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Morgens um vier klopfte der Mond

Erde|Umwelt

Morgens um vier klopfte der Mond
Erdbeben sind in Kalifornien eine ständige Bedrohung. Wie man damit lebt und was sich dagegen tun lässt, erläutert Dr. Peggy Hellweg vom Berkeley Seismological Laboratory – wissenschaftliche Reiseleiterin der bdw-Leserreise im Juni.

bild der wissenschaft: Sie leben in einer erdbebengefährdeten Region. Wann in Ihrem Leben haben Sie zum ersten Mal selbst ein Beben gespürt, Frau Dr. Hellweg?

Hellweg: Beim Spielen! Plötzlich klapperte es in einem Regal, in dem sich mein Spielzeug befand, und ich dachte spontan: Das ist ein Erdbeben. Da war ich vier oder fünf.

bdw: Und welches selbst erlebte Beben nötigte Ihnen den größten Respekt vor der Natur ab?

Hellweg: Das Loma-Prieta-Beben am 17. Oktober 1989. Mein Sohn hatte gerade einen Bericht für seine Schule am Apple fertig. Ich saß hinter ihm, las die Arbeit Korrektur und wir verbesserten sie gemeinsam. Dann wackelte alles. Wir sind raus gerannt. Als wir zurückkamen, hatte der Computer alle Verbesserungen vergessen. Das Beben, das ich am intensivsten gespürt habe, erlebte ich 1992 morgens um vier: Da klopfte an unserem Fenster plötzlich der Mond an. Die Oberflächenwellen eines Bebens, dessen Herd mehr als 400 Kilometer weit entfernt war, brachten einen kleinen Mond ins Schaukeln, den wir im Fenster aufgehängt hatten.

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bdw: Kommt da Angst auf? Oder finden Sie als Erdbeben-Expertin das eher aufregend?

Hellweg: Und ehrlich zu sein: Bisher habe ich mich an den Beben, die ich selbst wahrgenommen habe, meist erfreut.

bdw: Wie häufig spüren Sie Erdbeben?

Hellweg: Zwischen keinem und einem halben Dutzend pro Jahr. In den vergangenen zwölf Monaten waren es wohl an die sieben.

bdw: Wie stark müssen Erdbeben sein, um vom Menschen wahrgenommen zu werden?

Hellweg: Wenn es ruhig ist, kann man Beben ab einer Magnitude von 2,5 wahrnehmen. Die Magnitude ist ein logarithmisches Maß für die Größe eines Bebens. Wenn die Magnitude sich um eine Einheit erhöht, verzehnfacht sich die gemessene Größe. Seit der Einführung der Richterskala in den Dreißigerjahre, ist die „ gemessene Größe“ für Erdbeben die Amplitude der gemessenen Wellen in einer bestimmten Entfernung. Das sogenannte Standardbeben mit Magnitude 3 bedeutet ein Seismogramm mit einer Maximalamplitude von einem Zentimeter in einer Entfernung von hundert Kilometern. Wollte man auf dem gleichen Papier eine Magnitude 5 registrieren, müsste es einen Meter breit sein, bei Magnitude 8 gar einen Kilometer! Das Schlimme für die betroffene Bevölkerung ist, dass die Energie, die bei einem Beben frei wird, bei jeder Magnituden-Einheit um das 30-Fache steigt. Übrigens: Man kann die kleinen Beben sogar hören.

bdw: Wie bitte?

Hellweg: Es brummt. Das hängt mit den gestreuten Druckwellen (P-Wellen) zusammen. Ein plötzliches Geräusch geht in ein kleines Rauschen über. Das hört sich an wie ein Lastwagen, der auf einen zufährt.

bdw: Dem Menschen überlegen sind Seismometer. Wie viele Beben registrieren die pro Jahr in Kalifornien?

Hellweg: In Nordkalifornien lokalisieren unsere Computer zwischen 40 und 60 Erdbeben pro Tag, in Südkalifornien zwischen 50 und 80.

bdw: Woher kommt dieser Unterschied? Prinzipiell ist doch die Ursache in beiden Landesteilen dieselbe: Die Pazifische und die Nordamerikanische Platte schrammen aneinander.

Hellweg: Im Norden laufen die meisten Verwerfungen an der Küste entlang – parallel zur San-Andreas-Verwerfung. Ab Carizo Plains, wo wir die Grenze zwischen Nord- und Südkalifornien ziehen, biegt die San-Andreas-Verwerfung nach Osten ab. Das ist so, wie wenn man ein Stück Holz biegt: Es fängt an zu brechen – und das nicht nur an einer Stelle, sondern an vielen. Im Ergebnis führt das zu einer höheren Zahl von Bebenherden – und übrigens auch zu den Bergen, die sich zwischen Los Angeles und dem nördlichen Kalifornien auftürmen.

bdw: Welche Position nimmt Kalifornien als Erdbebenland ein?

