Unter anderem deshalb ist es nahezu unmöglich, lebende Tiere, wie beispielsweise Insektenlarven oder kleinere Würmer, im Rasterelektronenmikroskop (REM) zu beobachten. Denn im Vakuum der Probenkammer schrumpeln sie sofort zusammen. Will man ihre Oberflächenstrukturen hochaufgelöst im REM untersuchen, müssen sie daher zuvor getötet und aufwendig präpariert werden. Diese Vorbehandlung hinterlässt jedoch häufig unerwünschte Artefakte und macht zuverlässig jeden Versuch zunichte, molekulare oder strukturelle Veränderungen, beispielsweise der Körperoberfläche solcher Tiere, in Echtzeit zu studieren. „Wenn man eine Beobachtung lebender Tiere im REM möglich machen könnte, wäre das ein echter Meilenstein“, konstatieren Takaku und seine Kollegen.
Vom Hochvakuum völlig unbeeindruckt
Fast schon durch Zufall stießen die Forscher nun tatsächlich auf eine solche Möglichkeit. Das Vorbild dazu lieferte ihnen die Natur. Im Rahmen ihres Experiments hatten sie verschiedene Insektenlarven ohne Vorbehandlung in die Probenkammer eines Rasterelektronenmikroskops gesetzt und beobachtet. Der Druck in der Kammer lag bei nur noch rund einem Millionstel Pascal – und damit im Hochvakuum-Bereich. Die meisten Larven schrumpelten wie erwartet sofort zusammen. Umso größer war das Erstaunen der Forscher, als lebende Taufliegenlarven diese 30-minütige Exposition völlig unbeeindruckt über sich ergehen ließen. Sie bewegten sich weiter und entwickelten sich anschließend zu völlig normalen Fliegen.
Nähere Beobachtungen enthüllten eine nur 50 bis 100 Nanometer dünne, faltige Schicht auf der Körperoberfläche der Larven, die sie zu schützen schien. Diese Hülle entstand aber nur dann, wenn die Taufliegenlarven gleichzeitig mit dem Vakuum auch dem Elektronenstrahl des Mikroskops ausgesetzt waren. Setzten die Forscher sie in eine Vakuumkammer ohne diese Strahlung, starben die Larven genauso schnell wie alle anderen. Takaku und seine Kollegen vermuteten daher, dass die Strahlung chemische Prozesse auf der Hautoberfläche der Larven auslöste, die ein haltbares, gegen Vakuum stabiles Polymer erzeugen.
Untersuchungen bestätigten, dass sowohl Elektronen- als auch Plasmabestrahlung tatsächlich bestimmte Moleküle auf der Haut der Taufliegenlarven dazu bringt, eine Polymerschicht zu bilden – einen „Nano-Anzug“, wie ihn die Forscher tauften. „Der Fund eines Organismus mit einem solchen Nano-Anzug erweitert unsere Vorstellungen der Bedingungen, unter denen Leben existieren kann“, merken Takaku und seine Kollegen an. Selbst im Weltraum könnten damit theoretisch auch mehrzellige Organismen überleben. Den meisten anderen von den Forschern getesteten Tieren fehlten die Nano-Anzug-Moleküle allerdings.
Allerwelts-Tensid als Schutzanzug
Der nächste Schritt für die Forscher war nun naheliegend: Nachdem sie die chemische Struktur des Nano-Anzugs vor und nach der Bestrahlung analysiert hatten, suchten sie nach Chemikalien, die diesen Effekt ebenfalls zeigen und mit denen sich daher vielleicht künstliche Schutzanzüge produzieren lassen. Bei Polysorbat 20, einem Allerwelts-Tensid, das sich als E432 in zahlreichen Lebensmitteln findet, hatten sie Erfolg: Tauchten sie Plattwürmer oder zuvor ungeschützte Insektenlarven in eine einprozentige Lösung dieses Tensids, überlebten auch diese das Vakuum im Elektronenmikroskop. Selbst die unter normalen Bedingungen hochempfindlichen, weil mit sehr durchlässiger Haut ausgestatteten Larven mehrerer Stechmückenarten blieben auch bei einer halben Stunde im Hochvakuum lebendig und aktiv. „Das belegt, dass ein solcher Nano-Anzug vor den schädlichen Wirkungen des Vakuums schützen kann“, berichten die Forscher.
Ihnen ist es auch bereits gelungen, diese Nano-Schutzmembran in einem einzigen einfachen Schritt zu erzeugen – nur indem sie das Tensid auf einen Glasträger auftrugen und das Ganze mit Plasma bestrahlten. Dieser biomimetische Nano-Anzug sei damit sehr viel einfacher herzustellen als alle bisher bekannten, für biologische Proben eingesetzten Schutzmembranen. Die neuartige, von der Natur abgeschaute Hülle biete damit neue Möglichkeiten, nun auch lebende Tiere im Elektronenmikroskop zu beobachten. Nach Ansicht von Takaku und seinen Kollegen könnten aber auch andere Anwendungen in Biologie, Technik und Medizin von einem solchen Nano-Anzug profitieren.