Eigentlich sollten die Masern bis zum Jahr 2015 so gut wie ausgerottet sein – das jedenfalls war das Ziel der Weltgesundheitsorganisation WHO. Da es seit den 1970er Jahren eine gut funktionierende Schutzimpfung gegen die Krankheit gibt, standen die Chancen auch nicht schlecht. Doch die Impfung ist in vielen Ländern freiwillig – und inzwischen nutzen immer weniger Eltern diese Möglichkeit, ihre Kinder zu schützen. Erst 2013 hatten Mediziner vor gravierenden Impflücken in Deutschland gewarnt. Nur 37 Prozent aller Kleinkinder werden demnach rechtzeitig und zweifach gegen die Masern geimpft. Besonders gering sind die Impfraten dabei in Großstädten wie Berlin, aber auch in ganz Bayern. Das ist kein Zufall, sagen Mediziner. Denn vor allem gut situierte und gebildete Mütter verweigern häufig die Impfung, meist aus Angst vor Nebenwirkungen. Auch in anthroposophischen Kreisen ist die Zahl der Impfverweigerer besonders hoch. Häufig gibt es daher bei Ausbrüchen besonders viele Fälle in Waldorfschulen.
Masern sind keine Lappalie
Die oft fälschlich als harmlose Kinderkrankheit angesehene Virusinfektion kann jedoch schwerwiegende Folgen haben, es kann zu Komplikationen kommen, die geistige Behinderung und sogar den Tod verursachen. Auch in Berlin musste bisher jeder vierte Erkrankte wegen eines schweren Verlaufs im Krankenhaus behandelt werden. “Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit und hochansteckend”, warnt auch die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit für Soziales. “Fast jeder Kontakt von ungeschützten Personen mit einem Erkrankten führt zu einer Ansteckung.” Mediziner kritisieren daher den verharmlosenden Umgang mit der Krankheit, durch den manche Eltern sogar absichtlich eine Infektion ihrer Kinder riskieren. Ein weiteres Problem: Verweigern viele in einer Bevölkerung die Impfung, dann sind auch diejenigen stärker gefährdet, die wegen ihre Gesundheitszustands oder zu jungen Alters nicht geimpft werden können – Impfmuffel schaden damit auch andern.
Quittung für die Impfmüdigkeit
Der aktuelle Masern-Ausbruch in Berlin ist gewissermaßen eine Quittung für die Impfmüdigkeit: Nach Angaben der Behörden waren fast 90 Prozent der Erkrankten nicht gegen Masern geimpft. Am stärksten betroffen sind zudem Erwachsene zwischen 30 und 40 Jahren, wie das Robert-Koch-Institut mitteilte. In dieser Altersgruppe hat nach Schätzungen der Experten weniger als die Hälfte einen kompletten Impfschutz gegen die Masern. Durch den mangelnden Impfschutz konnte sich das Masernvirus daher relativ schnell ausbreiten. Begonnen hat die Masern-Epidemie wahrscheinlich durch eingeschleppte Viren – die ersten Berliner Fälle traten bei Asylbewerbern auf, die aus Bosnien und Herzegowina gekommen sind. In diesen Ländern grassiert schon seit rund einem Jahr eine Masern-Epidemie, weil dort durch den Bürgerkrieg in den 1990er Jahren ganze Jahrgänge nicht geimpft wurden. Doch schon wenige Wochen nach den ersten Fällen treten fast zwei Drittel der Neuerkrankungen in der Berliner Bevölkerung auf.
“Der Berliner Ausbruch ist ein herber Rückschlag. Insgesamt ist der Impfstatus in der Bevölkerung zu gering”, erklärte Anette Siedler, Leiterin des Fachbereichs Impfprävention am RKI. Die Berliner Gesundheitsbehörden rufen die Bevölkerung dazu auf, sich impfen zu lassen. Vor allem die nach 1970 Geborenen sollten ihrem Impfschutz überprüfen und sich im Zweifelsfall nachimpfen lassen. Der aktuelle Ausbruch und der Maserntod des Kleinkinds am 18. Februar haben unter Politikern Diskussionen darüber ausgelöst, ob eine Impfpflicht gegen die Masern eingeführt werden soll. Der Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja forderte eine Impfpflicht, auch der SPD-Politiker Karl Lauterbach sprach sich dafür aus: Wenn die Impfbereitschaft nicht steige, müsse eine Impfpflicht für Kleinkinder der nächste Schritt sein. Politiker der Grünen und Linken halten dagegen einen Impfzwang für wenig förderlich und ohnehin nicht durchsetzbar. Sie fordern stattdessen eine verstärkte Aufklärung.