekannten Aquarienbewohner sind zwar keine ausgeprägten Schwarmfische, orientieren sich aber durchaus an den Bewegungen der Mitglieder ihrer sozialen Gruppe. Im Rahmen der Studie haben die Forscher untersucht, ob die Fische die Bewegungen ihrer Nachbarn antizipieren, um die Reaktionszeit bei Richtungsänderungen der Sozialpartner zu minimieren. Dabei kam ein Roboter-Guppy zum Einsatz, der sich durchs Aquarium steuern lässt und dabei Bewegungen vollführt, die denen der natürlichen Vorbilder entsprechen. In Vorversuchen hatte sich gezeigt, dass die Fische auf den Roboter wie auf einen Artgenossen ihrer Gemeinschaft reagieren.

Vorausschauendes Verhalten zeichnet sich ab

Für die Versuche ließen die Wissenschaftler den künstlichen Guppy wiederholt eine gleiche Zickzackroute im Versuchsbecken schwimmen, die immer in der gleichen Ecke des Aquariums endete. Dabei besaßen die realen Fische die Möglichkeit, sowohl die Lage des Endziels als auch die spezifischen Drehungen des künstlichen Artgenossen zu erlernen. Bei den Aktionen des Roboter-Guppys erfassten die Wissenschaftler dann detailliert die Reaktionen der Fische im Wasserbecken.

Wie die Forscher berichtet, spiegelte sich in den Auswertungen aufeinanderfolgender Versuchsdurchläufe eine deutliche Tendenz im Bewegungsverhalten der Fische wider: Sie orientierten sich an dem Verhalten des Roboters und folgten ihm in die Ecke des Beckens. Dabei zeichnete sich ihnen zufolge schließlich auch ein Antizipations-Verhalten ab: Wenn der Roboter begann, seine bekannte Zickzackroute einzuschlagen, folgten die Fische nicht mehr nur: Schon im dritten Versuchsdurchgang fand sich mehr als die Hälfte aller Fische früher als der Roboterfisch in seiner Zielecke ein. Auch auf dem Weg dorthin zeigten die Fische beim Folgen des Roboters ein Antizipations-Verhalten, berichtet das Team: Sie änderten ihr Drehverhalten als Reaktion auf den Roboter im Laufe der Versuche. Anfangs drehten sich die Tiere noch kurz nach der entsprechenden Bewegung des Roboters – im letzten Versuch änderten sie dann die Richtung hingegen schon leicht vor ihm.

„Aus den Ergebnissen geht hervor, dass Fische in der Lage sind, das Verhalten von Sozialpartnern zu antizipieren und durch Training sogar besser darin zu werden. Dies könnte eine weitere Erklärung dafür sein, warum Fische im Schwarm – die sich untereinander gut kennen – zu extrem schnellen kollektiven Bewegungen fähig sind,“ sagt Bierbach. Die Studienergebnisse tragen damit erneut zum Wissen über die oft unterschätzen kognitiven Fähigkeiten von Fischen bei. Außerdem könnten derartige Forschungsarbeiten eine technische Bedeutung besitzen, betont das IGB abschließend: „Experimente wie diese können wichtig sein, um Muster von biologischer Intelligenz zu verstehen und smarte Technologien zu entwickeln“.

Quelle: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Fachartikel: Bioinspiration & Biomimetics lesen, doi: 10.1088/1748-3190/ac8e3e

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