Hellweg: Was die stärksten Beben angeht, hat Kalifornien in den Vereinigten Staaten unter den Top 10 keines aufzuweisen. Alaska ist da führend. In Erinnerung ist mir etwa das Karfreitags-Beben von 1964. Die stärksten Beben in den 48 zusammenhängenden US-Staaten hat man 1811 und 1812 in Missouri gespürt. Das San-Francisco-Beben von 1906 rangiert erst auf dem 18. Platz.

bdw: Welche Gebiete der Erde sind die bebenaktivsten Zonen?

Hellweg: Auf jeden Fall Japan und Taiwan, aber auch die Philippinen, Indonesien sowie die Westküste von Südamerika. Man muss zwischen Bebenhäufigkeit und Gefahr unterscheiden. Die Gefahr ist in Alaska relativ gering …

bdw: … weil es fast menschenleer ist …

Hellweg: … und in Japan groß, auf den Philippinen oder Indonesien aber noch größer. Denn dort wohnen viele Menschen – und das in schlecht gebauten Unterkünften.

bdw: Wo steht die Erdbebenvorhersage heute?

Hellweg: Das skizziert am Besten der Flop bei der kalifornischen Kleinstadt Parkfield. Hier gab es die Vorhersage, dass ein Beben 1988 eintritt, mit einer Spannbreite von plus minus 5 Jahren. Eingetreten ist es allerdings erst 2004. Alle Vorhersagen kranken am gleichen Problem: Sie sind nicht allgemein anwendbar. Beobachtungen vor dem einem Beben registriert man beim nächsten Beben nicht mehr, dafür gibt es dort andere Phänomene.

bdw: Einige Wissenschaftler wollen durch Veränderungen der bodennahen Lufttemperatur oder durch elektromagnetische Messungen in der Ionosphäre bevorstehende Erdbeben erkennen.

Hellweg: I believe it when I see it! Selbst im gut untersuchten Kalifornien reichen unsere zuverlässigen geophysikalischen Daten nur etwa 40 Jahre zurück. Die Vorgänge, die zu Erdbeben führen, brauchen aber Hunderte, ja vielleicht Tausende von Jahren. Wir müssten solche Zyklen durchregistrieren, wenn wir Erdbeben zuverlässig vorhersagen wollen. Vielleicht schaffen wir das ja in 300 Jahren …

bdw: In unserer Generation wird es also nichts mehr mit einer zuverlässigen Erdbebenvorhersage?

Hellweg: Genau.

bdw: Wenn man die Katastrophen schon nicht im Vorfeld erkennen kann, so gibt es doch sicher Evakuierungspläne für den Notfall?

Hellweg: Öffentliche Evakuierungsübungen gibt es in Kalifornien nicht. Zwar machen sich Katastrophenmanager Gedanken über ihren Einsatz. Doch die Öffentlichkeit handelt unbesorgt nach dem Motto: Oh, ich müsste etwas machen. Aber aus dem Gedanken werden keine Taten.

bdw: Sind dann wenigstens die Gebäude bebensicher gebaut?

Hellweg: Wenn sich ein Beben der Magnitude 7 genau unter einem Gebäude entlädt, weiß ich nicht, ob das die Menschen darin überleben. Aber das ist ja unwahrscheinlich, in der Regel wird der Bebenherd woanders liegen. Die meisten neueren Gebäude werden dann nicht einstürzen. Das heißt: Nur wenige Menschen werden zu Schaden kommen. Das heißt aber nicht, dass die Gebäude weiter genutzt werden können. Die Leute werden heil herauskommen, aber die Bauten werden wohl abgerissen werden müssen. Krankenhäuser, Feuerwachen und ähnlich strategisch wichtige Gebäude haben einen höheren baulichen Standard, weil man auf deren Funktionieren gerade bei einer Katastrophe besonders angewiesen ist.

bdw: Was machen die Mitarbeiter am Berkeley Seismological Laboratory?

