Die Analyse eines alpinen Eisbohrkerns hat gezeigt: Im letzten Jahrhundert hat sich der Gehalt an Jod in der Atmosphäre verdreifacht. Wie die Forscher erklären, liegt dies an der erhöhten Konzentration von Ozon in der unteren Atmosphäre, die auf den Menschen zurückzuführen ist. Das Gas mobilisiert demnach das Jod aus den Ozeanen und bringt es in die Luft. Dort kann es dann erneut mit dem Luftschadstoff reagieren – dabei handelt sich um einen günstigen Effekt, erklären die Forscher: Durch den Prozess verringert sich die Belastung durch bodennahes Ozon.
Beim Thema Jod kommt vielen Menschen sicherlich zunächst die Rolle dieses Elements für die menschliche Gesundheit in den Sinn: Es ist für die Produktion des Schilddrüsenhormons verantwortlich – bei Jodmangel treten Störungen auf. Deshalb ist eine ausreichende Versorgung wichtig. Ein Faktor dabei ist der Gehalt der Atmosphäre an Jod und die entsprechenden Niederschläge. Es ist in diesem Zusammenhang bereits bekannt, dass das Element aus den Ozeanen mobilisiert und so zu einem Spurenelement der unteren Atmosphäre wird. Die Studie der Forscher um Lucy Carpenter von der University of York wirft nun Licht auf die Rolle dieses Luftbestandteils. “Die Bedeutung von Jod in der Atmosphäre und für die Luftverschmutzung wurde erst vor kurzem erkannt, und bisher gab es keine Langzeit-Daten über die Entwicklung der atmosphärischen Gehalte“, sagt Carpenter.
Dem atmosphärischen Jod auf der Spur
Sie und ihre Kollegen haben dies nun durch die Analyse eines Bohrkerns aus einer Eislagerstätte der Alpen geändert. Es handelt sich gleichsam um ein Archiv zur Entwicklung der Zusammensetzung der Luft: Auf dem Eis setzte sich fortlaufend Jod aus der Luft ab und bildet gemeinsam mit anderen Ablagerungen Baumring-artige Strukturen, die sich zeitlich zuordnen lassen. Die Analysen der Forscher dokumentierten nun erstmals: Während die Gehalte lange weitgehend stabil waren, begannen vor allem seit den 1950er Jahren die Jodwerte in der europäischen Luft deutlich zu steigen: Die Konzentrationen haben sich seither verdreifacht.
Wie die Forscher erklären, liegt dies letztlich an den Stickoxidemissionen von Fahrzeugen und Kraftwerken. Diese Abgase führen zur Bildung von Ozon in der unteren Atmosphäre – und dieses Gas ist wiederum für die Mobilisierung des Jods verantwortlich: Es kommt zu chemischen Reaktionen mit dem Meerwasser, wobei Jod in die Atmosphäre gelangt. Durch Lichteinwirkung kann es dort seine Reaktionsfähigkeit gegenüber Ozon wiedergewinnen und dadurch den Luftschadstoff weiter abbauen, erklären die Wissenschaftler.
Günstiger Rückkopplungs-Effekt
Somit handelt es sich in diesem Fall einmal um einen günstigen Rückkopplungs-Effekt: Je mehr Ozon der Mensch produziert, desto mehr Jod wird aus dem Ozean freigesetzt, was dazu beitragen kann, die Konzentrationen des Ozons in der unteren Atmosphäre in Schach zu halten. Das ist wichtig, denn im Gegensatz zum schützenden Ozon in der Hochatmosphäre ist bodennahes Ozon in doppelter Hinsicht problematisch: Es handelt sich um ein Treibhausgas und belastet die menschliche Gesundheit. Carpenter und ihre Kollegen betonen allerdings, dass der günstige Effekt das Problem nur eindämmen kann – das Jod kann nicht das ganze vom Menschen verursachte Ozon beseitigen.
Den Forschern zufolge liefern ihre Ergebnisse nun allerdings Daten, mit denen man rechnen kann: “Wir können jetzt darüber nachdenken, wie wir unser Wissen über die Jodchemie in die Klima- und Luftqualitätsmodelle einbeziehen, um besser vorhersagen zu können, wie die Zukunft unserer Atmosphäre weltweit aussehen wird”, resümiert Co-Autor Tomás Sherwen von der University of York.