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Mit der Genschere an „Ameisen-Nasen“ geschnippelt

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

Mit der Genschere an „Ameisen-Nasen“ geschnippelt
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Markierungen erleichtern die Beobachtung einzelner Ameisen. (Foto: Daniel Kronauer, The Rockefeller University)
Wie steuern Gene das Sozialverhalten bei Ameisen? Um dieser Frage nachzugehen, nutzen Forscher nun die Genschere Crispr/Cas9: Zwei Forscherteams ist es gelungen, mit dieser revolutionären Gen-Editing-Technologie eine genetische Grundlage des Geruchssinns von Ameisen bei allen Mitgliedern von Versuchsvölkern auszuschalten. Dadurch wurde der Effekt der Erbanlage auf das komplexe Sozialverhalten der Insekten deutlich.

Seit einiger Zeit sorgt das neue „Super-Werkzeug“ der Gentechnik immer wieder für Wirbel: Mit der Genschere Crispr/Cas9 sind Eingriffe in das Erbgut vergleichsweise einfach und zielgenau möglich. Das von der Natur abgeschaute System findet jede gewünschte Stelle im Erbgut und ermöglicht dort Manipulationen. Mit dem Crispr/Cas9 Verfahren lassen sich dadurch Genstücke einfügen, problematische Mutationen korrigieren und auch bestimmte DNA Sequenzen wegschneiden.

Vor allem für die medizinische Forschung steckt in Crispr/Cas9 enormes Potenzial, beispielsweise zur Beseitigung von Gendefekten. Doch auch in der Grundlagenforschung ist das Werkzeug nun im Einsatz: Es hat die Möglichkeiten revolutioniert, die Funktion von bestimmten Genen zu untersuchen. Vereinfacht ausgedrückt schneiden Forscher dazu mit Crispr/Cas9 ein bestimmtes Gen aus und untersuchen dann, welchen Effekt dieser genetische Verlust auf einen Organismus hat.

Spezielle Ameisenarten machen es möglich

Genau dieses System haben sich nun zwei Forscherteams zu Nutze gemacht, die den genetischen Grundlagen des komplexen Sozialverhaltens von Ameisen auf der Spur sind. Die Gruppe um Daniel Kronauer von der Rockefeller University in New York verwendete für ihre Crispr/Cas9-Eperimente die ungewöhnliche Ameisenart Ooceraea biroi. Bei dieser Spezies gibt es keine Königinnen, die auf sexuellem Wege für die Eiproduktion sorgen. Die Insekten vermehren sich stattdessen durch unbefruchtete Eier, die sich zu Klonen entwickeln. Bei diesem als Parthogenese bekannten Konzept entstehen Ameisenvölker, bei denen die Individuen genetisch identisch sind. „Das bedeutet, dass wir mit Hilfe von Crispr/Cas9 einzelne Eier modifizieren können, um dann eine Kolonie aufzubauen, welche komplett die Genmutation besitzt, die wir studieren wollen“, erklärt Kronauer.

Das zweite Team um Claude Desplan von der New York University nutzte hingegen die Ameisenart Harpegnathos saltator für ihre Crispr/Cas9-Experimente. Auch sie bietet eine spezielle Möglichkeit zur Manipulation ganzer Völker: Wenn die Königin bei dieser Spezies stirbt, können sich junge Arbeiter-Ameisen zu „Pseudo-Königinnen“ entwickeln. Wenn man diese genetisch verändert, geben sie die Manipulation an ihre Nachkommen weiter und so entsteht ebenfalls ein komplett genetisch verändertes Ameisenvolk.

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Wie verhalten sich geruchsblinde Ameisen?

Bie ihren aktuellen Untersuchungen hatten beide Forschergruppen nun zunächst das gleiche Gen im Visier: Die Erbanlage für den sogenannten Odorantrezeptor-Corezeptor (Orco). Das Gen ermöglicht letztlich die Ausbildung der insgesamt 350 Geruchs-Rezeptoren der Ameisen. Mittels Crispr/Cas9 und ihren speziellen Versuchstieren, gelang es beiden Forscherteams dieses Gen bei allen Individuen ihrer Versuchsvölker auszuschalten. Letztlich wurden die Ameisen dadurch geruchsblind. Auf diese Weise konnten die Forscher detailliert untersuchen, welche Bedeutung der Geruchssinn beziehungsweise die Wahrnehmung von Pheromonen bei den Insekten besitzt.

Es zeigte sich: Die Ameisen mit dem beschnittenen Geruchssystem verloren ihre sozialen Fähigkeiten und konnten nicht mehr mit Nestgenossen kommunizieren. Auch den Ameisenstraßen, die auf der Wirkung von Pheromonen basieren, konnten sie nicht mehr folgen und wanderten ziellos umher. Außerdem hatte das Ausschalten des Orco-Gens einen Effekt auf die Hirnanatomie beider Ameisenarten, berichten die Forscher. Ähnlich wie Menschen spezialisierte Hirnregionen für Funktionen wie Sprache und Gesichtserkennung haben, besitzen Ameisen Hirnzentren, die für die Wahrnehmung und Verarbeitung von Gerüchen verantwortlich sind. Genau diese Bereiche fehlten bei den Versuchstieren weitgehend, stellten die Forscher fest. Was zu diesem Effekt führt, wollen sie nun weiter untersuchen.

„Unsere Studien sind ein Beweis für die Machbarkeit von genetischen Studien an Ameisen“, resümiert Kronauer. „Jetzt können wir jedes Gen experimentell ausschalten, von dem wir denken, dass es das soziale Verhalten beeinflusst und dann die Auswirkungen beobachten“, freut sich der Wissenschaftler. Shelley Berger, eine Wissenschaftlerin der Gruppe um Desplan betont, dass diese Forschung nicht etwa nur für das Verständnis von Ameisenverhalten interessant ist, sondern auch für die Grundlagen von Effekten beim Menschen: „Besseres Verständnis, wie Verhalten entsteht, könnte Einblicke in Störungen ermöglichen, bei denen Veränderungen in der sozialen Kommunikation ein Markenzeichen sind, wie etwa Schizophrenie oder Depression“, so Berger.

Quelle:

© wissenschaft.de – Martin Vieweg
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