Hellweg: Die Hälfte forscht an den drei klassischen Seismologiethemen Quelle, Medium, Effekte. Einige untersuchen, wie ein Erdbebenbruch vor sich geht. Andere studieren die Struktur der Erde – also den Aufbau des Erdinnern. Eine weitere Gruppe beschäftigt sich damit, wie Erdbebenwellen die Infrastruktur – Gebäude, Brücken, Staudämme – beeinflussen. Die andere Hälfte der Mitarbeiter beaufsichtigt das Seismometer-Netz, charakterisiert Erdbeben oder beschäftigt sich mit der Datenbereitstellung für unsere Wissenschaftler.

bdw: Im Internet bieten Sie unter „seismo.berkeley.edu“ gut aufbereitete Karten und Daten an über aktuelle Erdbeben in Kalifornien und auch in der ganzen Welt. Wie entstehen diese Karten?

Hellweg: Sehr automatisiert. Wir haben viele Stationen. Die Daten kommen über Funk oder Telefon zu uns und sind zwei Sekunden nach einem Ereignis in Kalifornien in unseren Rechnern. Doch erst, wenn uns mehrere Stationen ein Ereignis liefern, wird ein registriertes Erdbeben daraus. Für die Bay Area schaffen wir das in weniger als zehn Sekunden. Die Bestimmung der exakten Magnitude dauert etwas länger, da wir weitere Bebenwellen auswerten müssen.

bdw: Und was ist Ihre Aufgabe, Frau Hellweg?

Hellweg: Sehr viel Zeit verbringe ich leider mit der Organisation, damit alles läuft. Wissenschaftlich beschäftige ich mich damit, wie der Bruch der Erdkruste genau vonstattengeht: eben nicht glatt, sondern – wie schon geschildert – eher wie bei einem Stück Holz. An verschiedenen Punkten herrschen auf der Bruchfläche unterschiedliche Spannungen.

bdw: Darüber hinaus engagieren Sie sich öffentlichkeitswirksam.

Hellweg: Das mache ich aus zwei Gründen. Einmal müssen wir hier in Kalifornien mit Erdbeben leben und deshalb sollten unsere Einwohner in wesentlichen Zügen wissen, was dabei vor sich geht. Der zweite Grund ist: Meine wissenschaftliche Arbeit macht mir Spaß, und diesen Spaß versuche ich weiterzugeben. Menschen prägen sich die Vorgänge um Erdbeben oder Vulkane dadurch viel besser ein und lernen weit mehr.

bdw: Menschen haben Phobien – vor Spinnen, Schlangen oder vor stecken bleibenden Aufzügen. Leiden in Kalifornien viele an einer Bebenphobie?

Hellweg: Dass Menschen ständig Angst haben, stelle ich nur selten fest. Andererseits löst ein Beben bei den meisten einen Fluchtreflex aus. Im März 2007 wurde ich selber etwas nervös – als ich länger durchgeschüttelt wurde als üblich. Dabei dauerte auch dieses Beben nicht wirklich lange, sondern nur etwa zwei Sekunden.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■

Ohne Titel

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Auf der Spur von Vulkanen und Erdbeben

Vom 7. bis zum 26. Juni 2008 spüren bdw-Leser die inneren Kräfte der Erde an den Orten des Geschehens. In der ersten Woche bereisen sie Island – die am schnellsten wachsende Insel der Erde. Dort erfahren sie hautnah, was es heißt, auf dem Mittelozeanischen Rücken zu leben. In einem speziell für bdw gecharterten Schiff wird die Vulkaninsel Surtsey umrundet. Später geht es in den Westen der USA. Dort führt der Weg entlang der berühmten San-Andreas-Verwerfung nach Norden. Ein weiteres Highlight wartet am Schluss auf die Expeditionsteilnehmer: Sie machen sich auf zu den Vulkanen Mount St. Helens und Mount Rainier.

Dr. Peggy Hellweg vom Berkeley Seismological Laboratory ist wissenschaftliche Reiseleiterin in den USA.

Dr. Wolfgang Brüstle, Leiter des Landeserdbebendienstes Baden-Württemberg, ist wissenschaftlicher Reiseleiter in Island und den USA.

Trotz der Schwerpunkte Geologie und Geophysik haben die Reiseteilnehmer Zeit, die Städte Reykjavik, Los Angeles, San Francisco und Seattle kennen zu lernen. Den genauen Verlauf der Reise sowie unsere exquisiten Sonderleistungen – Reisepreis pro Person: 8900 Euro im Doppelzimmer – entnehmen Sie dem Faltblatt „ Unruhige Erde“. Sie können es anfordern bei:

Wolfgang Hess

bild der wissenschaft

Ernst-Mey-Straße 8

70771 Leinfelden-Echterdingen

Tel: 0711/7594—301

E-Mail: wissenschaft@konradin.de

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